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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

besorgt! Ich werde Ihrem Schützlinge Hegel nicht die Leviten lesen, obwohl
er es verdient. Herr Bremihold soll des öftern über Hegels Trunksucht ge¬
klagt haben.

Das Trinken ist die Folge seines häuslichen Unglücks. Der arme Mann!

Sie sind sehr milde, sagte er; darf sich denn der Mensch durch Schickungen
Gottes erniedrigen lassen? Es ist ein herzzerreißender Anblick, den gottähnlichen
Menschen sich im Staube wälzen zu sehen!

Er sprach leise; aber in seinen Augen leuchtete eine warme Liebe für diese
im eignen Elend verkommende Kreatur. Sein Blick flog aufwärts nach dem
rotglühenden Abendhimmel, aber sein Geist wiederholte nur die willenskräftigen
Worte: Du, der du stark bist, bringe Licht in diese Finsternis! Und wenn du
es mit deiner ganzen Lebenskraft erkaufst! Eine einzige Seele gerettet, ist das
nicht genug?

Mathilde bemerkte zu ihrer Befriedigung, daß der spöttische Zug aus seinem
Gesicht gewichen war. Nach kurzem Schweigen blieb sie stehen und sagte: Hier
ist das Haus.

Er öffnete die niedrige Thür des einstöckigen Hüttchens. Mit einem fürst¬
lichen Neigen des Kopfes schritt sie an ihm vorbei über die Schwelle. Der
Ärmel ihres leichten Kleides streifte seine Hand. Er sah sie einen Augenblick
betroffen an und fand, daß sie schön sei. Der Hegel lag in der heißen, niedrigen
Stube aus seinem Bett und ächzte. Fliegen summten um ihn her, und die mit
Papier verklebten Scheiben des kleinen Fensters erlaubten weder Luft noch Licht,
den unglücklichen Bewohner zu besuchen. Zwei schielende Kinder hockten in einer
Ecke auf dem schmutzigen Boden und starrten die Eindringlinge an, während
eine alte Frau mit gelbem und runzlichen Gesicht ihnen entgegenhumpelte, die
thränenden Augen mit der schmutzigen Schürze wischend.

Mathilde reichte ihr freundlich die Hand und erkundigte sich leise nach den
Verordnungen des Arztes. Dann stellte sie ihren Krug aus den Tisch und
verließ mit der Alten das Zimmer. Die beiden Kinder liefen den Frauen nach,
und Richter blieb mit dem Kranken allein.

Hegel beförderte mit der zitternden Hand eine Branntweinflasche unter die
Bettdecke.

Nun, Hegel, sagte der Pfarrer, Ihr habt ein schweres Unglück gehabt.
Mit dem Verdienst ist es aus.'

Ach du lieber Gott, ja, seufzte dieser, mit mir gehts immer mehr zurück,
man mag machen, was man will. Ich glaub's auch garnicht, was der Herr
Pfarrer sagt: daß der liebe Gott dem einen so viel giebt wie dem andern. Der
sitzt da oben und kümmert sich was rechts um Unsereiner.

Habt Ihr Euch denn um ihn bekümmert, Hegel, als Ihr Eure Schwester
aus dem Hause erlebt? Habt Ihr Euer Weib an sein Wort erinnert? Hättet
Ihr es gethan, sie würde es euch jetzt danken. Hättet Ihr sie auf ihn ge-


Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

besorgt! Ich werde Ihrem Schützlinge Hegel nicht die Leviten lesen, obwohl
er es verdient. Herr Bremihold soll des öftern über Hegels Trunksucht ge¬
klagt haben.

Das Trinken ist die Folge seines häuslichen Unglücks. Der arme Mann!

Sie sind sehr milde, sagte er; darf sich denn der Mensch durch Schickungen
Gottes erniedrigen lassen? Es ist ein herzzerreißender Anblick, den gottähnlichen
Menschen sich im Staube wälzen zu sehen!

Er sprach leise; aber in seinen Augen leuchtete eine warme Liebe für diese
im eignen Elend verkommende Kreatur. Sein Blick flog aufwärts nach dem
rotglühenden Abendhimmel, aber sein Geist wiederholte nur die willenskräftigen
Worte: Du, der du stark bist, bringe Licht in diese Finsternis! Und wenn du
es mit deiner ganzen Lebenskraft erkaufst! Eine einzige Seele gerettet, ist das
nicht genug?

Mathilde bemerkte zu ihrer Befriedigung, daß der spöttische Zug aus seinem
Gesicht gewichen war. Nach kurzem Schweigen blieb sie stehen und sagte: Hier
ist das Haus.

