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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Noch ein Wort über Schöffengerichte.

diese Dinge sich äußern hören. Soll ich noch Einzelheiten anführen? Da will
ich nur jenes gutmütigen alten Schultheißen gedenken, der einen Fuhrmann,
welcher ein Stück behauenes Zimmerholz fand und sich anmaßte -- es war
allerdings nnr einige Groschen wert -- durchaus freisprechen wollte, "weil so
etwas doch jeder mitnehme, der es finde," und jenes Schöffen, der auf Frei¬
sprechung eines Mannes, welcher im Walde einen Haufen verkaufte und über-
gebene Wellen gestohlen hatte, deswegen bestand, weil der Käufer gegenüber der
verkaufenden Domäne versprochen hatte, die Wellen bis zu einem bestimmten
Termine abzufahren, dieser Termin aber zur Zeit des Diebstahls vorüber war.
Ich kann die Versicherung abgeben, daß Redensarten wie folgende: "Wenn wir
den Kerl hinsetzen, muß die Gemeinde seine Familie ernähren, das können wir
doch nicht verantworten!" oder: "Ach, die hohen Kosten! da wollen wir doch
die niedrigste Geldstrafe nehmen!" oder: "Kann denn das nicht mit einem Ver¬
weis abgemacht werden? Die Frau hat so und so viel Kinder zu ernähren?"
mit merkwürdiger Konsequenz sich wiederholen. Dies wird genügen!

So äußert sich gewöhnlich das "Rechtsbewußtsein des Volkes," wenn es
sich mit dem des Juristen nicht deckt. In den meisten Fällen, wie gesagt, decken
sich ja beide, wenn es auch dabei hänfig genug erst langer Auseinandersetzungen
des Fachrichters bedarf. Aber gerade deshalb scheint mir die Frage: "Wozu
dann das ganze Institut der Schöffengerichte mit seinen unendlichen Formali¬
täten, Weitläufigkeiten und Kosten?" gerechtfertigt.

Und glaubt man denn im Ernste, die Schöffen empfänden es als ein freudig
zu begrüßendes Zugeständnis an das Volk, als eine Ehre, bei der Rechtsprechung
mitzuwirken? Ich kann versichern, daß ich noch nie einen Schöffen gehört habe,
der gern zu den Sitzungen gekommen wäre; alle, die ich darüber ausgeforscht,
empfanden den Schöffettdienst als eine Last, murrten über die unwillkommene
Störung, die sie durch denselben in ihren Geschäften empfanden, ganz zu schweigen
von der lieben Not, die ich oft gehabt habe, einem Schöffen die Zustimmung
zu einer nur annähernd angemessenen Strafe für ein Individuum aus seinem
eignen Dorfe abzuringen, da ihm die schöne Aussicht auf Wiedervergeltung
vorschwebte, deren er sich infolge seines Urteilsspruches Vonseiten des Ver¬
urteilten versehen zu müssen glaubte. Eine hübsche Illustration zu der beliebten
Phrase von der größern "Unbefangenheit des Laienelements" gegenüber dem
"verknöcherten Fachrichter" !

Hieße es: "Freiwillige vor!" dann würde der Fachrichter wohl meistens
allein zu Gericht sitzen oder sich wenigstens von einer verwünscht fragwürdigen
Gesellschaft umgeben finden. Ans dem "Volksbewußtsein" ist das Institut der
Schöffengerichte nicht erwachsen, das steht fest, es ist künstlich in dasselbe hinein¬
verpflanzt worden. Man lebe nur unter dem "Volke" und beobachte es! Und
wo es schon bestanden hat vor Einführung der neuen Justizorganisation, da
hat man an ihm eben festgehalten wie an einem alten, bequem gewordenen


Noch ein Wort über Schöffengerichte.

diese Dinge sich äußern hören. Soll ich noch Einzelheiten anführen? Da will
ich nur jenes gutmütigen alten Schultheißen gedenken, der einen Fuhrmann,
welcher ein Stück behauenes Zimmerholz fand und sich anmaßte — es war
allerdings nnr einige Groschen wert — durchaus freisprechen wollte, „weil so
etwas doch jeder mitnehme, der es finde," und jenes Schöffen, der auf Frei¬
sprechung eines Mannes, welcher im Walde einen Haufen verkaufte und über-
gebene Wellen gestohlen hatte, deswegen bestand, weil der Käufer gegenüber der
verkaufenden Domäne versprochen hatte, die Wellen bis zu einem bestimmten
Termine abzufahren, dieser Termin aber zur Zeit des Diebstahls vorüber war.
Ich kann die Versicherung abgeben, daß Redensarten wie folgende: „Wenn wir
den Kerl hinsetzen, muß die Gemeinde seine Familie ernähren, das können wir
doch nicht verantworten!" oder: „Ach, die hohen Kosten! da wollen wir doch
die niedrigste Geldstrafe nehmen!" oder: „Kann denn das nicht mit einem Ver¬
weis abgemacht werden? Die Frau hat so und so viel Kinder zu ernähren?"
mit merkwürdiger Konsequenz sich wiederholen. Dies wird genügen!

So äußert sich gewöhnlich das „Rechtsbewußtsein des Volkes," wenn es
sich mit dem des Juristen nicht deckt. In den meisten Fällen, wie gesagt, decken
sich ja beide, wenn es auch dabei hänfig genug erst langer Auseinandersetzungen
des Fachrichters bedarf. Aber gerade deshalb scheint mir die Frage: „Wozu
dann das ganze Institut der Schöffengerichte mit seinen unendlichen Formali¬
täten, Weitläufigkeiten und Kosten?" gerechtfertigt.

Und glaubt man denn im Ernste, die Schöffen empfänden es als ein freudig
zu begrüßendes Zugeständnis an das Volk, als eine Ehre, bei der Rechtsprechung
mitzuwirken? Ich kann versichern, daß ich noch nie einen Schöffen gehört habe,
der gern zu den Sitzungen gekommen wäre; alle, die ich darüber ausgeforscht,
empfanden den Schöffettdienst als eine Last, murrten über die unwillkommene
Störung, die sie durch denselben in ihren Geschäften empfanden, ganz zu schweigen
von der lieben Not, die ich oft gehabt habe, einem Schöffen die Zustimmung
zu einer nur annähernd angemessenen Strafe für ein Individuum aus seinem
eignen Dorfe abzuringen, da ihm die schöne Aussicht auf Wiedervergeltung
vorschwebte, deren er sich infolge seines Urteilsspruches Vonseiten des Ver¬
urteilten versehen zu müssen glaubte. Eine hübsche Illustration zu der beliebten
Phrase von der größern „Unbefangenheit des Laienelements" gegenüber dem
„verknöcherten Fachrichter" !

Hieße es: „Freiwillige vor!" dann würde der Fachrichter wohl meistens
allein zu Gericht sitzen oder sich wenigstens von einer verwünscht fragwürdigen
Gesellschaft umgeben finden. Ans dem „Volksbewußtsein" ist das Institut der
Schöffengerichte nicht erwachsen, das steht fest, es ist künstlich in dasselbe hinein¬
verpflanzt worden. Man lebe nur unter dem „Volke" und beobachte es! Und
wo es schon bestanden hat vor Einführung der neuen Justizorganisation, da
hat man an ihm eben festgehalten wie an einem alten, bequem gewordenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/213>, abgerufen am 27.09.2024.