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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Und Therese? Willst du nicht warten, bis sie sich besser befindet?

Was kann ich denn helfen? rief Bohemund ungeduldig. Ich muß fort,
und damit genug.

Cäcilie schüttelte den Kopf. Ich wollte, du sagtest mir lieber, was dich
so aus aller Ordnung gebracht hat, anstatt daß du dich wie närrisch geberdest.

Du magst recht haben. Es ist mir auch ein ganz närrischer Gedanke ge¬
kommen. Aber frage mich nicht; du würdest wohl nur Unsinn hören! Und ich
bitte dich, laß meine Sachen zurechtlegen, ich muß fort.

Wie du willst. Cäcilie verließ das Zimmer besorgt und unzufrieden. Dann
suchte sie mit der halb schlafenden Crispine, die von ihrem Niederdettenheimer
Hochzeitsfeste recht spät und ermüdet heimgekommen war, in Eile die betreffenden
Habseligkeiten zusammen und packte des Hofmarschalls Kofferchen, Die plötzliche
Erkrankung Theresens hatte außer den Kindern das ganze Haus wachgehalten;
so konnten die Vorkehrungen zu der raschen Abreise des Hausherrn getroffen
werden. Von alledem endlich auch ermüdet, war Cäcilie auf einem Stuhle ein¬
geschlafen, der sie zu einigen Augenblicken der Ruhe verlockt hatte. Dort schlief
sie, als der den Hofmarschall entführende Wagen in den dämmernden Morgen
hinausrollte, und schlief noch, als einige Stunden später Doktor Petri mit
ernstem Gesicht die Treppe erstieg.

Doktor Petri untersuchte die Kranke und fand, daß das Fieber nachgelassen
hatte; dagegen klagte sie über Schmerz im Halse und eine Engigkeit, die ihr
das Sprechen erschwere.

O o! meinte Petri. Bringen Sie mir ein Licht, Minna, und einen Löffel.
So, danke. Nun, das hätte ich allerdings nicht vermutet! Minna -- der
Doktor riß ein Blatt aus seinem Taschenbuche --, Sie müssen einen reitenden
Boten nach Rummelshausen in die Apotheke schicken; aber sofort! Hier ist
Diphtheritis eingetreten.

Na, ich dächte! brummte der Heinrich, der sich eben erst zum Schlafen
niedergelegt hatte, als die Minna mit dem Rezept eintrat. Nun soll's schon
wieder nach Rummelshanscn? So eine Nacht habe ich auch noch nicht erlebt!
Die Apotheker werden gerade wieder schlafen gegangen sein!

Schwatzt nicht so viel, Heinrich, sondern macht fort! unterbrach die Köchin
zornig seine Rede, der Schmidt wäre sechsmal fort in der Zeit.

Der Schmidt war trotz seiner Entfernung noch immer Heinrichs Anfechtung;
denn sowohl die Minna als das gnädige Frünlein führten ihn beständig im
Munde, um dem armen Nachfolger seine UnPünktlichkeit, Faulheit und Unge¬
schicklichkeit zu Gemüte zu führen und um ihm bei jeder Gelegenheit anzumerken,
daß er nicht halb so brauchbar sei wie der Schmidt. Nachdem aber der Heinrich
seinen Ärger verschluckt hatte, unterbrach er sich im Stiefclanziehen und rief
der Minna zu: Geht's denn schlimm mit der Gnädiger?

Aber die Minna, der es eilig war, nach der Krankenstube zurückzukommen,


Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Und Therese? Willst du nicht warten, bis sie sich besser befindet?

Was kann ich denn helfen? rief Bohemund ungeduldig. Ich muß fort,
und damit genug.

Cäcilie schüttelte den Kopf. Ich wollte, du sagtest mir lieber, was dich
so aus aller Ordnung gebracht hat, anstatt daß du dich wie närrisch geberdest.

Du magst recht haben. Es ist mir auch ein ganz närrischer Gedanke ge¬
kommen. Aber frage mich nicht; du würdest wohl nur Unsinn hören! Und ich
bitte dich, laß meine Sachen zurechtlegen, ich muß fort.

Wie du willst. Cäcilie verließ das Zimmer besorgt und unzufrieden. Dann
suchte sie mit der halb schlafenden Crispine, die von ihrem Niederdettenheimer
Hochzeitsfeste recht spät und ermüdet heimgekommen war, in Eile die betreffenden
Habseligkeiten zusammen und packte des Hofmarschalls Kofferchen, Die plötzliche
Erkrankung Theresens hatte außer den Kindern das ganze Haus wachgehalten;
so konnten die Vorkehrungen zu der raschen Abreise des Hausherrn getroffen
werden. Von alledem endlich auch ermüdet, war Cäcilie auf einem Stuhle ein¬
geschlafen, der sie zu einigen Augenblicken der Ruhe verlockt hatte. Dort schlief
sie, als der den Hofmarschall entführende Wagen in den dämmernden Morgen
hinausrollte, und schlief noch, als einige Stunden später Doktor Petri mit
ernstem Gesicht die Treppe erstieg.

