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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

oder außerhalb Deutschlands über die Politik des Reichskanzlers sagen mag,
sie ist, unbeeinflußt von Furcht oder andern Gefühlen, auf Erhaltung der
Ruhe Europas durch Vermittlung auf Grund von Billigkeitsrücksichtcn gerichtet
gewesen und bis jetzt mit Erfolg und Aussicht auf ferneres Gelingen. Man
sollte ihr dafür danken, statt sie kurzsichtig und im Hinblick auf demokratische
Theorien und Vorurteile zu tadeln. Man darf sich aber zugleich daran erinnern,
daß sie in dem trefflichen deutschen Heere, der Schöpfung unsers Kaisers, die
stets auf dem Niveau höchster Vollkommenheit erhalten wird, einen mächtigen
Rückhalt und Stützpunkt hat, welcher heutzutage Wohl eigentlich der eherne
Fels ist, der in dem Drang und Schwall einander bekämpfender Interessen
von Nationen und Staaten, von Parteien und Faktioncn die Zuversicht ans
einen guten Ausgang aufrecht erhält.

Was wir hier sagten, gilt selbstverständlich nur von der Gegenwart und
der nächsten Zukunft. Weiterhin sehen nur Propheten. An der langen Grenz¬
linie zwischen den Donaumündungen und Krakau und innerhalb dieser weit¬
gestreckten Kurve liegen in Nebel und Dämmerung allerlei Möglichkeiten und
Wahrscheinlichkeiten, die zu Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen
den beiden Nachbarstaaten werden können, sodaß es niemals an Gefahren fehlen
wird. Österreich-Ungarn ist ein Doppelstaat, und die Zwillinge können einmal
in Lebensfragen verschiedner Ansicht sein und dem Folge geben. Österreich (wir
meinen die Negierung) beobachtet jetzt wie Deutschland eine gleichgültige Haltung
gegen das, was an der untern Donau vorgeht, es überläßt die Ordnung des
Geschickes der dortigen Volker bis zu gewissen Schranken der slawischen Macht,
die ihre Augen nach Süden richtet. Ju Ungarn empfinden weite Kreise Be¬
sorgnis darüber, aber wir glauben, ohne ernsten Grund für die Gegenwart und
die nächsten Jahre. Niemand weiß, welche Schwierigkeiten sich in Zukunft nach
den jetzt im wesentlichen beseitigten dort erheben werden, und welche Konflikte
die Zukunft in ihrem Schoße bergen mag. Gewiß scheint nur, daß der deutsche
Kanzler der Maun sein wird, der sich in die Mittel findet, sie zu bemeistern,
und Wege zur Lösung zu entdecken wie bisher. So lange er lebt und sein
Rat vertrauensvoller Beachtung begegnet, ist nichts zu befürchten. Die spätere
Welt wird für sich zu denken und zu sorgen haben, und wenn ihr sein Genie
fehlt, wenigstens den Bahnen desselben zu folgen, von ihm zu lernen und
darnach sich einzurichten.

Die englische Politik namentlich könnte von ihm lernen, billig und folge¬
richtig zu verfahren. Sie hat in Bulgarien nicht glücklich gespielt, nur Un¬
frieden gestiftet und Unheil geerntet. Bismarck ist nicht, wie viele Engländer
meinen, ein Gegner Englands, der Rußlands Interesse gegen das britische
unterstützt. Wohlwollend gegen England, konnte er mit demselben nur ans dem
festländischen Gebiete nicht arbeiten, einmal, weil er nie wissen konnte, welche
Politik es in der nächsten Zukunft verfolgen würde, dann, weil es zwar eine


Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

oder außerhalb Deutschlands über die Politik des Reichskanzlers sagen mag,
sie ist, unbeeinflußt von Furcht oder andern Gefühlen, auf Erhaltung der
Ruhe Europas durch Vermittlung auf Grund von Billigkeitsrücksichtcn gerichtet
gewesen und bis jetzt mit Erfolg und Aussicht auf ferneres Gelingen. Man
sollte ihr dafür danken, statt sie kurzsichtig und im Hinblick auf demokratische
Theorien und Vorurteile zu tadeln. Man darf sich aber zugleich daran erinnern,
daß sie in dem trefflichen deutschen Heere, der Schöpfung unsers Kaisers, die
stets auf dem Niveau höchster Vollkommenheit erhalten wird, einen mächtigen
Rückhalt und Stützpunkt hat, welcher heutzutage Wohl eigentlich der eherne
Fels ist, der in dem Drang und Schwall einander bekämpfender Interessen
von Nationen und Staaten, von Parteien und Faktioncn die Zuversicht ans
einen guten Ausgang aufrecht erhält.

Was wir hier sagten, gilt selbstverständlich nur von der Gegenwart und
der nächsten Zukunft. Weiterhin sehen nur Propheten. An der langen Grenz¬
linie zwischen den Donaumündungen und Krakau und innerhalb dieser weit¬
gestreckten Kurve liegen in Nebel und Dämmerung allerlei Möglichkeiten und
Wahrscheinlichkeiten, die zu Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen
den beiden Nachbarstaaten werden können, sodaß es niemals an Gefahren fehlen
wird. Österreich-Ungarn ist ein Doppelstaat, und die Zwillinge können einmal
in Lebensfragen verschiedner Ansicht sein und dem Folge geben. Österreich (wir
meinen die Negierung) beobachtet jetzt wie Deutschland eine gleichgültige Haltung
gegen das, was an der untern Donau vorgeht, es überläßt die Ordnung des
Geschickes der dortigen Volker bis zu gewissen Schranken der slawischen Macht,
die ihre Augen nach Süden richtet. Ju Ungarn empfinden weite Kreise Be¬
sorgnis darüber, aber wir glauben, ohne ernsten Grund für die Gegenwart und
die nächsten Jahre. Niemand weiß, welche Schwierigkeiten sich in Zukunft nach
den jetzt im wesentlichen beseitigten dort erheben werden, und welche Konflikte
die Zukunft in ihrem Schoße bergen mag. Gewiß scheint nur, daß der deutsche
Kanzler der Maun sein wird, der sich in die Mittel findet, sie zu bemeistern,
und Wege zur Lösung zu entdecken wie bisher. So lange er lebt und sein
Rat vertrauensvoller Beachtung begegnet, ist nichts zu befürchten. Die spätere
Welt wird für sich zu denken und zu sorgen haben, und wenn ihr sein Genie
fehlt, wenigstens den Bahnen desselben zu folgen, von ihm zu lernen und
darnach sich einzurichten.

Die englische Politik namentlich könnte von ihm lernen, billig und folge¬
richtig zu verfahren. Sie hat in Bulgarien nicht glücklich gespielt, nur Un¬
frieden gestiftet und Unheil geerntet. Bismarck ist nicht, wie viele Engländer
meinen, ein Gegner Englands, der Rußlands Interesse gegen das britische
unterstützt. Wohlwollend gegen England, konnte er mit demselben nur ans dem
festländischen Gebiete nicht arbeiten, einmal, weil er nie wissen konnte, welche
Politik es in der nächsten Zukunft verfolgen würde, dann, weil es zwar eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/13>, abgerufen am 19.10.2024.