Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichtorfreundmnen.

mit ihr gedacht habe, ist kaum anzunehmen. Denn er wußte zu gut, wie leiden¬
schaftlich auch andre, unter diesen der Herzog, sie verehrten, und er hatte Co-
rona mehrmals in Verdacht, daß sie die ihr von andrer Seite gebrachten
Huldigungen gnr zu nachsichtig aufnehme. War es anch nur ein Verdacht, so
konnte doch der Wunsch nach einer Verbindung mit ihr dadurch nicht genährt
werden. Es ist überhaupt fraglich, ob Goethe am Weimarer Hofe eine seiner
würdigen Gattin gefunden hätte, aber er hatte auswärts so viele ihm eng be¬
freundete Familien, daß er eine Wahl wohl hätte treffen können. Seine Liebe
zu der verheirateten Frau ließ ihn nicht dazu kommen.

Auch das war ein Nachteil des Verhältnisses zu Fran von Stein, daß
er ihr zuliebe allzulange in den drückenden amtlichen Stellungen verblieb, die
ihn von seinem eigentlichen Berufe abzogen. Wenn er vielleicht glaubte, daß
er durch den Liebesbund mit der Verheirateten eine größere Freiheit seiner Ent¬
schließungen bewahrte, so irrte er sich. Er belud sich so sehr mit Verpflich¬
tungen gegen sie, gab sich so sehr dein Umgange mit ihr hin, daß er zu einem
raschen, kräftigen Entschlüsse nicht gelangte, viele Jahre vergeudete und doch
endlich sich gewaltsam losreißen mußte. Wäre sein Bund mit ihr nur ein
geistiger gewesen, so hätte er seine Freiheit besser gewahrt.

Der Knlturhistoriker wird sich immer und immer wieder fragen: Wie kam
unser großer Dichter zu dieser sittlichen Verirrung seiner Neigung? Mißachtete
er die Ehe? Verteidigte er den Ehebruch? Keineswegs. Wie er sich mit männ¬
licher Entschlossenheit von der Wetzlarer Lotte losriß, weil sie die Braut eines
andern war, so läßt er Mittler in den Wahlverwandtschaften strenge Worte
über die geringste Störung des ehelichen Bundes sagen und Ottilie, erschüttert
von diesem Richtersprüche, sterben. Aber licbesselige Freundschaften mit ver¬
heirateten Frauen waren ihm nicht nnr nichts Anstößiges, sondern etwas sehr
Anziehendes. Bestärkte er doch selbst den Herzog, den er gern so vollkommen
als möglich sehen wollte, eine solche Liebesfreundschaft mit der anmutigen Fran
Werther auf neunseitigen einzugehen. Diese von Liebe durchglühten Freund¬
schaften sind ein Merkmal der Geniezeit im vorigen Jahrhundert, unser durch¬
aus verändertes Gesellschaftsleben kennt sie nicht. Schiller huldigte ihnen, bei
Wilhelm von Humboldt finden sich Spuren, die Romantiker versanken tief
hinein, uns sind sie unbegreiflich. Und wenn wir uns noch so lebhaft in ein
solches Verhältnis hineindenken. immer bleibt ein Nest, der nicht lösbar ist --
eine Mahnung, auf welche Schwierigkeiten man stößt, sobald man die Ver¬
gangenheit kulturhistorisch in ihren Einzelheiten erfassen will. Man hat sich
lustig gemacht über die Gründlichkeit der Goethebiographen, über die "Wasch¬
zettelliteratur." Kulturgeschichtlich hat diese Einzelstndie einen hohen Wert.
Hier hat man eine nicht allznentlegcne Vergangenheit, einen engen Raum, eine
übersichtliche Zeit und eine sehr reiche Überlieferung- Hier kann also der Versuch
gemacht werde", wie weit der Historiker ein Stück des frühern Lebens gleichsam


Grmzbot-in IV. 1886. 17
Dichtorfreundmnen.