Doktor Petri untersuchte die Kranke und fand, daß das Fieber nachgelassen
hatte; dagegen klagte sie über Schmerz im Halse und eine Engigkeit, die ihr
das Sprechen erschwere.

O o! meinte Petri. Bringen Sie mir ein Licht, Minna, und einen Löffel.
So, danke. Nun, das hätte ich allerdings nicht vermutet! Minna — der
Doktor riß ein Blatt aus seinem Taschenbuche —, Sie müssen einen reitenden
Boten nach Rummelshausen in die Apotheke schicken; aber sofort! Hier ist
Diphtheritis eingetreten.

Na, ich dächte! brummte der Heinrich, der sich eben erst zum Schlafen
niedergelegt hatte, als die Minna mit dem Rezept eintrat. Nun soll's schon
wieder nach Rummelshanscn? So eine Nacht habe ich auch noch nicht erlebt!
Die Apotheker werden gerade wieder schlafen gegangen sein!

Schwatzt nicht so viel, Heinrich, sondern macht fort! unterbrach die Köchin
zornig seine Rede, der Schmidt wäre sechsmal fort in der Zeit.

Der Schmidt war trotz seiner Entfernung noch immer Heinrichs Anfechtung;
denn sowohl die Minna als das gnädige Frünlein führten ihn beständig im
Munde, um dem armen Nachfolger seine UnPünktlichkeit, Faulheit und Unge¬
schicklichkeit zu Gemüte zu führen und um ihm bei jeder Gelegenheit anzumerken,
daß er nicht halb so brauchbar sei wie der Schmidt. Nachdem aber der Heinrich
seinen Ärger verschluckt hatte, unterbrach er sich im Stiefclanziehen und rief
der Minna zu: Geht's denn schlimm mit der Gnädiger?

Aber die Minna, der es eilig war, nach der Krankenstube zurückzukommen,


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[0148] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Und Therese? Willst du nicht warten, bis sie sich besser befindet? Was kann ich denn helfen? rief Bohemund ungeduldig. Ich muß fort, und damit genug. Cäcilie schüttelte den Kopf. Ich wollte, du sagtest mir lieber, was dich so aus aller Ordnung gebracht hat, anstatt daß du dich wie närrisch geberdest. Du magst recht haben. Es ist mir auch ein ganz närrischer Gedanke ge¬ kommen. Aber frage mich nicht; du würdest wohl nur Unsinn hören! Und ich bitte dich, laß meine Sachen zurechtlegen, ich muß fort. Wie du willst. Cäcilie verließ das Zimmer besorgt und unzufrieden. Dann suchte sie mit der halb schlafenden Crispine, die von ihrem Niederdettenheimer Hochzeitsfeste recht spät und ermüdet heimgekommen war, in Eile die betreffenden Habseligkeiten zusammen und packte des Hofmarschalls Kofferchen, Die plötzliche Erkrankung Theresens hatte außer den Kindern das ganze Haus wachgehalten; so konnten die Vorkehrungen zu der raschen Abreise des Hausherrn getroffen werden. Von alledem endlich auch ermüdet, war Cäcilie auf einem Stuhle ein¬ geschlafen, der sie zu einigen Augenblicken der Ruhe verlockt hatte. Dort schlief sie, als der den Hofmarschall entführende Wagen in den dämmernden Morgen hinausrollte, und schlief noch, als einige Stunden später Doktor Petri mit ernstem Gesicht die Treppe erstieg. Doktor Petri untersuchte die Kranke und fand, daß das Fieber nachgelassen hatte; dagegen klagte sie über Schmerz im Halse und eine Engigkeit, die ihr das Sprechen erschwere. O o! meinte Petri. Bringen Sie mir ein Licht, Minna, und einen Löffel. So, danke. Nun, das hätte ich allerdings nicht vermutet! Minna — der Doktor riß ein Blatt aus seinem Taschenbuche —, Sie müssen einen reitenden Boten nach Rummelshausen in die Apotheke schicken; aber sofort! Hier ist Diphtheritis eingetreten. Na, ich dächte! brummte der Heinrich, der sich eben erst zum Schlafen niedergelegt hatte, als die Minna mit dem Rezept eintrat. Nun soll's schon wieder nach Rummelshanscn? So eine Nacht habe ich auch noch nicht erlebt! Die Apotheker werden gerade wieder schlafen gegangen sein! Schwatzt nicht so viel, Heinrich, sondern macht fort! unterbrach die Köchin zornig seine Rede, der Schmidt wäre sechsmal fort in der Zeit. Der Schmidt war trotz seiner Entfernung noch immer Heinrichs Anfechtung; denn sowohl die Minna als das gnädige Frünlein führten ihn beständig im Munde, um dem armen Nachfolger seine UnPünktlichkeit, Faulheit und Unge¬ schicklichkeit zu Gemüte zu führen und um ihm bei jeder Gelegenheit anzumerken, daß er nicht halb so brauchbar sei wie der Schmidt. Nachdem aber der Heinrich seinen Ärger verschluckt hatte, unterbrach er sich im Stiefclanziehen und rief der Minna zu: Geht's denn schlimm mit der Gnädiger? Aber die Minna, der es eilig war, nach der Krankenstube zurückzukommen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/148>, abgerufen am 27.09.2024.