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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

Jahreskursus würde das römische Recht, der zweite die Disziplinen des öffent¬
lichen Rechts einschließlich des Strafrechts und Prozesses, der dritte das Hcmdcls-
und Partikularrecht, der vierte die Volkswirtschaft zu umfassen haben. Jeder
Vorlesung wäre ein von dem Dozenten zu bestimmendes Lehrbuch zu Grunde
zu legen, und das Kolleg hätte nicht in dem Vortrage des Professors zu be¬
stehen, sondern in einer von diesem zu leitenden Besprechung eines bestimmten
Pensums. Dabei könnten Stellen aus den Quellen gelesen und einzelne praktische
Fälle zur Anschauung erörtert werden. Aufgabe namentlich der Privatdozenten
würde es sein, im Laufe des ganzen Quadricnninms das einmal Gelernte immer
wieder durch Disputatorien im Gedächtnis zu erhalten.

Man darf freilich diese vielen Examina nicht als chinesische Institution ins
Lächerliche ziehen. Es soll zugegeben werden, daß das Examen nur einen re¬
lativen Maßstab für Fleiß und Tüchtigkeit abgiebt, aber so lange man keinen
bessern hat, muß man sich mit diesem begnügen. Man wird jedes Examen auf
Fragen in der Klausur und auf eine mündliche Prüfung beschränken können,
und keiner dürfte zu einem neuen Kursus zugelassen werden, welcher den frühern
nicht mit bestandener Prüfung cibsolvirt hätte. Am Schlüsse des Universitäts¬
studiums hätte eine gesamte Prüfung über das Ganze in derselben Weise statt¬
zufinden. Wer das Bedürfnis zu einer akademischen Auszeichnung oder den
Beruf zu einer akademischen Thätigkeit empfände, könnte alsdann zur Vorlegung
einer wissenschaftlichen Arbeit veranlaßt werden, an die ein sehr viel strengerer
Maßstab, als es jetzt geschieht, zu stellen wäre. Bei einer solchen Vorbildung
auf der Universität würde eine praktische Ausbildung von drei Jahren vollauf
genügen; man müßte das Obergericht ganz als Vorbereitungsstadium ausschließen.
Der Hauptschwerpnnkt wäre auf Staatsanwaltschaft, Amtsgericht, Advokatur und
Landgericht zu legen, und im Auge zu behalten, daß es sich nur darum handeln
soll, die wissenschaftlich gewonnene Ausbildung zu verwerten. Dazu reichten
zwei Jahre aus, und das dritte könnte noch nach dem Belieben des Einzelnen
an einem Landratsamte oder einer Bezirksregierung verwendet werden. Die
Trennung von juristischem und administrativen Examen müßte wegfallen, die
Ausbildung in der Praxis aber unter einer sehr viel bessern Leitung stehen. Es
wird sich an jedem Kollegium ein und bei größern werden sich mehrere Beamte
finden lassen, welche gegen eine mäßige Zulage die Ausbildung der jünger"
Kollegen übernehmen, namentlich durch regelmäßige Vorlesungen nach Art der
Universitütskollegien dafür sorgen, daß die Wissenschaft des vaterländischen Rechts
nicht vernachlässigt werde. Am Schlüsse dieses Neferendariats hätte sich dann
das Asfessorexamen auf die praktische Kenntnis des geltenden Rechtes in der
Form von Klausurarbeiten und einer mündlichen Prüfung zu erstrecken.

Bei dem Charakter dieser Zeitschrift ist es nicht angebracht, die vorstehende
Skizze im Detail auszuführen und zu begründen. Es werden noch einige Be¬
merkungen genügen.


Zur Reform des juristischen Studiums.

Jahreskursus würde das römische Recht, der zweite die Disziplinen des öffent¬
lichen Rechts einschließlich des Strafrechts und Prozesses, der dritte das Hcmdcls-
und Partikularrecht, der vierte die Volkswirtschaft zu umfassen haben. Jeder
Vorlesung wäre ein von dem Dozenten zu bestimmendes Lehrbuch zu Grunde
zu legen, und das Kolleg hätte nicht in dem Vortrage des Professors zu be¬
stehen, sondern in einer von diesem zu leitenden Besprechung eines bestimmten
Pensums. Dabei könnten Stellen aus den Quellen gelesen und einzelne praktische
Fälle zur Anschauung erörtert werden. Aufgabe namentlich der Privatdozenten
würde es sein, im Laufe des ganzen Quadricnninms das einmal Gelernte immer
wieder durch Disputatorien im Gedächtnis zu erhalten.

