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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

nicht selbst versaufen soll. Da möchte ja jedes krank werden. Wenn er wieder
arbeitet, kann er meinethalben wieder Schnaps trinken.

Aber Christoph, habt Ihr denn gar keinen andern Gedanken mehr als den
schrecklichen Branntwein! Wenn ich denke, was für ein braver und schmucker
Bursche Ihr wart! 's ist wirklich ein Jammer!

Ja ja, lallte der Trunkene, mit mir geht's freilich nicht aufwärts; aber
das ist nicht der Branntwein. Die Reichen und Vornehmen sind schuld dann,
die alles Gute für sich nehmen. Meine Schwester, die Abelu, ist auch nicht viel
garstiger gewesen als das Fräulein. Er warf aus seinen schwimmenden Augen
einen Blick auf Mathilden, der dieser das Blut aus den Wangen trieb.

Sie wandte sich ab. Geht jetzt; ich werde noch einmal mit Euch sprechen,
wenn Ihr nüchtern seid.

Der Mensch lachte auf. Unsereiner darf freilich so ein vornehmes Dämchen
nicht einmal ansehen. Und Menschen sind wir doch alle beide! Das könnt'
ich Ihnen gleich beweisen!

Aber der Beweis blieb aus, denn bei diesen Worten verließ Pfarrer Richter
feinen Betrachtungsposten auf der Thürschwelle, packte den Taumelnden an der
Schulter, warf ihn in den Hof und schloß die Hinterthür, worauf er zu der
zitternden Mathilde zurückkehrte.

Ich habe absichtlich nicht eher eingegriffen, damit Sie selbst sähen, in welche
Lagen Ihr Mangel an Vorsicht Sie bringen kann. Was nun, wenn niemand
in der Nähe gewesen wäre?

Er sprach in Erregung.

Soll ich nicht auf Gott vertrauen? fragte sie zurück.

Aber Gott hat Ihnen Vernunft gegeben, um Sie zu leiten in seinem Dienste.

Mathilde senkte schweigend den Kopf und fuhr fort, das Geschirr zu
waschen; aber seine Worte thaten ihr weh.

Ich will Ihnen nicht zureden, sagte er weiter, Ihre Thätigkeit im Dorfe
aufzugeben. Es kann Ihnen nur Nutzen bringen, die Leiden andrer kennen zu
lernen. Sie können auch Gutes wirken; aber seien Sie vorsichtiger. Vergessen
Sie nie --

Er brach kurz ab; aus ihren gesenkten Augen fielen Thränen auf die
fleißigen kleinen Hände, und der sichere Mann verlor die Fassung. Ein sonder¬
bares Gefühl umschleierte auf einmal seine klaren Gedanken. Sie bemerkte
jedoch nichts davon in seinem Gesicht, als sie endlich aufsah.

Warum fahren Sie nicht fort? fragte sie.

Weil ich Ihnen nicht weh thun will.

Ich weiß es, ich weiß es, sagte sie schnell; Sie haben in allem recht, und
ich danke Ihnen.

Geräuschlos stellte sie die Teller und Töpfe auf die Leiste. Er wandte
sich nach der Thür.


Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

nicht selbst versaufen soll. Da möchte ja jedes krank werden. Wenn er wieder
arbeitet, kann er meinethalben wieder Schnaps trinken.

Aber Christoph, habt Ihr denn gar keinen andern Gedanken mehr als den
schrecklichen Branntwein! Wenn ich denke, was für ein braver und schmucker
Bursche Ihr wart! 's ist wirklich ein Jammer!

Ja ja, lallte der Trunkene, mit mir geht's freilich nicht aufwärts; aber
das ist nicht der Branntwein. Die Reichen und Vornehmen sind schuld dann,
die alles Gute für sich nehmen. Meine Schwester, die Abelu, ist auch nicht viel
garstiger gewesen als das Fräulein. Er warf aus seinen schwimmenden Augen
einen Blick auf Mathilden, der dieser das Blut aus den Wangen trieb.

Sie wandte sich ab. Geht jetzt; ich werde noch einmal mit Euch sprechen,
wenn Ihr nüchtern seid.

Der Mensch lachte auf. Unsereiner darf freilich so ein vornehmes Dämchen
nicht einmal ansehen. Und Menschen sind wir doch alle beide! Das könnt'
ich Ihnen gleich beweisen!

Aber der Beweis blieb aus, denn bei diesen Worten verließ Pfarrer Richter
feinen Betrachtungsposten auf der Thürschwelle, packte den Taumelnden an der
Schulter, warf ihn in den Hof und schloß die Hinterthür, worauf er zu der
zitternden Mathilde zurückkehrte.

