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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Risselshausen.

Wir müssen eben hoffen, daß der Herr da redet, wo Menschenworte ver¬
loren sind. Aber gehen Sie heute noch zu dein Arbeiter? Ich würde Ihnen
doch raten, dieses Haus nicht ohne Begleitung zu betreten. Die Leute sind
gar zu roh! Ach, Fräulein Mathilde, diese Niederdettenheimer Fabrik ist ein
Unsegen sür unsre Gegend! Brcnnholds hohe Löhne ziehen sie alle hin und
es ist ganz vergeblich, daß ich mit aller Kraft dagegen arbeite. Seit die Sicben-
hofer mit den schrecklichen Menschen zusammen kommen, die Brennhold unter
seinen Arbeitern hat, ist der gute Geist, der sonst hier herrschte, von ihnen ge¬
wichen. Das Fluchen, Kartenspielen und Vranntweiutrinken nimmt zu. Die
Kirche wird leerer, und die Schenke füllt sich. Ach, und was für schreckliche
Dinge hört man dort! Wühlerische, sozialdemokratische Ideen! Des Teufels
Worte klingen den Bethörten lieblicher als Gottes Wort, das da saget: Thue Buße,
du sündiger Mensch! Wir leben in einer schlimmen Zeit, Fräulein Mathilde!

Sie senkte schweigend das Köpfchen und überlegte, wie man in dieser
"schlimmen Zeit" die Siebenhofcr vor dem allgemeinen Verderben retten könne.

Also Sie gehen heute nicht zu dem Arbeiter? wiederholte Pfarrer Goldner.

Sie sah mit anmutigen Lächeln zu ihm auf. Ich denke doch; aber da
wir vor der Pfarre angelangt sind, muß ich erst einmal Ihren Kleinen ansehen.

Er öffnete die kleine Pforte in der Mauer, die von einer mächtigen Linde
überschattet war. Sie traten in den steingepflastertem Hof, in dessen Mitte
ein fließender Brunnen plätscherte; auf dem steinernen Trogrande hatten Tauben
Platz genommen, gurrend und mit den Flügeln schlagend. Zur Rechten be¬
fand sich das Pfarrhaus, unterband einige Stallgebäude, und den Eintretenden
gegenüber, durch eine niedrige Lehmmauer vou dem Hofe getrennt, der wohl¬
gepflegte Pfarrgarten, dessen schöne Ziersträuche und blütenreiche Rosenstöcke
des Pfarrherrn Stolz waren.

Inmitten der Rabatten wandelte die Pfarrerin, eine Gießkanne in der
Hand; am Gitterpförtchen gelehnt stand, ihr zuschauend, ein Gast, den Mathilde
nicht kannte.

Sie sagten mir nicht, daß Sie Besuch haben, Herr Pfarrer, bemerkte sie,
scheu zurücktretend.

Mein Amtsbruder Richter, der Nachfolger des seligen Pastor Andcrmütz.
Er ist vor kurzem in Trübensee eingezogen. Kommen Sie ruhig, Fräulein
Mathilde; Richter ist ein vortrefflicher Mensch.

Die Pfarrerin eilte auch bereits den Kommenden entgegen. Sie war eine
junge, hübsche Frau mit frischen Farben und heiterm Lächeln. Der Ernst
der Zeit schien nicht so schwer auf ihr zu lasten wie auf dem Gemahl. Sie
begrüßte Mathilden mit herzlicher Vertraulichkeit.

Nun, das ist hübsch, daß Sie noch auf ein Stündchen herüberkommen!
Sie dürfen sich ja nicht durch unsern Gast verscheuchen lassen. Kommen Sie
her, Herr Richter, und bekräftigen Sie meine Worte.


Aus der Lhronik derer von Risselshausen.

Wir müssen eben hoffen, daß der Herr da redet, wo Menschenworte ver¬
loren sind. Aber gehen Sie heute noch zu dein Arbeiter? Ich würde Ihnen
doch raten, dieses Haus nicht ohne Begleitung zu betreten. Die Leute sind
gar zu roh! Ach, Fräulein Mathilde, diese Niederdettenheimer Fabrik ist ein
Unsegen sür unsre Gegend! Brcnnholds hohe Löhne ziehen sie alle hin und
es ist ganz vergeblich, daß ich mit aller Kraft dagegen arbeite. Seit die Sicben-
hofer mit den schrecklichen Menschen zusammen kommen, die Brennhold unter
seinen Arbeitern hat, ist der gute Geist, der sonst hier herrschte, von ihnen ge¬
wichen. Das Fluchen, Kartenspielen und Vranntweiutrinken nimmt zu. Die
Kirche wird leerer, und die Schenke füllt sich. Ach, und was für schreckliche
Dinge hört man dort! Wühlerische, sozialdemokratische Ideen! Des Teufels
Worte klingen den Bethörten lieblicher als Gottes Wort, das da saget: Thue Buße,
du sündiger Mensch! Wir leben in einer schlimmen Zeit, Fräulein Mathilde!

Sie senkte schweigend das Köpfchen und überlegte, wie man in dieser
„schlimmen Zeit" die Siebenhofcr vor dem allgemeinen Verderben retten könne.

Also Sie gehen heute nicht zu dem Arbeiter? wiederholte Pfarrer Goldner.

Sie sah mit anmutigen Lächeln zu ihm auf. Ich denke doch; aber da
wir vor der Pfarre angelangt sind, muß ich erst einmal Ihren Kleinen ansehen.