mit ihr gedacht habe, ist kaum anzunehmen. Denn er wußte zu gut, wie leiden¬
schaftlich auch andre, unter diesen der Herzog, sie verehrten, und er hatte Co-
rona mehrmals in Verdacht, daß sie die ihr von andrer Seite gebrachten
Huldigungen gnr zu nachsichtig aufnehme. War es anch nur ein Verdacht, so
konnte doch der Wunsch nach einer Verbindung mit ihr dadurch nicht genährt
werden. Es ist überhaupt fraglich, ob Goethe am Weimarer Hofe eine seiner
würdigen Gattin gefunden hätte, aber er hatte auswärts so viele ihm eng be¬
freundete Familien, daß er eine Wahl wohl hätte treffen können. Seine Liebe
zu der verheirateten Frau ließ ihn nicht dazu kommen.

Auch das war ein Nachteil des Verhältnisses zu Fran von Stein, daß
er ihr zuliebe allzulange in den drückenden amtlichen Stellungen verblieb, die
ihn von seinem eigentlichen Berufe abzogen. Wenn er vielleicht glaubte, daß
er durch den Liebesbund mit der Verheirateten eine größere Freiheit seiner Ent¬
schließungen bewahrte, so irrte er sich. Er belud sich so sehr mit Verpflich¬
tungen gegen sie, gab sich so sehr dein Umgange mit ihr hin, daß er zu einem
raschen, kräftigen Entschlüsse nicht gelangte, viele Jahre vergeudete und doch
endlich sich gewaltsam losreißen mußte. Wäre sein Bund mit ihr nur ein
geistiger gewesen, so hätte er seine Freiheit besser gewahrt.

Der Knlturhistoriker wird sich immer und immer wieder fragen: Wie kam
unser großer Dichter zu dieser sittlichen Verirrung seiner Neigung? Mißachtete
er die Ehe? Verteidigte er den Ehebruch? Keineswegs. Wie er sich mit männ¬
licher Entschlossenheit von der Wetzlarer Lotte losriß, weil sie die Braut eines
andern war, so läßt er Mittler in den Wahlverwandtschaften strenge Worte
über die geringste Störung des ehelichen Bundes sagen und Ottilie, erschüttert
von diesem Richtersprüche, sterben. Aber licbesselige Freundschaften mit ver¬
heirateten Frauen waren ihm nicht nnr nichts Anstößiges, sondern etwas sehr
Anziehendes. Bestärkte er doch selbst den Herzog, den er gern so vollkommen
als möglich sehen wollte, eine solche Liebesfreundschaft mit der anmutigen Fran
Werther auf neunseitigen einzugehen. Diese von Liebe durchglühten Freund¬
schaften sind ein Merkmal der Geniezeit im vorigen Jahrhundert, unser durch¬
aus verändertes Gesellschaftsleben kennt sie nicht. Schiller huldigte ihnen, bei
Wilhelm von Humboldt finden sich Spuren, die Romantiker versanken tief
hinein, uns sind sie unbegreiflich. Und wenn wir uns noch so lebhaft in ein
solches Verhältnis hineindenken. immer bleibt ein Nest, der nicht lösbar ist —
eine Mahnung, auf welche Schwierigkeiten man stößt, sobald man die Ver¬
gangenheit kulturhistorisch in ihren Einzelheiten erfassen will. Man hat sich
lustig gemacht über die Gründlichkeit der Goethebiographen, über die „Wasch¬
zettelliteratur." Kulturgeschichtlich hat diese Einzelstndie einen hohen Wert.
Hier hat man eine nicht allznentlegcne Vergangenheit, einen engen Raum, eine
übersichtliche Zeit und eine sehr reiche Überlieferung- Hier kann also der Versuch
gemacht werde», wie weit der Historiker ein Stück des frühern Lebens gleichsam


