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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ver Eid vor Gericht.

was will man damit eigentlich? Zunächst ist doch wohl so viel unzweifelhaft,
daß dadurch, daß man den Parteien sagt: "Ihr werdet hier nicht als Parteien,
sondern als Zeugen vernommen," die Parteien nicht wirklich "Zeugen," d.h.
unbeteiligte Dritte werden, sondern immer "Parteien," d. h, unmittelbar Be¬
teiligte bleiben. Auch daran, daß etwa die als "Zeuge" vernommene Partei
garnicht wisse, woraus es ankomme, und deshalb in aller Unschuld stets die
Wahrheit sagen werde, ist doch wohl nicht zu denken. Mit einem solchen
Hokuspokus läßt sich also die Gefahr, welche naturgemäß in dem Parteieneide
liegt, nicht beseitigen.

Die Bedeutung jener Änderung könnte also nur die sein, daß man
die gesetzliche Regelung, welcher zur Zeit der Parteieneid unterliegt, abwerfen
und statt dessen denselben in die losen und willkürlichen Formen der Zeugen¬
vernehmung einkleiden will.

Da fragt es sich denn zunächst, wie weit man in dieser Richtung gehen
will? Sollen auch die Regeln, nach welchen sich jetzt die schwnrberechtigte
Partei bestimmt, zerstört werden? Soll also der Richter das Recht haben,
etwa beide Parteien als "Zeugen" über die nämliche Thatsache zu vernehmen?
Das wäre in der That die natürlichste Folge der Lehre. Denn wenn die eine
Partei die Befugnis hat, sich ihr Recht selbst zu bezeugen, warum sollte die
andre Partei nicht auch die Befugnis haben? Würden doch sicherlich beide
Teile sich begierig darnach drängen, als "Zeugen" vom Richter vernommen zu
werden. Dann aber würde es sehr häufig dahin kommen, daß Eid und Eid
einander gegenüberstünden, und der Richter würde nach der Vernehmung beider
Teile so klug sein wie vorher, wenn er nicht etwa sagen wollte: "Ich glaube
dem Eide der einen Partei, den: der andern aber nicht." Natürlich die reine
Willkür! Oder soll der Richter beliebig eine Partei auswählen, die er als
"Zeugen" vernehmen will, die andre aber ungehört lassen? Dann würde er
also auch die beweispflichtigc Partei in erster Linie über die ihr Recht be¬
dingenden Thatsachen eidlich vernehmen und ihr auf Grund ihres eignen "Zeug¬
nisses" das beanspruchte Recht zuerkenne" können. Das hieße nichts Geringeres,
als die ganze Lehre von der Bcwcislast über den Haufen werfen, was eine
Revolution von ganz unabsehbaren Folgen in unserm Rechtsleben herbeiführe"
würde. Schwerlich aber würde daraus das Gefühl einer höher waltenden Ge¬
rechtigkeit erwachsen, wohl aber sehr häufig das Gefühl größter, vom Richter
geübter Willkür.

Gesetzt aber auch, man wollte nicht so weit gehen, man wollte weder beide
Parteien als "Zeugen" vernehmen, noch die zu vernehmende Partei willkürlich
auswählen, sondern in der That nur diejenige Partei als Zeuge vernehmen,
der auch nach dem bestehenden Rechte der Eid zufiele; dann würde der Gegensatz
noch immer darin liegen, daß der Richter von allen oben angeführten, die vor¬
sichtige Behandlung des Partcieueides bezweckenden Vorschriften entbunden wäre.


Ver Eid vor Gericht.

was will man damit eigentlich? Zunächst ist doch wohl so viel unzweifelhaft,
daß dadurch, daß man den Parteien sagt: „Ihr werdet hier nicht als Parteien,
sondern als Zeugen vernommen," die Parteien nicht wirklich „Zeugen," d.h.
unbeteiligte Dritte werden, sondern immer „Parteien," d. h, unmittelbar Be¬
teiligte bleiben. Auch daran, daß etwa die als „Zeuge" vernommene Partei
garnicht wisse, woraus es ankomme, und deshalb in aller Unschuld stets die
Wahrheit sagen werde, ist doch wohl nicht zu denken. Mit einem solchen
Hokuspokus läßt sich also die Gefahr, welche naturgemäß in dem Parteieneide
liegt, nicht beseitigen.

Die Bedeutung jener Änderung könnte also nur die sein, daß man
die gesetzliche Regelung, welcher zur Zeit der Parteieneid unterliegt, abwerfen
und statt dessen denselben in die losen und willkürlichen Formen der Zeugen¬
vernehmung einkleiden will.