Er öffnete die kleine Pforte in der Mauer, die von einer mächtigen Linde
überschattet war. Sie traten in den steingepflastertem Hof, in dessen Mitte
ein fließender Brunnen plätscherte; auf dem steinernen Trogrande hatten Tauben
Platz genommen, gurrend und mit den Flügeln schlagend. Zur Rechten be¬
fand sich das Pfarrhaus, unterband einige Stallgebäude, und den Eintretenden
gegenüber, durch eine niedrige Lehmmauer vou dem Hofe getrennt, der wohl¬
gepflegte Pfarrgarten, dessen schöne Ziersträuche und blütenreiche Rosenstöcke
des Pfarrherrn Stolz waren.

Inmitten der Rabatten wandelte die Pfarrerin, eine Gießkanne in der
Hand; am Gitterpförtchen gelehnt stand, ihr zuschauend, ein Gast, den Mathilde
nicht kannte.

Sie sagten mir nicht, daß Sie Besuch haben, Herr Pfarrer, bemerkte sie,
scheu zurücktretend.

Mein Amtsbruder Richter, der Nachfolger des seligen Pastor Andcrmütz.
Er ist vor kurzem in Trübensee eingezogen. Kommen Sie ruhig, Fräulein
Mathilde; Richter ist ein vortrefflicher Mensch.

Die Pfarrerin eilte auch bereits den Kommenden entgegen. Sie war eine
junge, hübsche Frau mit frischen Farben und heiterm Lächeln. Der Ernst
der Zeit schien nicht so schwer auf ihr zu lasten wie auf dem Gemahl. Sie
begrüßte Mathilden mit herzlicher Vertraulichkeit.

Nun, das ist hübsch, daß Sie noch auf ein Stündchen herüberkommen!
Sie dürfen sich ja nicht durch unsern Gast verscheuchen lassen. Kommen Sie
her, Herr Richter, und bekräftigen Sie meine Worte.


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[0200] Aus der Lhronik derer von Risselshausen. Wir müssen eben hoffen, daß der Herr da redet, wo Menschenworte ver¬ loren sind. Aber gehen Sie heute noch zu dein Arbeiter? Ich würde Ihnen doch raten, dieses Haus nicht ohne Begleitung zu betreten. Die Leute sind gar zu roh! Ach, Fräulein Mathilde, diese Niederdettenheimer Fabrik ist ein Unsegen sür unsre Gegend! Brcnnholds hohe Löhne ziehen sie alle hin und es ist ganz vergeblich, daß ich mit aller Kraft dagegen arbeite. Seit die Sicben- hofer mit den schrecklichen Menschen zusammen kommen, die Brennhold unter seinen Arbeitern hat, ist der gute Geist, der sonst hier herrschte, von ihnen ge¬ wichen. Das Fluchen, Kartenspielen und Vranntweiutrinken nimmt zu. Die Kirche wird leerer, und die Schenke füllt sich. Ach, und was für schreckliche Dinge hört man dort! Wühlerische, sozialdemokratische Ideen! Des Teufels Worte klingen den Bethörten lieblicher als Gottes Wort, das da saget: Thue Buße, du sündiger Mensch! Wir leben in einer schlimmen Zeit, Fräulein Mathilde! Sie senkte schweigend das Köpfchen und überlegte, wie man in dieser „schlimmen Zeit" die Siebenhofcr vor dem allgemeinen Verderben retten könne. Also Sie gehen heute nicht zu dem Arbeiter? wiederholte Pfarrer Goldner. Sie sah mit anmutigen Lächeln zu ihm auf. Ich denke doch; aber da wir vor der Pfarre angelangt sind, muß ich erst einmal Ihren Kleinen ansehen. Er öffnete die kleine Pforte in der Mauer, die von einer mächtigen Linde überschattet war. Sie traten in den steingepflastertem Hof, in dessen Mitte ein fließender Brunnen plätscherte; auf dem steinernen Trogrande hatten Tauben Platz genommen, gurrend und mit den Flügeln schlagend. Zur Rechten be¬ fand sich das Pfarrhaus, unterband einige Stallgebäude, und den Eintretenden gegenüber, durch eine niedrige Lehmmauer vou dem Hofe getrennt, der wohl¬ gepflegte Pfarrgarten, dessen schöne Ziersträuche und blütenreiche Rosenstöcke des Pfarrherrn Stolz waren. Inmitten der Rabatten wandelte die Pfarrerin, eine Gießkanne in der Hand; am Gitterpförtchen gelehnt stand, ihr zuschauend, ein Gast, den Mathilde nicht kannte. Sie sagten mir nicht, daß Sie Besuch haben, Herr Pfarrer, bemerkte sie, scheu zurücktretend. Mein Amtsbruder Richter, der Nachfolger des seligen Pastor Andcrmütz. Er ist vor kurzem in Trübensee eingezogen. Kommen Sie ruhig, Fräulein Mathilde; Richter ist ein vortrefflicher Mensch. Die Pfarrerin eilte auch bereits den Kommenden entgegen. Sie war eine junge, hübsche Frau mit frischen Farben und heiterm Lächeln. Der Ernst der Zeit schien nicht so schwer auf ihr zu lasten wie auf dem Gemahl. Sie begrüßte Mathilden mit herzlicher Vertraulichkeit. Nun, das ist hübsch, daß Sie noch auf ein Stündchen herüberkommen! Sie dürfen sich ja nicht durch unsern Gast verscheuchen lassen. Kommen Sie her, Herr Richter, und bekräftigen Sie meine Worte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/200>, abgerufen am 19.10.2024.