Grmzbot-in IV. 1886. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199491"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichtorfreundmnen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_461" prev="#ID_460"> mit ihr gedacht habe, ist kaum anzunehmen. Denn er wußte zu gut, wie leiden¬<lb/>
schaftlich auch andre, unter diesen der Herzog, sie verehrten, und er hatte Co-<lb/>
rona mehrmals in Verdacht, daß sie die ihr von andrer Seite gebrachten<lb/>
Huldigungen gnr zu nachsichtig aufnehme. War es anch nur ein Verdacht, so<lb/>
konnte doch der Wunsch nach einer Verbindung mit ihr dadurch nicht genährt<lb/>
werden. Es ist überhaupt fraglich, ob Goethe am Weimarer Hofe eine seiner<lb/>
würdigen Gattin gefunden hätte, aber er hatte auswärts so viele ihm eng be¬<lb/>
freundete Familien, daß er eine Wahl wohl hätte treffen können. Seine Liebe<lb/>
zu der verheirateten Frau ließ ihn nicht dazu kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_462"> Auch das war ein Nachteil des Verhältnisses zu Fran von Stein, daß<lb/>
er ihr zuliebe allzulange in den drückenden amtlichen Stellungen verblieb, die<lb/>
ihn von seinem eigentlichen Berufe abzogen. Wenn er vielleicht glaubte, daß<lb/>
er durch den Liebesbund mit der Verheirateten eine größere Freiheit seiner Ent¬<lb/>
schließungen bewahrte, so irrte er sich. Er belud sich so sehr mit Verpflich¬<lb/>
tungen gegen sie, gab sich so sehr dein Umgange mit ihr hin, daß er zu einem<lb/>
raschen, kräftigen Entschlüsse nicht gelangte, viele Jahre vergeudete und doch<lb/>
endlich sich gewaltsam losreißen mußte. Wäre sein Bund mit ihr nur ein<lb/>
geistiger gewesen, so hätte er seine Freiheit besser gewahrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_463" next="#ID_464"> Der Knlturhistoriker wird sich immer und immer wieder fragen: Wie kam<lb/>
unser großer Dichter zu dieser sittlichen Verirrung seiner Neigung? Mißachtete<lb/>
er die Ehe? Verteidigte er den Ehebruch? Keineswegs. Wie er sich mit männ¬<lb/>
licher Entschlossenheit von der Wetzlarer Lotte losriß, weil sie die Braut eines<lb/>
andern war, so läßt er Mittler in den Wahlverwandtschaften strenge Worte<lb/>
über die geringste Störung des ehelichen Bundes sagen und Ottilie, erschüttert<lb/>
von diesem Richtersprüche, sterben. Aber licbesselige Freundschaften mit ver¬<lb/>
heirateten Frauen waren ihm nicht nnr nichts Anstößiges, sondern etwas sehr<lb/>
Anziehendes. Bestärkte er doch selbst den Herzog, den er gern so vollkommen<lb/>
als möglich sehen wollte, eine solche Liebesfreundschaft mit der anmutigen Fran<lb/>
Werther auf neunseitigen einzugehen. Diese von Liebe durchglühten Freund¬<lb/>
schaften sind ein Merkmal der Geniezeit im vorigen Jahrhundert, unser durch¬<lb/>
aus verändertes Gesellschaftsleben kennt sie nicht. Schiller huldigte ihnen, bei<lb/>
Wilhelm von Humboldt finden sich Spuren, die Romantiker versanken tief<lb/>
hinein, uns sind sie unbegreiflich. Und wenn wir uns noch so lebhaft in ein<lb/>
solches Verhältnis hineindenken. immer bleibt ein Nest, der nicht lösbar ist &#x2014;<lb/>
eine Mahnung, auf welche Schwierigkeiten man stößt, sobald man die Ver¬<lb/>
gangenheit kulturhistorisch in ihren Einzelheiten erfassen will. Man hat sich<lb/>
lustig gemacht über die Gründlichkeit der Goethebiographen, über die &#x201E;Wasch¬<lb/>
zettelliteratur." Kulturgeschichtlich hat diese Einzelstndie einen hohen Wert.<lb/>
Hier hat man eine nicht allznentlegcne Vergangenheit, einen engen Raum, eine<lb/>
übersichtliche Zeit und eine sehr reiche Überlieferung- Hier kann also der Versuch<lb/>
