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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Vermag auch der Dozent, und ein verständiger wird es schon jetzt thun; auch
bei der Vorlesung über preußisches Grundbuchrecht hat ein früherer Professor
an der Berliner Universität feinen Zuhörern ein preußisches Gruudbuchblntt als
Muster herumgezeigt. Hierzu wäre also eine Vorbereitung in der Praxis nicht
nötig; wie aber soll sich in der Praxis ein Referendar mit einem Wechselprozesfe
zurecht finden? Muß er nicht immer wieder auf das Buch zurückgreifen, um
sich über das Wechselrecht zu unterrichten, oder will sich Dernburg damit be¬
gnügen, daß der Referendar des ersten Stadiums in der Praxis nur diejenige
Routine erlange, wie sie sich ein geschickter Gerichtsschreiber oder Protokoll¬
führer erwirbt? Werden dem Referendar, der sich nun im Besitze einer
solchen Routine befindet, in dem zweiten Universitätsstadium die Vorträge über
Anfechtung von Rechtsgeschäften oder Noterbrccht verständlicher werden?
Endlich aber ist nach dem Dernburgscheu Vorschlage für das erste Universitäts¬
stadium garnichts gewonnen. Dasselbe bleibt mit seinen bisherigen Mängeln,
wie es gewesen, wenn man auch zugeben muß, daß die letzteren deshalb weniger
fühlbar werden, weil eine Prüfung ein Jahr früher eintritt. Ob dadurch in
diesen Semestern der Kollegienbesuch ein fleißigerer sein wird als jetzt, darf
füglich bezweifelt werden. Denn die Gründe, welche denselben jetzt nicht reiz¬
voll und nützlich sein lassen, bleiben bestehen.

Dernburg berührt nur einmal ganz kurz die Vorbereitung in Frankreich.
Es wird nicht nötig sein, sie zu befolgen, aber sie wird immerhin für uns ein
gutes Vorbild werden können. Denn um es gleich vorweg zu sagen: trotz dieser
von den deutschen Professoren oft mit mitleidigem Achselzucken betrachteten Me¬
thode stehen die französischen Juristen den deutschen weder an Wissenschnftlichkeit
noch an praktischer Geschicklichkeit nach. Mau wird freilich behaupten müssen
-- und die ganze Geschichte beweist es --, daß die Franzosen sehr viel mehr
Anlage zur Jurisprudenz haben als die Deutschen, und nicht ohne Grund,
da sie den Römern stammverwandt sind. Die französische Rechtswissenschaft
weist Männer auf, welche nicht minder den Stolz der Nation ausmachen, als
Savigny und Eichhorn, und die juristische Literatur ist nicht minder umfang-
reich und gediegen als die deutsche; man muß nur Gerechtigkeit üben. Dabei
haben wir die Erscheinung, daß Theorie und Praxis dort sehr viel enger mit
eirunder verbunden sind als bei uns. Die Praktiker treiben sehr viel mehr
wissenschaftliche Studien, und die Theoretiker sind vielfach Advokaten oder Mit¬
glieder oberster Gerichte. Aber es wird nicht nötig sein, hier näher auf die
französische Methode einzugehen, denn nichts liegt uns ferner, als dieselbe
sklavisch nachzuahmen.

Wir würden nicht anstehen, das Universitätsstudium auf vier Jahre zu
verlängern, wenn je ein Jahrestursns eingeführt und je nach Absolvirung des¬
selben vor einer staatlichen Kommission, sei es auch nur unter einem nicht zur
Universität gehörigen Vorsitzenden, eine Prüfung abgelegt würde. Der erste


Vermag auch der Dozent, und ein verständiger wird es schon jetzt thun; auch
bei der Vorlesung über preußisches Grundbuchrecht hat ein früherer Professor
an der Berliner Universität feinen Zuhörern ein preußisches Gruudbuchblntt als
Muster herumgezeigt. Hierzu wäre also eine Vorbereitung in der Praxis nicht
nötig; wie aber soll sich in der Praxis ein Referendar mit einem Wechselprozesfe
zurecht finden? Muß er nicht immer wieder auf das Buch zurückgreifen, um
sich über das Wechselrecht zu unterrichten, oder will sich Dernburg damit be¬
gnügen, daß der Referendar des ersten Stadiums in der Praxis nur diejenige
Routine erlange, wie sie sich ein geschickter Gerichtsschreiber oder Protokoll¬
führer erwirbt? Werden dem Referendar, der sich nun im Besitze einer
solchen Routine befindet, in dem zweiten Universitätsstadium die Vorträge über
Anfechtung von Rechtsgeschäften oder Noterbrccht verständlicher werden?
Endlich aber ist nach dem Dernburgscheu Vorschlage für das erste Universitäts¬
stadium garnichts gewonnen. Dasselbe bleibt mit seinen bisherigen Mängeln,
wie es gewesen, wenn man auch zugeben muß, daß die letzteren deshalb weniger
fühlbar werden, weil eine Prüfung ein Jahr früher eintritt. Ob dadurch in
diesen Semestern der Kollegienbesuch ein fleißigerer sein wird als jetzt, darf
füglich bezweifelt werden. Denn die Gründe, welche denselben jetzt nicht reiz¬
voll und nützlich sein lassen, bleiben bestehen.

