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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Richter kam und machte eine weltmännische Verbeugung. Er war ein
großer, stattlicher Mann, eine imposante Erscheinung.

Sie müssen schon gute Freunde werden, lachte die Pfarrerin, Richter ist
ein Universitätsfreund meines Mannes und wird hoffentlich recht häufig von
Trübensee herüberkommen.

Der "vortreffliche" Mann sprach kein Wort; aber Mathilde fühlte, wie
er sie betrachtete, und dies machte sie befangen. Indessen versuchte sie mutig
ein Gespräch einzuleiten.

Es ist gewiß in dem Trübenseer Pfarrhause nicht so hübsch als hier?

Nein; der Bau ist alt und dunkel.

Das Trübenseer Pfarrhaus war Mathilden bekannt von den Besuchen bei
Schefflingens her, und es stand ihr in diesem Augenblicke mit samt seinen frühern
Bewohnern lebhaft vor Augen. Am Ende des Trübenseer Parks, hinter dem
schilfigen Teiche, lag eine Wiese, die sie stets mit Ranunkeln und Anemonen
übersäet gesehen hatte. Jenseits dieser Wiese stand das Pfarrhaus, etwas ab¬
seits von den übrigen Häusern des Dorfes. Es war ein viereckiger, alter Stein¬
bau mit hohem, altertümlich gebrochenem Dache, vom Wetter gedunkelt und
moosüberzogen. Vor der Eingangsthür, die durch eine hohe Mauer in den
düstern Hof und Garten führte, standen zwei Linden; sie waren einst kugel¬
förmig verschnitten worden und streckten jetzt lange Zweige nach oben, Besen
vergleichbar, die, durch langen Gebrauch abgenutzt, nur uoch einzelne ihrer Reiser
behalten haben. Der selige Andermütz hatte sich mit den Jahren recht nach
Gefallen in dem alten Neste eingerichtet. Er hauste da mit einer alten Magd,
ein paar Gänsen und einem Hunde. Der Hund war mager, rot und struppig,
von Rasse ein Mosaikhund, dessen Ursprung unergründlich war. Er wohnte in
einer Kiste auf dem Hofe und knurrte wachend und im Schlafe. Andermütz hatte
ihn in dem Verdachte, ein guter Wächterhund zu sein, aber es war nicht Melcmch-
thons Schuld -- so hieß der Rote --, daß in dem Pfarrhause nichts gestohlen
wurde. Trübensee war eine arme Gemeinde, und was Andermütz übrig hatte, wan¬
derte in die Tasche der "Male," sodaß Dieben nicht viel Schätze entgegenwinkten.

Mathilde fragte, was aus der Male und dem Hunde geworden sei?

Die Male sei sofort ausgewandert, erzählte Richter, obwohl er es ihr
natürlich freigestellt habe, zu gehen oder zu bleiben. Sie habe gebeten, Me-
lanchthon mitnehmen zu dürfen.

Den ließen Sie ihr gewiß ganz gern?

Ja, antwortete er lächelnd, aber nach einigen Tagen habe der Hund wieder
in seiner Kiste gelegen und ihm, als er in den Hof hinaustrat, seinen Morgen-
gruß zugeknurrt.

Er hat es vorgezogen, sein altes Quartier zu behalten.

Als die Damen sich dem Hause zuwandten, fragte Richter den Amts¬
bruder: Ist sie die Tochter des Barons?


GrenzbotmIV. 1886. 25
Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Richter kam und machte eine weltmännische Verbeugung. Er war ein
großer, stattlicher Mann, eine imposante Erscheinung.

Sie müssen schon gute Freunde werden, lachte die Pfarrerin, Richter ist
ein Universitätsfreund meines Mannes und wird hoffentlich recht häufig von
Trübensee herüberkommen.

Der „vortreffliche" Mann sprach kein Wort; aber Mathilde fühlte, wie
er sie betrachtete, und dies machte sie befangen. Indessen versuchte sie mutig
ein Gespräch einzuleiten.

Es ist gewiß in dem Trübenseer Pfarrhause nicht so hübsch als hier?

Nein; der Bau ist alt und dunkel.

Das Trübenseer Pfarrhaus war Mathilden bekannt von den Besuchen bei
Schefflingens her, und es stand ihr in diesem Augenblicke mit samt seinen frühern
Bewohnern lebhaft vor Augen. Am Ende des Trübenseer Parks, hinter dem
schilfigen Teiche, lag eine Wiese, die sie stets mit Ranunkeln und Anemonen
übersäet gesehen hatte. Jenseits dieser Wiese stand das Pfarrhaus, etwas ab¬
seits von den übrigen Häusern des Dorfes. Es war ein viereckiger, alter Stein¬
bau mit hohem, altertümlich gebrochenem Dache, vom Wetter gedunkelt und
moosüberzogen. Vor der Eingangsthür, die durch eine hohe Mauer in den
düstern Hof und Garten führte, standen zwei Linden; sie waren einst kugel¬
förmig verschnitten worden und streckten jetzt lange Zweige nach oben, Besen
vergleichbar, die, durch langen Gebrauch abgenutzt, nur uoch einzelne ihrer Reiser
behalten haben. Der selige Andermütz hatte sich mit den Jahren recht nach
Gefallen in dem alten Neste eingerichtet. Er hauste da mit einer alten Magd,
ein paar Gänsen und einem Hunde. Der Hund war mager, rot und struppig,
von Rasse ein Mosaikhund, dessen Ursprung unergründlich war. Er wohnte in
einer Kiste auf dem Hofe und knurrte wachend und im Schlafe. Andermütz hatte
ihn in dem Verdachte, ein guter Wächterhund zu sein, aber es war nicht Melcmch-
thons Schuld — so hieß der Rote —, daß in dem Pfarrhause nichts gestohlen
wurde. Trübensee war eine arme Gemeinde, und was Andermütz übrig hatte, wan¬
derte in die Tasche der „Male," sodaß Dieben nicht viel Schätze entgegenwinkten.

Mathilde fragte, was aus der Male und dem Hunde geworden sei?

Die Male sei sofort ausgewandert, erzählte Richter, obwohl er es ihr
natürlich freigestellt habe, zu gehen oder zu bleiben. Sie habe gebeten, Me-
lanchthon mitnehmen zu dürfen.

Den ließen Sie ihr gewiß ganz gern?

Ja, antwortete er lächelnd, aber nach einigen Tagen habe der Hund wieder
in seiner Kiste gelegen und ihm, als er in den Hof hinaustrat, seinen Morgen-
gruß zugeknurrt.

Er hat es vorgezogen, sein altes Quartier zu behalten.

Als die Damen sich dem Hause zuwandten, fragte Richter den Amts¬
bruder: Ist sie die Tochter des Barons?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/201>, abgerufen am 27.09.2024.