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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Land und Leute in Bulgarien,

eine Strecke von 475 Kilometern, und hat auf derselben neun Stationen, wo
sie Personen und Güter absetzt und einnimmt. Für den Bau von Chausseen
ist in den letzten Jahren ziemlich viel geschehen, und wenn man deren noch nicht
viele besitzt, so sind die bestehenden solid angelegt und werden sorgfältig in
gutem Stande erhalten.

Für das Schulwesen ist in Bulgarien besser gesorgt worden als für die
meisten andern Zweige der Verwaltung. Die türkische Negierung that nichts
dasür, wohl aber gründeten bulgarische Kaufleute, die sich in Odessa und Bu¬
karest Vermögen erworben hatten, schon im Jahre 1835 eine Schule, und zehn
Jahre nachher zählte man deren bereits fünfundvierzig. Noch rascher ging es
nach 1877 aufwärts, wo die Russen von Staatswegen und auf Kosten des
Landes Mittelschulen einrichteten, eine Volksschulinspektion einführten und gleich¬
mäßige Programme für den Unterricht vorschrieben. Im Frühling von 1879,
nach der Trennung des Fürstentums von Ostrumelien, erhielt jenes ein eignes
Ministerium für die Volksaufklärung, welches sich später unter der Leitung des
Tschechen Jiretschek der Hebung des Schulwesens mit lobenswertem Eifer und
Geschick annahm. Dasselbe ist jetzt in sechzehn Bezirke uuter ebenso vielen In¬
spektoren geteilt und durch ein Gesetz geregelt, welches freilich in seiner Aus¬
führung und Befolgung noch sehr vom guten Willen der Bevölkerung abhängt
und diesem nicht überall begegnet. Jeder Bulgar soll nach gesetzlicher Vor¬
schrift seine Kinder in die Elementarschule schicken, die unentgeltlich unterrichtet
und mindestens drei Klassen hat. Das Schuljahr soll zehn Monate umfassen,
das Kind auf dem Lande sechs, in den Städten acht Jahre die Schule besuchen.
In deu letzteren begann die Regierung mit der Errichtung von Mittel- und
Fachschulen, und sogar die einer Universität wurde ins Auge gefaßt. Unter¬
blieb die letztere, so machte man in den untersten und mittleren Regionen ziemlich
rasche Fortschritte. Seit dem Jahre 1878 wurde" im Laude etwa sechshundert
Schulhüuser nach bestimmtem Plane erbaut, und 1880 gab es bereits elf staat¬
liche Mittelschulen (darunter ein geistliches Seminar, ein Gymnasium, vier
Realschulen und zwei höhere Mädchenschulen) und 1088 Volksschulen mit 1379
Lehrern und 56855 Schülern und Schülerinnen. Im Jahre 1882 zählte man
1365 Unterrichtsanstalten, darunter 82, die für Mädchen allein bestimmt waren,
und zwei Seminare für Lehrer und Lehrerinnen. Die Bildung verteilt sich
ungleich über das Land. Am weitesten zurück sind die Gebirgsgegenden zwischen
Berkowitza und Sofia, die Landstriche von Jskretz, Bresnik und Radomir, ein
Teil des Gebietes von Köstendil und das Küstenland. Mehr Eifer im Schul¬
besuche, besser unterrichtete Lehrer und stattlichere Schulhäuser zeigen die Be¬
zirke im Osten, besonders die Umgebung von Tirnvwo, Gabrowo, Schumla und
Prowedja. Neben diesen bulgarischen Unterrichtsanstalten giebt es noch Schulen
für die türkischen, die griechischen, die armenischen und die jüdischen Kinder. In
den türkischen wird nur im Koranlesen und im Schreiben unterrichtet, in den


Land und Leute in Bulgarien,

eine Strecke von 475 Kilometern, und hat auf derselben neun Stationen, wo
sie Personen und Güter absetzt und einnimmt. Für den Bau von Chausseen
ist in den letzten Jahren ziemlich viel geschehen, und wenn man deren noch nicht
viele besitzt, so sind die bestehenden solid angelegt und werden sorgfältig in
gutem Stande erhalten.

