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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Theater der Reichshauxtstadt.

Befriedigung mehr fördert, als die dumpfe Lust, zu schauen und blöde zu
staunen, als solcher diene schließlich die große Menge der Volkstheater in der
Reichshauptstadt, Denn man wird hier nicht bloß Berlin, sondern vor allem
den fortwährend durchflutenden Strom von Besuchern aus dem Reiche in
Anschlag bringen müssen. Selbst der gewöhnlichste Tingeltangel kann meist
ohne einen, oft mehrere szenische sogenannte "Einakter" nicht durchkommen. Die
vornehmste uuter den Berliner Volksbühne", das alte "Wallnertheater," macht
gerade jetzt uuter einer thätigen, wagemutigen Direktion die heißesten An¬
strengungen, sich wieder auf die Höhe seines alten Glanzes zu schwingen. In
dem frühern "Ostcndtheater," der thränenfeuchten Stätte dramatisirtcr Garten-
lanbenromane und nur ab und zu höherer Gäste in Stücken und Darstellern,
in diesem auf völlig theciterloscm Revier gelegnen, großen und schönen Hause
hat Herr Direktor Kurz, auch ein altbewährter Wallneriancr, gerade jetzt wieder
die alte, gute deutsche Drameurettuugsidec "aus dem Volle heraus" erneuert.
Wir gönnen ihm schon für den bloßen Versuch von Herzen jene goldnen
Medaillen, die erfreulichsten und wichtigsten, die einem Theaterdirektor werden
können.

Wie eingangs angedeutet, die Aussichten sind auch diesmal gar vielver¬
sprechend -- für die Hoffenden. Aber sie treten diesmal sehr ruhig und be¬
scheiden auf, denu man hat inzwischen gelernt, ruhig und bescheiden zu sein.
Mögen sie gerade deshalb umso sicherer sich erfüllen und mögen wir es nie zu
beklagen haben, daß das Eröffnungsstück gerade -- "Der deutsche Michel" heißen
mußte! Dieser deutsche Michel ist ein ganz wirklicher deutscher Michel. Er
spricht in Jamben, er poltert, er hat Visionen und sieht oft uicht, was ein
Blinder sieht. Aber wir meinen, er könne auch auf der Bühne origineller und
komischer sein, als in dieser "Originalkomödie" des Wiener Schauspielers L. Rödel.
Ein "renommirter" Gast verkörperte ihn. Das sei deshalb erwähnt, weil das
feste Personal, welches Herr Kurz neu engagirt hat, in den Hauptvertretern
bis auf eine Ausnahme dem Können oder der Anlage nach mindestens auf seiner
Höhe stand. Das Theater verheißt ausgesuchte literarische Gaben, darunter
Wildenbruchs auf der Hofbühne unmögliches, vom "Deutschen Theater" ohne
Grundangabe zurückgewiesenes "Neues Gebot." Vielleicht führt uns die Auf¬
führung dieses vielbesprochenen Stückes gelegentlich auch auf die junge Bühne
zurück. Mau sieht, sie will gleich sehr ernsthaft genommen sein, ein Eindruck,
den man auch von der geschmackvollen, durchaus würdigen Ausstattung und der
unter ihren Verhältnissen sicherlich sehr mühevollen, gelungner Einstudirung
erhält. Wir freuen uns, daß wir so wenigstens am Schlüsse auf unsern Anfang
zurückkommen können, auf jene frohschüchterne Frage: Ob nicht aus Korn und
Mohne -- noch eine bunte Krone -- wert, daß man ihrer schone -- sich sammeln
lasse still und treu?




Grenzboten IV. 138".l8
Die Theater der Reichshauxtstadt.

Befriedigung mehr fördert, als die dumpfe Lust, zu schauen und blöde zu
staunen, als solcher diene schließlich die große Menge der Volkstheater in der
Reichshauptstadt, Denn man wird hier nicht bloß Berlin, sondern vor allem
den fortwährend durchflutenden Strom von Besuchern aus dem Reiche in
Anschlag bringen müssen. Selbst der gewöhnlichste Tingeltangel kann meist
ohne einen, oft mehrere szenische sogenannte „Einakter" nicht durchkommen. Die
vornehmste uuter den Berliner Volksbühne«, das alte „Wallnertheater," macht
gerade jetzt uuter einer thätigen, wagemutigen Direktion die heißesten An¬
strengungen, sich wieder auf die Höhe seines alten Glanzes zu schwingen. In
dem frühern „Ostcndtheater," der thränenfeuchten Stätte dramatisirtcr Garten-
lanbenromane und nur ab und zu höherer Gäste in Stücken und Darstellern,
in diesem auf völlig theciterloscm Revier gelegnen, großen und schönen Hause
hat Herr Direktor Kurz, auch ein altbewährter Wallneriancr, gerade jetzt wieder
die alte, gute deutsche Drameurettuugsidec „aus dem Volle heraus" erneuert.
Wir gönnen ihm schon für den bloßen Versuch von Herzen jene goldnen
Medaillen, die erfreulichsten und wichtigsten, die einem Theaterdirektor werden
können.