Dernburg berührt nur einmal ganz kurz die Vorbereitung in Frankreich.
Es wird nicht nötig sein, sie zu befolgen, aber sie wird immerhin für uns ein
gutes Vorbild werden können. Denn um es gleich vorweg zu sagen: trotz dieser
von den deutschen Professoren oft mit mitleidigem Achselzucken betrachteten Me¬
thode stehen die französischen Juristen den deutschen weder an Wissenschnftlichkeit
noch an praktischer Geschicklichkeit nach. Mau wird freilich behaupten müssen
— und die ganze Geschichte beweist es —, daß die Franzosen sehr viel mehr
Anlage zur Jurisprudenz haben als die Deutschen, und nicht ohne Grund,
da sie den Römern stammverwandt sind. Die französische Rechtswissenschaft
weist Männer auf, welche nicht minder den Stolz der Nation ausmachen, als
Savigny und Eichhorn, und die juristische Literatur ist nicht minder umfang-
reich und gediegen als die deutsche; man muß nur Gerechtigkeit üben. Dabei
haben wir die Erscheinung, daß Theorie und Praxis dort sehr viel enger mit
eirunder verbunden sind als bei uns. Die Praktiker treiben sehr viel mehr
wissenschaftliche Studien, und die Theoretiker sind vielfach Advokaten oder Mit¬
glieder oberster Gerichte. Aber es wird nicht nötig sein, hier näher auf die
französische Methode einzugehen, denn nichts liegt uns ferner, als dieselbe
sklavisch nachzuahmen.

Wir würden nicht anstehen, das Universitätsstudium auf vier Jahre zu
verlängern, wenn je ein Jahrestursns eingeführt und je nach Absolvirung des¬
selben vor einer staatlichen Kommission, sei es auch nur unter einem nicht zur
Universität gehörigen Vorsitzenden, eine Prüfung abgelegt würde. Der erste


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[0159] Vermag auch der Dozent, und ein verständiger wird es schon jetzt thun; auch bei der Vorlesung über preußisches Grundbuchrecht hat ein früherer Professor an der Berliner Universität feinen Zuhörern ein preußisches Gruudbuchblntt als Muster herumgezeigt. Hierzu wäre also eine Vorbereitung in der Praxis nicht nötig; wie aber soll sich in der Praxis ein Referendar mit einem Wechselprozesfe zurecht finden? Muß er nicht immer wieder auf das Buch zurückgreifen, um sich über das Wechselrecht zu unterrichten, oder will sich Dernburg damit be¬ gnügen, daß der Referendar des ersten Stadiums in der Praxis nur diejenige Routine erlange, wie sie sich ein geschickter Gerichtsschreiber oder Protokoll¬ führer erwirbt? Werden dem Referendar, der sich nun im Besitze einer solchen Routine befindet, in dem zweiten Universitätsstadium die Vorträge über Anfechtung von Rechtsgeschäften oder Noterbrccht verständlicher werden? Endlich aber ist nach dem Dernburgscheu Vorschlage für das erste Universitäts¬ stadium garnichts gewonnen. Dasselbe bleibt mit seinen bisherigen Mängeln, wie es gewesen, wenn man auch zugeben muß, daß die letzteren deshalb weniger fühlbar werden, weil eine Prüfung ein Jahr früher eintritt. Ob dadurch in diesen Semestern der Kollegienbesuch ein fleißigerer sein wird als jetzt, darf füglich bezweifelt werden. Denn die Gründe, welche denselben jetzt nicht reiz¬ voll und nützlich sein lassen, bleiben bestehen. Dernburg berührt nur einmal ganz kurz die Vorbereitung in Frankreich. Es wird nicht nötig sein, sie zu befolgen, aber sie wird immerhin für uns ein gutes Vorbild werden können. Denn um es gleich vorweg zu sagen: trotz dieser von den deutschen Professoren oft mit mitleidigem Achselzucken betrachteten Me¬ thode stehen die französischen Juristen den deutschen weder an Wissenschnftlichkeit noch an praktischer Geschicklichkeit nach. Mau wird freilich behaupten müssen — und die ganze Geschichte beweist es —, daß die Franzosen sehr viel mehr Anlage zur Jurisprudenz haben als die Deutschen, und nicht ohne Grund, da sie den Römern stammverwandt sind. Die französische Rechtswissenschaft weist Männer auf, welche nicht minder den Stolz der Nation ausmachen, als Savigny und Eichhorn, und die juristische Literatur ist nicht minder umfang- reich und gediegen als die deutsche; man muß nur Gerechtigkeit üben. Dabei haben wir die Erscheinung, daß Theorie und Praxis dort sehr viel enger mit eirunder verbunden sind als bei uns. Die Praktiker treiben sehr viel mehr wissenschaftliche Studien, und die Theoretiker sind vielfach Advokaten oder Mit¬ glieder oberster Gerichte. Aber es wird nicht nötig sein, hier näher auf die französische Methode einzugehen, denn nichts liegt uns ferner, als dieselbe sklavisch nachzuahmen. Wir würden nicht anstehen, das Universitätsstudium auf vier Jahre zu verlängern, wenn je ein Jahrestursns eingeführt und je nach Absolvirung des¬ selben vor einer staatlichen Kommission, sei es auch nur unter einem nicht zur Universität gehörigen Vorsitzenden, eine Prüfung abgelegt würde. Der erste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/159>, abgerufen am 27.09.2024.