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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Land und Leute in Bulgarien.

andre ein Unding, das konstitutionelle Regiment also für ihn nicht anwendbar
und das parlamentarische noch weniger. Es war daher eine Absurdität, wenn
nicht ein Schachzug der russischen Politik, wenn man es in Bulgarien einführte.
In die äußere Form und Maschinerie des Volksvertretertnms dagegen fand sich
der bulgarische Bauer ziemlich leicht, einmal, weil er rasch begreift, dann, weil
er Vorübung zu der Sache mitbrachte. Sich mit der Regierung der Giaurs
zu befasse", war der Osmanli zu stolz und zu träge gewesen, und so waren die
bulgarischen Gemeinden während einer langen Fremdherrschaft, welche das Volk
vielfach mißhandelte und ausbeutete, unabhängig geblieben und hatten ihre be¬
sondern Angelegenheiten in öffentlichen Versammlungen selbständig ordnen und
verwalten gelernt. Die bäuerlichen Mitglieder des Sobranje, welche die große
Mehrzahl ausmachten, waren daher im Debattiren keineswegs unerfahren und
für die Behandlung der nächstliegenden Fragen nach dem, was vorteilhaft schien,
durchaus nicht ohne lokale Vorbildung. Nur das war ein Schade für das
Land, daß sie am Herkommen festhingen, nicht über die Gegenwart und ihr
Dorf oder ihren Kreis hinaussehen konnten und von der festen Überzeugung
geleitet waren, daß der bulgarische Bauer am klügsten thue, ein Bauer zu
bleiben und sich jeden Fortschritt, der doch nur Geld koste, möglichst weit vom
Leibe zu halten. Man hatte zu leben, man erfreute sich vielfach eines mäßigen
Wohlstandes, was wollte man mehr? Nur die Gebildeten, die Schulmeister
und Advokaten, kannten den Ehrgeiz, mit dem man höher hinaus will, als man
steht. Ein Adel existirte nicht, ein Stand von großen Grundbesitzern ebenso¬
wenig. Der Einfluß der Geistlichkeit war, seit ein nationaler Klerus den früher
griechischen ersetzt hatte, vou geringer Bedeutung. Sie dachte nicht daran, auf
die Handlungsweise der Gemeinden einzuwirken, und sie thut dies auch jetzt
nicht, wenn wir von einigen höher" Würdenträgern absehen, die sich mit Politik
befassen. "Die bulgarischen Priester, sagt Nenner,*) werden vom Bischof geweiht,
von der Gemeinde gewählt und von denen, die ihrer Leistungen bedürfen, bezahlt.
Sie sind großenteils unwissende Bauern, die ihr Feld gleich den andern be¬
arbeiten, und deren Vorzug mir in der Ordination besteht, die sie zur Ver¬
richtung gewisser Zeremonien befähigt. Die Religion ist hier wie in den meisten
Ländern orthodoxen Bekenntnisses übernatürliche Sicherung gegen das Böse in
der Natur, eine Schatzkammer von Zanbermitteln also, nicht eine Führerin zum
Sittlich-Guten. Wie sollte es rechtzeitig regnen, wie das Vieh gesund bleiben
und der Wolf von der Herde ferngehalten werden, wenn der Pope und sein
Segen nicht da wären? Darüber hinauszugehen und von so schwer begreif¬
lichen und übel in das feindliche Leben passenden Dingen wie Moral und edler
Menschlichkeit zu reden, würde ihm mit seiner Rohheit unmöglich und seinen



*) In der vor kurzem erschienenen, vielfach sehr belehrenden Broschüre: "Die bulgarische
Silnatwn."
Land und Leute in Bulgarien.

andre ein Unding, das konstitutionelle Regiment also für ihn nicht anwendbar
und das parlamentarische noch weniger. Es war daher eine Absurdität, wenn
nicht ein Schachzug der russischen Politik, wenn man es in Bulgarien einführte.
In die äußere Form und Maschinerie des Volksvertretertnms dagegen fand sich
der bulgarische Bauer ziemlich leicht, einmal, weil er rasch begreift, dann, weil
er Vorübung zu der Sache mitbrachte. Sich mit der Regierung der Giaurs
zu befasse», war der Osmanli zu stolz und zu träge gewesen, und so waren die
bulgarischen Gemeinden während einer langen Fremdherrschaft, welche das Volk
vielfach mißhandelte und ausbeutete, unabhängig geblieben und hatten ihre be¬
sondern Angelegenheiten in öffentlichen Versammlungen selbständig ordnen und
verwalten gelernt. Die bäuerlichen Mitglieder des Sobranje, welche die große
Mehrzahl ausmachten, waren daher im Debattiren keineswegs unerfahren und
für die Behandlung der nächstliegenden Fragen nach dem, was vorteilhaft schien,
durchaus nicht ohne lokale Vorbildung. Nur das war ein Schade für das
Land, daß sie am Herkommen festhingen, nicht über die Gegenwart und ihr
Dorf oder ihren Kreis hinaussehen konnten und von der festen Überzeugung
geleitet waren, daß der bulgarische Bauer am klügsten thue, ein Bauer zu
bleiben und sich jeden Fortschritt, der doch nur Geld koste, möglichst weit vom
Leibe zu halten. Man hatte zu leben, man erfreute sich vielfach eines mäßigen
Wohlstandes, was wollte man mehr? Nur die Gebildeten, die Schulmeister
und Advokaten, kannten den Ehrgeiz, mit dem man höher hinaus will, als man
steht. Ein Adel existirte nicht, ein Stand von großen Grundbesitzern ebenso¬
wenig. Der Einfluß der Geistlichkeit war, seit ein nationaler Klerus den früher
griechischen ersetzt hatte, vou geringer Bedeutung. Sie dachte nicht daran, auf
die Handlungsweise der Gemeinden einzuwirken, und sie thut dies auch jetzt
nicht, wenn wir von einigen höher» Würdenträgern absehen, die sich mit Politik
befassen. „Die bulgarischen Priester, sagt Nenner,*) werden vom Bischof geweiht,
von der Gemeinde gewählt und von denen, die ihrer Leistungen bedürfen, bezahlt.
Sie sind großenteils unwissende Bauern, die ihr Feld gleich den andern be¬
arbeiten, und deren Vorzug mir in der Ordination besteht, die sie zur Ver¬
richtung gewisser Zeremonien befähigt. Die Religion ist hier wie in den meisten
Ländern orthodoxen Bekenntnisses übernatürliche Sicherung gegen das Böse in
der Natur, eine Schatzkammer von Zanbermitteln also, nicht eine Führerin zum
Sittlich-Guten. Wie sollte es rechtzeitig regnen, wie das Vieh gesund bleiben
und der Wolf von der Herde ferngehalten werden, wenn der Pope und sein
Segen nicht da wären? Darüber hinauszugehen und von so schwer begreif¬
lichen und übel in das feindliche Leben passenden Dingen wie Moral und edler
Menschlichkeit zu reden, würde ihm mit seiner Rohheit unmöglich und seinen



*) In der vor kurzem erschienenen, vielfach sehr belehrenden Broschüre: „Die bulgarische
Silnatwn."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/165>, abgerufen am 20.10.2024.