Ich habe absichtlich nicht eher eingegriffen, damit Sie selbst sähen, in welche
Lagen Ihr Mangel an Vorsicht Sie bringen kann. Was nun, wenn niemand
in der Nähe gewesen wäre?

Er sprach in Erregung.

Soll ich nicht auf Gott vertrauen? fragte sie zurück.

Aber Gott hat Ihnen Vernunft gegeben, um Sie zu leiten in seinem Dienste.

Mathilde senkte schweigend den Kopf und fuhr fort, das Geschirr zu
waschen; aber seine Worte thaten ihr weh.

Ich will Ihnen nicht zureden, sagte er weiter, Ihre Thätigkeit im Dorfe
aufzugeben. Es kann Ihnen nur Nutzen bringen, die Leiden andrer kennen zu
lernen. Sie können auch Gutes wirken; aber seien Sie vorsichtiger. Vergessen
Sie nie —

Er brach kurz ab; aus ihren gesenkten Augen fielen Thränen auf die
fleißigen kleinen Hände, und der sichere Mann verlor die Fassung. Ein sonder¬
bares Gefühl umschleierte auf einmal seine klaren Gedanken. Sie bemerkte
jedoch nichts davon in seinem Gesicht, als sie endlich aufsah.

Warum fahren Sie nicht fort? fragte sie.

Weil ich Ihnen nicht weh thun will.

Ich weiß es, ich weiß es, sagte sie schnell; Sie haben in allem recht, und
ich danke Ihnen.

Geräuschlos stellte sie die Teller und Töpfe auf die Leiste. Er wandte
sich nach der Thür.


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[0205] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. nicht selbst versaufen soll. Da möchte ja jedes krank werden. Wenn er wieder arbeitet, kann er meinethalben wieder Schnaps trinken. Aber Christoph, habt Ihr denn gar keinen andern Gedanken mehr als den schrecklichen Branntwein! Wenn ich denke, was für ein braver und schmucker Bursche Ihr wart! 's ist wirklich ein Jammer! Ja ja, lallte der Trunkene, mit mir geht's freilich nicht aufwärts; aber das ist nicht der Branntwein. Die Reichen und Vornehmen sind schuld dann, die alles Gute für sich nehmen. Meine Schwester, die Abelu, ist auch nicht viel garstiger gewesen als das Fräulein. Er warf aus seinen schwimmenden Augen einen Blick auf Mathilden, der dieser das Blut aus den Wangen trieb. Sie wandte sich ab. Geht jetzt; ich werde noch einmal mit Euch sprechen, wenn Ihr nüchtern seid. Der Mensch lachte auf. Unsereiner darf freilich so ein vornehmes Dämchen nicht einmal ansehen. Und Menschen sind wir doch alle beide! Das könnt' ich Ihnen gleich beweisen! Aber der Beweis blieb aus, denn bei diesen Worten verließ Pfarrer Richter feinen Betrachtungsposten auf der Thürschwelle, packte den Taumelnden an der Schulter, warf ihn in den Hof und schloß die Hinterthür, worauf er zu der zitternden Mathilde zurückkehrte. Ich habe absichtlich nicht eher eingegriffen, damit Sie selbst sähen, in welche Lagen Ihr Mangel an Vorsicht Sie bringen kann. Was nun, wenn niemand in der Nähe gewesen wäre? Er sprach in Erregung. Soll ich nicht auf Gott vertrauen? fragte sie zurück. Aber Gott hat Ihnen Vernunft gegeben, um Sie zu leiten in seinem Dienste. Mathilde senkte schweigend den Kopf und fuhr fort, das Geschirr zu waschen; aber seine Worte thaten ihr weh. Ich will Ihnen nicht zureden, sagte er weiter, Ihre Thätigkeit im Dorfe aufzugeben. Es kann Ihnen nur Nutzen bringen, die Leiden andrer kennen zu lernen. Sie können auch Gutes wirken; aber seien Sie vorsichtiger. Vergessen Sie nie — Er brach kurz ab; aus ihren gesenkten Augen fielen Thränen auf die fleißigen kleinen Hände, und der sichere Mann verlor die Fassung. Ein sonder¬ bares Gefühl umschleierte auf einmal seine klaren Gedanken. Sie bemerkte jedoch nichts davon in seinem Gesicht, als sie endlich aufsah. Warum fahren Sie nicht fort? fragte sie. Weil ich Ihnen nicht weh thun will. Ich weiß es, ich weiß es, sagte sie schnell; Sie haben in allem recht, und ich danke Ihnen. Geräuschlos stellte sie die Teller und Töpfe auf die Leiste. Er wandte sich nach der Thür.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/205>, abgerufen am 27.09.2024.