gemacht werde», wie weit der Historiker ein Stück des frühern Lebens gleichsam</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbot-in IV. 1886. 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0137] Dichtorfreundmnen. mit ihr gedacht habe, ist kaum anzunehmen. Denn er wußte zu gut, wie leiden¬ schaftlich auch andre, unter diesen der Herzog, sie verehrten, und er hatte Co- rona mehrmals in Verdacht, daß sie die ihr von andrer Seite gebrachten Huldigungen gnr zu nachsichtig aufnehme. War es anch nur ein Verdacht, so konnte doch der Wunsch nach einer Verbindung mit ihr dadurch nicht genährt werden. Es ist überhaupt fraglich, ob Goethe am Weimarer Hofe eine seiner würdigen Gattin gefunden hätte, aber er hatte auswärts so viele ihm eng be¬ freundete Familien, daß er eine Wahl wohl hätte treffen können. Seine Liebe zu der verheirateten Frau ließ ihn nicht dazu kommen. Auch das war ein Nachteil des Verhältnisses zu Fran von Stein, daß er ihr zuliebe allzulange in den drückenden amtlichen Stellungen verblieb, die ihn von seinem eigentlichen Berufe abzogen. Wenn er vielleicht glaubte, daß er durch den Liebesbund mit der Verheirateten eine größere Freiheit seiner Ent¬ schließungen bewahrte, so irrte er sich. Er belud sich so sehr mit Verpflich¬ tungen gegen sie, gab sich so sehr dein Umgange mit ihr hin, daß er zu einem raschen, kräftigen Entschlüsse nicht gelangte, viele Jahre vergeudete und doch endlich sich gewaltsam losreißen mußte. Wäre sein Bund mit ihr nur ein geistiger gewesen, so hätte er seine Freiheit besser gewahrt. Der Knlturhistoriker wird sich immer und immer wieder fragen: Wie kam unser großer Dichter zu dieser sittlichen Verirrung seiner Neigung? Mißachtete er die Ehe? Verteidigte er den Ehebruch? Keineswegs. Wie er sich mit männ¬ licher Entschlossenheit von der Wetzlarer Lotte losriß, weil sie die Braut eines andern war, so läßt er Mittler in den Wahlverwandtschaften strenge Worte über die geringste Störung des ehelichen Bundes sagen und Ottilie, erschüttert von diesem Richtersprüche, sterben. Aber licbesselige Freundschaften mit ver¬ heirateten Frauen waren ihm nicht nnr nichts Anstößiges, sondern etwas sehr Anziehendes. Bestärkte er doch selbst den Herzog, den er gern so vollkommen als möglich sehen wollte, eine solche Liebesfreundschaft mit der anmutigen Fran Werther auf neunseitigen einzugehen. Diese von Liebe durchglühten Freund¬ schaften sind ein Merkmal der Geniezeit im vorigen Jahrhundert, unser durch¬ aus verändertes Gesellschaftsleben kennt sie nicht. Schiller huldigte ihnen, bei Wilhelm von Humboldt finden sich Spuren, die Romantiker versanken tief hinein, uns sind sie unbegreiflich. Und wenn wir uns noch so lebhaft in ein solches Verhältnis hineindenken. immer bleibt ein Nest, der nicht lösbar ist — eine Mahnung, auf welche Schwierigkeiten man stößt, sobald man die Ver¬ gangenheit kulturhistorisch in ihren Einzelheiten erfassen will. Man hat sich lustig gemacht über die Gründlichkeit der Goethebiographen, über die „Wasch¬ zettelliteratur." Kulturgeschichtlich hat diese Einzelstndie einen hohen Wert. Hier hat man eine nicht allznentlegcne Vergangenheit, einen engen Raum, eine übersichtliche Zeit und eine sehr reiche Überlieferung- Hier kann also der Versuch gemacht werde», wie weit der Historiker ein Stück des frühern Lebens gleichsam Grmzbot-in IV. 1886. 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/137
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/137>, abgerufen am 27.09.2024.