Er öffnete die niedrige Thür des einstöckigen Hüttchens. Mit einem fürst¬
lichen Neigen des Kopfes schritt sie an ihm vorbei über die Schwelle. Der
Ärmel ihres leichten Kleides streifte seine Hand. Er sah sie einen Augenblick
betroffen an und fand, daß sie schön sei. Der Hegel lag in der heißen, niedrigen
Stube aus seinem Bett und ächzte. Fliegen summten um ihn her, und die mit
Papier verklebten Scheiben des kleinen Fensters erlaubten weder Luft noch Licht,
den unglücklichen Bewohner zu besuchen. Zwei schielende Kinder hockten in einer
Ecke auf dem schmutzigen Boden und starrten die Eindringlinge an, während
eine alte Frau mit gelbem und runzlichen Gesicht ihnen entgegenhumpelte, die
thränenden Augen mit der schmutzigen Schürze wischend.

Mathilde reichte ihr freundlich die Hand und erkundigte sich leise nach den
Verordnungen des Arztes. Dann stellte sie ihren Krug aus den Tisch und
verließ mit der Alten das Zimmer. Die beiden Kinder liefen den Frauen nach,
und Richter blieb mit dem Kranken allein.

Hegel beförderte mit der zitternden Hand eine Branntweinflasche unter die
Bettdecke.

Nun, Hegel, sagte der Pfarrer, Ihr habt ein schweres Unglück gehabt.
Mit dem Verdienst ist es aus.'

Ach du lieber Gott, ja, seufzte dieser, mit mir gehts immer mehr zurück,
man mag machen, was man will. Ich glaub's auch garnicht, was der Herr
Pfarrer sagt: daß der liebe Gott dem einen so viel giebt wie dem andern. Der
sitzt da oben und kümmert sich was rechts um Unsereiner.

Habt Ihr Euch denn um ihn bekümmert, Hegel, als Ihr Eure Schwester
aus dem Hause erlebt? Habt Ihr Euer Weib an sein Wort erinnert? Hättet
Ihr es gethan, sie würde es euch jetzt danken. Hättet Ihr sie auf ihn ge-


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[0203] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. besorgt! Ich werde Ihrem Schützlinge Hegel nicht die Leviten lesen, obwohl er es verdient. Herr Bremihold soll des öftern über Hegels Trunksucht ge¬ klagt haben. Das Trinken ist die Folge seines häuslichen Unglücks. Der arme Mann! Sie sind sehr milde, sagte er; darf sich denn der Mensch durch Schickungen Gottes erniedrigen lassen? Es ist ein herzzerreißender Anblick, den gottähnlichen Menschen sich im Staube wälzen zu sehen! Er sprach leise; aber in seinen Augen leuchtete eine warme Liebe für diese im eignen Elend verkommende Kreatur. Sein Blick flog aufwärts nach dem rotglühenden Abendhimmel, aber sein Geist wiederholte nur die willenskräftigen Worte: Du, der du stark bist, bringe Licht in diese Finsternis! Und wenn du es mit deiner ganzen Lebenskraft erkaufst! Eine einzige Seele gerettet, ist das nicht genug? Mathilde bemerkte zu ihrer Befriedigung, daß der spöttische Zug aus seinem Gesicht gewichen war. Nach kurzem Schweigen blieb sie stehen und sagte: Hier ist das Haus. Er öffnete die niedrige Thür des einstöckigen Hüttchens. Mit einem fürst¬ lichen Neigen des Kopfes schritt sie an ihm vorbei über die Schwelle. Der Ärmel ihres leichten Kleides streifte seine Hand. Er sah sie einen Augenblick betroffen an und fand, daß sie schön sei. Der Hegel lag in der heißen, niedrigen Stube aus seinem Bett und ächzte. Fliegen summten um ihn her, und die mit Papier verklebten Scheiben des kleinen Fensters erlaubten weder Luft noch Licht, den unglücklichen Bewohner zu besuchen. Zwei schielende Kinder hockten in einer Ecke auf dem schmutzigen Boden und starrten die Eindringlinge an, während eine alte Frau mit gelbem und runzlichen Gesicht ihnen entgegenhumpelte, die thränenden Augen mit der schmutzigen Schürze wischend. Mathilde reichte ihr freundlich die Hand und erkundigte sich leise nach den Verordnungen des Arztes. Dann stellte sie ihren Krug aus den Tisch und verließ mit der Alten das Zimmer. Die beiden Kinder liefen den Frauen nach, und Richter blieb mit dem Kranken allein. Hegel beförderte mit der zitternden Hand eine Branntweinflasche unter die Bettdecke. Nun, Hegel, sagte der Pfarrer, Ihr habt ein schweres Unglück gehabt. Mit dem Verdienst ist es aus.' Ach du lieber Gott, ja, seufzte dieser, mit mir gehts immer mehr zurück, man mag machen, was man will. Ich glaub's auch garnicht, was der Herr Pfarrer sagt: daß der liebe Gott dem einen so viel giebt wie dem andern. Der sitzt da oben und kümmert sich was rechts um Unsereiner. Habt Ihr Euch denn um ihn bekümmert, Hegel, als Ihr Eure Schwester aus dem Hause erlebt? Habt Ihr Euer Weib an sein Wort erinnert? Hättet Ihr es gethan, sie würde es euch jetzt danken. Hättet Ihr sie auf ihn ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/203>, abgerufen am 27.09.2024.