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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Noch ein Wort über Schöffengerichte.

so hieße es doch wahrhaftig, dem Fachjuristen ein testiirioiünin xlMM'eg,ti8 der
schlimmste" Art ausstellen, wenn man behaupten wollte, der Beistand der
Schöffen verbürge hier in ganz besondrer Weise die richtige Urteilsfindung!
Wozu um Gotteswillen hat denn der Mann Jura studirt? Bei solchen Fällen
geht die Weisheit der Schöffen gewöhnlich jämmerlich in die Brüche, und sie
ordnen sich schließlich, um mit der Sache nur zu Ende zu kommen, entweder
der Anschauung des Verufsrichters, seiner bessern Übung vertrauend, unter, oder
sie bleiben bei ihrem Widerspruche stehen, obschon sie denselben im Grunde mit
nichts als unklaren Gefühlseindrücken zu begründen vermögen. Was hilft hier
die Beteiligung des einfachen gesunden Menschenverstandes bei der Sache?

2. Über die Frage: Mit welchem Strafmaße ist der Thäter zu belegen,
was liegen für Milderungs- oder Erschwerungsgründe vor?

Es soll zugegeben werden, daß gerade bei Erörterung dieser Frage der
Laie hie und da unbefangener urteilt als der Fachrichter, der durch langjährige
Handhabung der Strafgesetze manchmal geneigt sein mag, Umständen wie Vor¬
bestrafungen, Wert der entwendeten Gegenstände, Alter des Thäters :e. zu
schablonenhaft Rechnung zu tragen. Allein kommen denn derartige Unbillig-
keiten so häufig vor, daß es nötig wäre, dem Fachjuristen deshalb Männer aus
dem "Volke" zur Kontrole, gewissermaßen als Korrektiv verkehrter Anschauungen,
beizugeben? Nein und abermals nein! Mit einem Worte: So versumpft ist
der deutsche Richterstand noch nicht, daß man nicht mehr sagen könnte, bei Be¬
urteilung aller in der untern Strafinstanz zu erörternden Fragen treffe er das
Nichtige entschieden besser und schneller als der Laie. Und so läuft denn das
ganze Schöffengericht (ich sage das keineswegs in polemisirendem Tone gegen
die Autoritäten, welche bei Einführung desselben den Ausschlag gegeben haben,
sondern durchaus objektiv) auf weiter nichts hinaus, als auf ein Zugeständnis
an die große Masse, die sich nun in dem Glauben wiegen mag, sie wirke bei
Ausübung der Strafrechtspflege als wesentliches Element mit, während die
Schöffen im Grunde genommen nichts sind als -- Staffage!

In großen Städten und gewissen, besonders von der Kultur beleckten Di¬
strikten, wo mehr Intelligenz zu erwarten ist, als im allgemeinen auf dem
Platten Lande, mag dem Richter, der vorwiegend dialektisch geschulte, gebildete
Laien als Schöffen zur Seite haben wird, dieser Gedanke uicht so leicht kommen.
Wer aber, wie ich, jahraus jahrein fast nur mit einfachen, aus der Dorf¬
schule hervorgegangenen, leider nur zu oft in ganz engherzigen Anschauungen
befangenen Bauersleuten als Kollegen zu amtiren hat -- wie dies für die
meisten Amtsgerichtsbezirke zutreffen wird --, den geht manchmal wahrhaftig
ein Ekel a", und er kann sich kaum des Gefühls erwehren, daß er hier bei
einer bloßen Komödie mitwirke. Es muß das endlich einmal gerade heraus¬
gesagt werden, und ich weiß, daß ganze Scharen von Kollegen mir beistimmen
werden, ich habe deren aus den verschiedensten Gauen unsers Vaterlandes über


Noch ein Wort über Schöffengerichte.

so hieße es doch wahrhaftig, dem Fachjuristen ein testiirioiünin xlMM'eg,ti8 der
schlimmste» Art ausstellen, wenn man behaupten wollte, der Beistand der
Schöffen verbürge hier in ganz besondrer Weise die richtige Urteilsfindung!
Wozu um Gotteswillen hat denn der Mann Jura studirt? Bei solchen Fällen
geht die Weisheit der Schöffen gewöhnlich jämmerlich in die Brüche, und sie
ordnen sich schließlich, um mit der Sache nur zu Ende zu kommen, entweder
der Anschauung des Verufsrichters, seiner bessern Übung vertrauend, unter, oder
sie bleiben bei ihrem Widerspruche stehen, obschon sie denselben im Grunde mit
nichts als unklaren Gefühlseindrücken zu begründen vermögen. Was hilft hier
die Beteiligung des einfachen gesunden Menschenverstandes bei der Sache?

2. Über die Frage: Mit welchem Strafmaße ist der Thäter zu belegen,
was liegen für Milderungs- oder Erschwerungsgründe vor?

Es soll zugegeben werden, daß gerade bei Erörterung dieser Frage der
Laie hie und da unbefangener urteilt als der Fachrichter, der durch langjährige
Handhabung der Strafgesetze manchmal geneigt sein mag, Umständen wie Vor¬
bestrafungen, Wert der entwendeten Gegenstände, Alter des Thäters :e. zu
schablonenhaft Rechnung zu tragen. Allein kommen denn derartige Unbillig-
keiten so häufig vor, daß es nötig wäre, dem Fachjuristen deshalb Männer aus
dem „Volke" zur Kontrole, gewissermaßen als Korrektiv verkehrter Anschauungen,
beizugeben? Nein und abermals nein! Mit einem Worte: So versumpft ist
der deutsche Richterstand noch nicht, daß man nicht mehr sagen könnte, bei Be¬
urteilung aller in der untern Strafinstanz zu erörternden Fragen treffe er das
Nichtige entschieden besser und schneller als der Laie. Und so läuft denn das
ganze Schöffengericht (ich sage das keineswegs in polemisirendem Tone gegen
die Autoritäten, welche bei Einführung desselben den Ausschlag gegeben haben,
sondern durchaus objektiv) auf weiter nichts hinaus, als auf ein Zugeständnis
an die große Masse, die sich nun in dem Glauben wiegen mag, sie wirke bei
Ausübung der Strafrechtspflege als wesentliches Element mit, während die
Schöffen im Grunde genommen nichts sind als — Staffage!

In großen Städten und gewissen, besonders von der Kultur beleckten Di¬
strikten, wo mehr Intelligenz zu erwarten ist, als im allgemeinen auf dem
Platten Lande, mag dem Richter, der vorwiegend dialektisch geschulte, gebildete
Laien als Schöffen zur Seite haben wird, dieser Gedanke uicht so leicht kommen.
Wer aber, wie ich, jahraus jahrein fast nur mit einfachen, aus der Dorf¬
schule hervorgegangenen, leider nur zu oft in ganz engherzigen Anschauungen
befangenen Bauersleuten als Kollegen zu amtiren hat — wie dies für die
meisten Amtsgerichtsbezirke zutreffen wird —, den geht manchmal wahrhaftig
ein Ekel a», und er kann sich kaum des Gefühls erwehren, daß er hier bei
einer bloßen Komödie mitwirke. Es muß das endlich einmal gerade heraus¬
gesagt werden, und ich weiß, daß ganze Scharen von Kollegen mir beistimmen
werden, ich habe deren aus den verschiedensten Gauen unsers Vaterlandes über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/212>, abgerufen am 27.09.2024.