Für das Schulwesen ist in Bulgarien besser gesorgt worden als für die
meisten andern Zweige der Verwaltung. Die türkische Negierung that nichts
dasür, wohl aber gründeten bulgarische Kaufleute, die sich in Odessa und Bu¬
karest Vermögen erworben hatten, schon im Jahre 1835 eine Schule, und zehn
Jahre nachher zählte man deren bereits fünfundvierzig. Noch rascher ging es
nach 1877 aufwärts, wo die Russen von Staatswegen und auf Kosten des
Landes Mittelschulen einrichteten, eine Volksschulinspektion einführten und gleich¬
mäßige Programme für den Unterricht vorschrieben. Im Frühling von 1879,
nach der Trennung des Fürstentums von Ostrumelien, erhielt jenes ein eignes
Ministerium für die Volksaufklärung, welches sich später unter der Leitung des
Tschechen Jiretschek der Hebung des Schulwesens mit lobenswertem Eifer und
Geschick annahm. Dasselbe ist jetzt in sechzehn Bezirke uuter ebenso vielen In¬
spektoren geteilt und durch ein Gesetz geregelt, welches freilich in seiner Aus¬
führung und Befolgung noch sehr vom guten Willen der Bevölkerung abhängt
und diesem nicht überall begegnet. Jeder Bulgar soll nach gesetzlicher Vor¬
schrift seine Kinder in die Elementarschule schicken, die unentgeltlich unterrichtet
und mindestens drei Klassen hat. Das Schuljahr soll zehn Monate umfassen,
das Kind auf dem Lande sechs, in den Städten acht Jahre die Schule besuchen.
In deu letzteren begann die Regierung mit der Errichtung von Mittel- und
Fachschulen, und sogar die einer Universität wurde ins Auge gefaßt. Unter¬
blieb die letztere, so machte man in den untersten und mittleren Regionen ziemlich
rasche Fortschritte. Seit dem Jahre 1878 wurde» im Laude etwa sechshundert
Schulhüuser nach bestimmtem Plane erbaut, und 1880 gab es bereits elf staat¬
liche Mittelschulen (darunter ein geistliches Seminar, ein Gymnasium, vier
Realschulen und zwei höhere Mädchenschulen) und 1088 Volksschulen mit 1379
Lehrern und 56855 Schülern und Schülerinnen. Im Jahre 1882 zählte man
1365 Unterrichtsanstalten, darunter 82, die für Mädchen allein bestimmt waren,
und zwei Seminare für Lehrer und Lehrerinnen. Die Bildung verteilt sich
ungleich über das Land. Am weitesten zurück sind die Gebirgsgegenden zwischen
Berkowitza und Sofia, die Landstriche von Jskretz, Bresnik und Radomir, ein
Teil des Gebietes von Köstendil und das Küstenland. Mehr Eifer im Schul¬
besuche, besser unterrichtete Lehrer und stattlichere Schulhäuser zeigen die Be¬
zirke im Osten, besonders die Umgebung von Tirnvwo, Gabrowo, Schumla und
Prowedja. Neben diesen bulgarischen Unterrichtsanstalten giebt es noch Schulen
für die türkischen, die griechischen, die armenischen und die jüdischen Kinder. In
den türkischen wird nur im Koranlesen und im Schreiben unterrichtet, in den


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[0218] Land und Leute in Bulgarien, eine Strecke von 475 Kilometern, und hat auf derselben neun Stationen, wo sie Personen und Güter absetzt und einnimmt. Für den Bau von Chausseen ist in den letzten Jahren ziemlich viel geschehen, und wenn man deren noch nicht viele besitzt, so sind die bestehenden solid angelegt und werden sorgfältig in gutem Stande erhalten. Für das Schulwesen ist in Bulgarien besser gesorgt worden als für die meisten andern Zweige der Verwaltung. Die türkische Negierung that nichts dasür, wohl aber gründeten bulgarische Kaufleute, die sich in Odessa und Bu¬ karest Vermögen erworben hatten, schon im Jahre 1835 eine Schule, und zehn Jahre nachher zählte man deren bereits fünfundvierzig. Noch rascher ging es nach 1877 aufwärts, wo die Russen von Staatswegen und auf Kosten des Landes Mittelschulen einrichteten, eine Volksschulinspektion einführten und gleich¬ mäßige Programme für den Unterricht vorschrieben. Im Frühling von 1879, nach der Trennung des Fürstentums von Ostrumelien, erhielt jenes ein eignes Ministerium für die Volksaufklärung, welches sich später unter der Leitung des Tschechen Jiretschek der Hebung des Schulwesens mit lobenswertem Eifer und Geschick annahm. Dasselbe ist jetzt in sechzehn Bezirke uuter ebenso vielen In¬ spektoren geteilt und durch ein Gesetz geregelt, welches freilich in seiner Aus¬ führung und Befolgung noch sehr vom guten Willen der Bevölkerung abhängt und diesem nicht überall begegnet. Jeder Bulgar soll nach gesetzlicher Vor¬ schrift seine Kinder in die Elementarschule schicken, die unentgeltlich unterrichtet und mindestens drei Klassen hat. Das Schuljahr soll zehn Monate umfassen, das Kind auf dem Lande sechs, in den Städten acht Jahre die Schule besuchen. In deu letzteren begann die Regierung mit der Errichtung von Mittel- und Fachschulen, und sogar die einer Universität wurde ins Auge gefaßt. Unter¬ blieb die letztere, so machte man in den untersten und mittleren Regionen ziemlich rasche Fortschritte. Seit dem Jahre 1878 wurde» im Laude etwa sechshundert Schulhüuser nach bestimmtem Plane erbaut, und 1880 gab es bereits elf staat¬ liche Mittelschulen (darunter ein geistliches Seminar, ein Gymnasium, vier Realschulen und zwei höhere Mädchenschulen) und 1088 Volksschulen mit 1379 Lehrern und 56855 Schülern und Schülerinnen. Im Jahre 1882 zählte man 1365 Unterrichtsanstalten, darunter 82, die für Mädchen allein bestimmt waren, und zwei Seminare für Lehrer und Lehrerinnen. Die Bildung verteilt sich ungleich über das Land. Am weitesten zurück sind die Gebirgsgegenden zwischen Berkowitza und Sofia, die Landstriche von Jskretz, Bresnik und Radomir, ein Teil des Gebietes von Köstendil und das Küstenland. Mehr Eifer im Schul¬ besuche, besser unterrichtete Lehrer und stattlichere Schulhäuser zeigen die Be¬ zirke im Osten, besonders die Umgebung von Tirnvwo, Gabrowo, Schumla und Prowedja. Neben diesen bulgarischen Unterrichtsanstalten giebt es noch Schulen für die türkischen, die griechischen, die armenischen und die jüdischen Kinder. In den türkischen wird nur im Koranlesen und im Schreiben unterrichtet, in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/218>, abgerufen am 27.09.2024.