Wie eingangs angedeutet, die Aussichten sind auch diesmal gar vielver¬
sprechend — für die Hoffenden. Aber sie treten diesmal sehr ruhig und be¬
scheiden auf, denu man hat inzwischen gelernt, ruhig und bescheiden zu sein.
Mögen sie gerade deshalb umso sicherer sich erfüllen und mögen wir es nie zu
beklagen haben, daß das Eröffnungsstück gerade — „Der deutsche Michel" heißen
mußte! Dieser deutsche Michel ist ein ganz wirklicher deutscher Michel. Er
spricht in Jamben, er poltert, er hat Visionen und sieht oft uicht, was ein
Blinder sieht. Aber wir meinen, er könne auch auf der Bühne origineller und
komischer sein, als in dieser „Originalkomödie" des Wiener Schauspielers L. Rödel.
Ein „renommirter" Gast verkörperte ihn. Das sei deshalb erwähnt, weil das
feste Personal, welches Herr Kurz neu engagirt hat, in den Hauptvertretern
bis auf eine Ausnahme dem Können oder der Anlage nach mindestens auf seiner
Höhe stand. Das Theater verheißt ausgesuchte literarische Gaben, darunter
Wildenbruchs auf der Hofbühne unmögliches, vom „Deutschen Theater" ohne
Grundangabe zurückgewiesenes „Neues Gebot." Vielleicht führt uns die Auf¬
führung dieses vielbesprochenen Stückes gelegentlich auch auf die junge Bühne
zurück. Mau sieht, sie will gleich sehr ernsthaft genommen sein, ein Eindruck,
den man auch von der geschmackvollen, durchaus würdigen Ausstattung und der
unter ihren Verhältnissen sicherlich sehr mühevollen, gelungner Einstudirung
erhält. Wir freuen uns, daß wir so wenigstens am Schlüsse auf unsern Anfang
zurückkommen können, auf jene frohschüchterne Frage: Ob nicht aus Korn und
Mohne — noch eine bunte Krone — wert, daß man ihrer schone — sich sammeln
lasse still und treu?




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[0145] Die Theater der Reichshauxtstadt. Befriedigung mehr fördert, als die dumpfe Lust, zu schauen und blöde zu staunen, als solcher diene schließlich die große Menge der Volkstheater in der Reichshauptstadt, Denn man wird hier nicht bloß Berlin, sondern vor allem den fortwährend durchflutenden Strom von Besuchern aus dem Reiche in Anschlag bringen müssen. Selbst der gewöhnlichste Tingeltangel kann meist ohne einen, oft mehrere szenische sogenannte „Einakter" nicht durchkommen. Die vornehmste uuter den Berliner Volksbühne«, das alte „Wallnertheater," macht gerade jetzt uuter einer thätigen, wagemutigen Direktion die heißesten An¬ strengungen, sich wieder auf die Höhe seines alten Glanzes zu schwingen. In dem frühern „Ostcndtheater," der thränenfeuchten Stätte dramatisirtcr Garten- lanbenromane und nur ab und zu höherer Gäste in Stücken und Darstellern, in diesem auf völlig theciterloscm Revier gelegnen, großen und schönen Hause hat Herr Direktor Kurz, auch ein altbewährter Wallneriancr, gerade jetzt wieder die alte, gute deutsche Drameurettuugsidec „aus dem Volle heraus" erneuert. Wir gönnen ihm schon für den bloßen Versuch von Herzen jene goldnen Medaillen, die erfreulichsten und wichtigsten, die einem Theaterdirektor werden können. Wie eingangs angedeutet, die Aussichten sind auch diesmal gar vielver¬ sprechend — für die Hoffenden. Aber sie treten diesmal sehr ruhig und be¬ scheiden auf, denu man hat inzwischen gelernt, ruhig und bescheiden zu sein. Mögen sie gerade deshalb umso sicherer sich erfüllen und mögen wir es nie zu beklagen haben, daß das Eröffnungsstück gerade — „Der deutsche Michel" heißen mußte! Dieser deutsche Michel ist ein ganz wirklicher deutscher Michel. Er spricht in Jamben, er poltert, er hat Visionen und sieht oft uicht, was ein Blinder sieht. Aber wir meinen, er könne auch auf der Bühne origineller und komischer sein, als in dieser „Originalkomödie" des Wiener Schauspielers L. Rödel. Ein „renommirter" Gast verkörperte ihn. Das sei deshalb erwähnt, weil das feste Personal, welches Herr Kurz neu engagirt hat, in den Hauptvertretern bis auf eine Ausnahme dem Können oder der Anlage nach mindestens auf seiner Höhe stand. Das Theater verheißt ausgesuchte literarische Gaben, darunter Wildenbruchs auf der Hofbühne unmögliches, vom „Deutschen Theater" ohne Grundangabe zurückgewiesenes „Neues Gebot." Vielleicht führt uns die Auf¬ führung dieses vielbesprochenen Stückes gelegentlich auch auf die junge Bühne zurück. Mau sieht, sie will gleich sehr ernsthaft genommen sein, ein Eindruck, den man auch von der geschmackvollen, durchaus würdigen Ausstattung und der unter ihren Verhältnissen sicherlich sehr mühevollen, gelungner Einstudirung erhält. Wir freuen uns, daß wir so wenigstens am Schlüsse auf unsern Anfang zurückkommen können, auf jene frohschüchterne Frage: Ob nicht aus Korn und Mohne — noch eine bunte Krone — wert, daß man ihrer schone — sich sammeln lasse still und treu? Grenzboten IV. 138«.l8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/145>, abgerufen am 27.09.2024.