Da fragt es sich denn zunächst, wie weit man in dieser Richtung gehen
will? Sollen auch die Regeln, nach welchen sich jetzt die schwnrberechtigte
Partei bestimmt, zerstört werden? Soll also der Richter das Recht haben,
etwa beide Parteien als „Zeugen" über die nämliche Thatsache zu vernehmen?
Das wäre in der That die natürlichste Folge der Lehre. Denn wenn die eine
Partei die Befugnis hat, sich ihr Recht selbst zu bezeugen, warum sollte die
andre Partei nicht auch die Befugnis haben? Würden doch sicherlich beide
Teile sich begierig darnach drängen, als „Zeugen" vom Richter vernommen zu
werden. Dann aber würde es sehr häufig dahin kommen, daß Eid und Eid
einander gegenüberstünden, und der Richter würde nach der Vernehmung beider
Teile so klug sein wie vorher, wenn er nicht etwa sagen wollte: „Ich glaube
dem Eide der einen Partei, den: der andern aber nicht." Natürlich die reine
Willkür! Oder soll der Richter beliebig eine Partei auswählen, die er als
„Zeugen" vernehmen will, die andre aber ungehört lassen? Dann würde er
also auch die beweispflichtigc Partei in erster Linie über die ihr Recht be¬
dingenden Thatsachen eidlich vernehmen und ihr auf Grund ihres eignen „Zeug¬
nisses" das beanspruchte Recht zuerkenne« können. Das hieße nichts Geringeres,
als die ganze Lehre von der Bcwcislast über den Haufen werfen, was eine
Revolution von ganz unabsehbaren Folgen in unserm Rechtsleben herbeiführe»
würde. Schwerlich aber würde daraus das Gefühl einer höher waltenden Ge¬
rechtigkeit erwachsen, wohl aber sehr häufig das Gefühl größter, vom Richter
geübter Willkür.

Gesetzt aber auch, man wollte nicht so weit gehen, man wollte weder beide
Parteien als „Zeugen" vernehmen, noch die zu vernehmende Partei willkürlich
auswählen, sondern in der That nur diejenige Partei als Zeuge vernehmen,
der auch nach dem bestehenden Rechte der Eid zufiele; dann würde der Gegensatz
noch immer darin liegen, daß der Richter von allen oben angeführten, die vor¬
sichtige Behandlung des Partcieueides bezweckenden Vorschriften entbunden wäre.


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[0018] Ver Eid vor Gericht. was will man damit eigentlich? Zunächst ist doch wohl so viel unzweifelhaft, daß dadurch, daß man den Parteien sagt: „Ihr werdet hier nicht als Parteien, sondern als Zeugen vernommen," die Parteien nicht wirklich „Zeugen," d.h. unbeteiligte Dritte werden, sondern immer „Parteien," d. h, unmittelbar Be¬ teiligte bleiben. Auch daran, daß etwa die als „Zeuge" vernommene Partei garnicht wisse, woraus es ankomme, und deshalb in aller Unschuld stets die Wahrheit sagen werde, ist doch wohl nicht zu denken. Mit einem solchen Hokuspokus läßt sich also die Gefahr, welche naturgemäß in dem Parteieneide liegt, nicht beseitigen. Die Bedeutung jener Änderung könnte also nur die sein, daß man die gesetzliche Regelung, welcher zur Zeit der Parteieneid unterliegt, abwerfen und statt dessen denselben in die losen und willkürlichen Formen der Zeugen¬ vernehmung einkleiden will. Da fragt es sich denn zunächst, wie weit man in dieser Richtung gehen will? Sollen auch die Regeln, nach welchen sich jetzt die schwnrberechtigte Partei bestimmt, zerstört werden? Soll also der Richter das Recht haben, etwa beide Parteien als „Zeugen" über die nämliche Thatsache zu vernehmen? Das wäre in der That die natürlichste Folge der Lehre. Denn wenn die eine Partei die Befugnis hat, sich ihr Recht selbst zu bezeugen, warum sollte die andre Partei nicht auch die Befugnis haben? Würden doch sicherlich beide Teile sich begierig darnach drängen, als „Zeugen" vom Richter vernommen zu werden. Dann aber würde es sehr häufig dahin kommen, daß Eid und Eid einander gegenüberstünden, und der Richter würde nach der Vernehmung beider Teile so klug sein wie vorher, wenn er nicht etwa sagen wollte: „Ich glaube dem Eide der einen Partei, den: der andern aber nicht." Natürlich die reine Willkür! Oder soll der Richter beliebig eine Partei auswählen, die er als „Zeugen" vernehmen will, die andre aber ungehört lassen? Dann würde er also auch die beweispflichtigc Partei in erster Linie über die ihr Recht be¬ dingenden Thatsachen eidlich vernehmen und ihr auf Grund ihres eignen „Zeug¬ nisses" das beanspruchte Recht zuerkenne« können. Das hieße nichts Geringeres, als die ganze Lehre von der Bcwcislast über den Haufen werfen, was eine Revolution von ganz unabsehbaren Folgen in unserm Rechtsleben herbeiführe» würde. Schwerlich aber würde daraus das Gefühl einer höher waltenden Ge¬ rechtigkeit erwachsen, wohl aber sehr häufig das Gefühl größter, vom Richter geübter Willkür. Gesetzt aber auch, man wollte nicht so weit gehen, man wollte weder beide Parteien als „Zeugen" vernehmen, noch die zu vernehmende Partei willkürlich auswählen, sondern in der That nur diejenige Partei als Zeuge vernehmen, der auch nach dem bestehenden Rechte der Eid zufiele; dann würde der Gegensatz noch immer darin liegen, daß der Richter von allen oben angeführten, die vor¬ sichtige Behandlung des Partcieueides bezweckenden Vorschriften entbunden wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/18>, abgerufen am 19.10.2024.