Man darf freilich diese vielen Examina nicht als chinesische Institution ins
Lächerliche ziehen. Es soll zugegeben werden, daß das Examen nur einen re¬
lativen Maßstab für Fleiß und Tüchtigkeit abgiebt, aber so lange man keinen
bessern hat, muß man sich mit diesem begnügen. Man wird jedes Examen auf
Fragen in der Klausur und auf eine mündliche Prüfung beschränken können,
und keiner dürfte zu einem neuen Kursus zugelassen werden, welcher den frühern
nicht mit bestandener Prüfung cibsolvirt hätte. Am Schlüsse des Universitäts¬
studiums hätte eine gesamte Prüfung über das Ganze in derselben Weise statt¬
zufinden. Wer das Bedürfnis zu einer akademischen Auszeichnung oder den
Beruf zu einer akademischen Thätigkeit empfände, könnte alsdann zur Vorlegung
einer wissenschaftlichen Arbeit veranlaßt werden, an die ein sehr viel strengerer
Maßstab, als es jetzt geschieht, zu stellen wäre. Bei einer solchen Vorbildung
auf der Universität würde eine praktische Ausbildung von drei Jahren vollauf
genügen; man müßte das Obergericht ganz als Vorbereitungsstadium ausschließen.
Der Hauptschwerpnnkt wäre auf Staatsanwaltschaft, Amtsgericht, Advokatur und
Landgericht zu legen, und im Auge zu behalten, daß es sich nur darum handeln
soll, die wissenschaftlich gewonnene Ausbildung zu verwerten. Dazu reichten
zwei Jahre aus, und das dritte könnte noch nach dem Belieben des Einzelnen
an einem Landratsamte oder einer Bezirksregierung verwendet werden. Die
Trennung von juristischem und administrativen Examen müßte wegfallen, die
Ausbildung in der Praxis aber unter einer sehr viel bessern Leitung stehen. Es
wird sich an jedem Kollegium ein und bei größern werden sich mehrere Beamte
finden lassen, welche gegen eine mäßige Zulage die Ausbildung der jünger»
Kollegen übernehmen, namentlich durch regelmäßige Vorlesungen nach Art der
Universitütskollegien dafür sorgen, daß die Wissenschaft des vaterländischen Rechts
nicht vernachlässigt werde. Am Schlüsse dieses Neferendariats hätte sich dann
das Asfessorexamen auf die praktische Kenntnis des geltenden Rechtes in der
Form von Klausurarbeiten und einer mündlichen Prüfung zu erstrecken.

Bei dem Charakter dieser Zeitschrift ist es nicht angebracht, die vorstehende
Skizze im Detail auszuführen und zu begründen. Es werden noch einige Be¬
merkungen genügen.


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[0160] Zur Reform des juristischen Studiums. Jahreskursus würde das römische Recht, der zweite die Disziplinen des öffent¬ lichen Rechts einschließlich des Strafrechts und Prozesses, der dritte das Hcmdcls- und Partikularrecht, der vierte die Volkswirtschaft zu umfassen haben. Jeder Vorlesung wäre ein von dem Dozenten zu bestimmendes Lehrbuch zu Grunde zu legen, und das Kolleg hätte nicht in dem Vortrage des Professors zu be¬ stehen, sondern in einer von diesem zu leitenden Besprechung eines bestimmten Pensums. Dabei könnten Stellen aus den Quellen gelesen und einzelne praktische Fälle zur Anschauung erörtert werden. Aufgabe namentlich der Privatdozenten würde es sein, im Laufe des ganzen Quadricnninms das einmal Gelernte immer wieder durch Disputatorien im Gedächtnis zu erhalten. Man darf freilich diese vielen Examina nicht als chinesische Institution ins Lächerliche ziehen. Es soll zugegeben werden, daß das Examen nur einen re¬ lativen Maßstab für Fleiß und Tüchtigkeit abgiebt, aber so lange man keinen bessern hat, muß man sich mit diesem begnügen. Man wird jedes Examen auf Fragen in der Klausur und auf eine mündliche Prüfung beschränken können, und keiner dürfte zu einem neuen Kursus zugelassen werden, welcher den frühern nicht mit bestandener Prüfung cibsolvirt hätte. Am Schlüsse des Universitäts¬ studiums hätte eine gesamte Prüfung über das Ganze in derselben Weise statt¬ zufinden. Wer das Bedürfnis zu einer akademischen Auszeichnung oder den Beruf zu einer akademischen Thätigkeit empfände, könnte alsdann zur Vorlegung einer wissenschaftlichen Arbeit veranlaßt werden, an die ein sehr viel strengerer Maßstab, als es jetzt geschieht, zu stellen wäre. Bei einer solchen Vorbildung auf der Universität würde eine praktische Ausbildung von drei Jahren vollauf genügen; man müßte das Obergericht ganz als Vorbereitungsstadium ausschließen. Der Hauptschwerpnnkt wäre auf Staatsanwaltschaft, Amtsgericht, Advokatur und Landgericht zu legen, und im Auge zu behalten, daß es sich nur darum handeln soll, die wissenschaftlich gewonnene Ausbildung zu verwerten. Dazu reichten zwei Jahre aus, und das dritte könnte noch nach dem Belieben des Einzelnen an einem Landratsamte oder einer Bezirksregierung verwendet werden. Die Trennung von juristischem und administrativen Examen müßte wegfallen, die Ausbildung in der Praxis aber unter einer sehr viel bessern Leitung stehen. Es wird sich an jedem Kollegium ein und bei größern werden sich mehrere Beamte finden lassen, welche gegen eine mäßige Zulage die Ausbildung der jünger» Kollegen übernehmen, namentlich durch regelmäßige Vorlesungen nach Art der Universitütskollegien dafür sorgen, daß die Wissenschaft des vaterländischen Rechts nicht vernachlässigt werde. Am Schlüsse dieses Neferendariats hätte sich dann das Asfessorexamen auf die praktische Kenntnis des geltenden Rechtes in der Form von Klausurarbeiten und einer mündlichen Prüfung zu erstrecken. Bei dem Charakter dieser Zeitschrift ist es nicht angebracht, die vorstehende Skizze im Detail auszuführen und zu begründen. Es werden noch einige Be¬ merkungen genügen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/160>, abgerufen am 27.09.2024.