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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

maßgebenden Kreisen sowohl Petersburgs als Wiens zur Seite steht, auch
ferner gelingen. Die Tripelallianz (sit venia vsrbo) wird forbestehen, wie viel
Mühe man sich auch Vonseiten eines andern Kabinets geben möge, sie zur Auf¬
lösung zu bringen, und wie laut auch Agitatoren in Pest und Moskau direkt
und indirekt gegen sie peroriren und demonstriren. Damit ist aber jenes ominöse
französisch-russische Bündnis gegen die deutsch-österreichische Allianz, die Haupt¬
stütze des Weltfriedens, bis auf weiteres abgewehrt und vielleicht für lange Zeit
zur Unmöglichkeit gemacht. Die Politik des Reichskanzlers ist also Nußland
gegenüber eine vorsichtige und behutsame, darum aber nicht, wie behauptet
worden ist, von Furcht beeinflußt. Wenn es sich um wirkliche deutsche Inter¬
essen oder derartige Interessen unsers Verbündeten im Donaubecken handelte,
über die man sich in Petersburg uicht in Güte mit uns verständigen wollte
und über die deshalb das Schwert entscheiden müßte, so würden wir, sobald
sich dem durchaus nicht mehr ausweichen ließe, den Kanzler sicherlich nicht klein¬
mütig, vielmehr bereit scheu, zu beweisen, daß der Appell an die Furcht in
Berlin auch heute keine Statt findet, und zwar umso weniger, als, wie wir
neulich zeigten, ein Krieg mit Nußland, vom militärischen Standpunkte aus be¬
trachtet, für uus nicht aussichtslos wäre. Ein solcher Bruch zwischen den beiden
Nachbarn war 1879 mehr als möglich, er war bereits wahrscheinlich. Läge
er jetzt nahe, träte er ein, so würden die französischen Kanonen zwar vermutlich
von selbst losgehen, aber auch diese Aussicht dürfte uus uicht abschrecken, wenn
es sich um ein ernstes Bedürfnis oder Recht unsers Staates und unsrer Nation
handelte und dasselbe von Rußland unmittelbar oder auch nur mittelbar be¬
droht oder verletzt wäre. Unverständig aber und gewissenlos, ein Frevel würde
es sein, ohne einen solchen Aulnß, also ohne unbedingte sachliche Nötigung die
Deutschen in einen solchen ungeheuern Krieg zu stürzen, der nur dem Nevanchc-
bedürfuisse der Franzosen zu Gute kommen oder im günstigen Falle einer andern
Macht die Kastanien aus dem Feuer holen würde, die sie selbst sich nicht zu
nehmen wagte. Wir haben ähnliches vor dem letzten russisch-türkischen Kriege
erlebt, wo die englische Politik sich mit allen Mitteln bemühte, Deutschland
zum Einsprüche gegen denselben zu bewegen. Kurz, wir dienen nicht andern,
sondern uns selbst und uus allein. Ein Bündnis zwischen Rußland und Frank¬
reich besteht nicht, es ist, wie das Blatt des Kanzlers sagt, nicht wahrscheinlich
und schließlich auch nicht notwendig, um Frankreich zum Wagnis eines Angriffes
auf uns zu bestimmen, wenn wir einen andern, ungefähr ebenbürtigen Gegner
vor uns sehen sollten. Die Balkanfragen sind in der Gestalt, die sie jetzt an¬
genommen haben, wie oben angedeutet wurde, nebensächlicher Art, ja das ge¬
nannte Organ versichert, gewiß nicht ohne gute Gründe zu haben, daß die drei
Kaisermächte in ihrer Auffassung derselbe" in keinem Augenblicke uneinig ge¬
wesen seien, was allerdings wohl nur von den letzten Jahren gelten dürfte.

Was man also auch von dem Standpunkte der oder jener Partei innerhalb


Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

maßgebenden Kreisen sowohl Petersburgs als Wiens zur Seite steht, auch
ferner gelingen. Die Tripelallianz (sit venia vsrbo) wird forbestehen, wie viel
Mühe man sich auch Vonseiten eines andern Kabinets geben möge, sie zur Auf¬
lösung zu bringen, und wie laut auch Agitatoren in Pest und Moskau direkt
und indirekt gegen sie peroriren und demonstriren. Damit ist aber jenes ominöse
französisch-russische Bündnis gegen die deutsch-österreichische Allianz, die Haupt¬
stütze des Weltfriedens, bis auf weiteres abgewehrt und vielleicht für lange Zeit
zur Unmöglichkeit gemacht. Die Politik des Reichskanzlers ist also Nußland
gegenüber eine vorsichtige und behutsame, darum aber nicht, wie behauptet
worden ist, von Furcht beeinflußt. Wenn es sich um wirkliche deutsche Inter¬
essen oder derartige Interessen unsers Verbündeten im Donaubecken handelte,
über die man sich in Petersburg uicht in Güte mit uns verständigen wollte
und über die deshalb das Schwert entscheiden müßte, so würden wir, sobald
sich dem durchaus nicht mehr ausweichen ließe, den Kanzler sicherlich nicht klein¬
mütig, vielmehr bereit scheu, zu beweisen, daß der Appell an die Furcht in
Berlin auch heute keine Statt findet, und zwar umso weniger, als, wie wir
neulich zeigten, ein Krieg mit Nußland, vom militärischen Standpunkte aus be¬
trachtet, für uus nicht aussichtslos wäre. Ein solcher Bruch zwischen den beiden
Nachbarn war 1879 mehr als möglich, er war bereits wahrscheinlich. Läge
er jetzt nahe, träte er ein, so würden die französischen Kanonen zwar vermutlich
von selbst losgehen, aber auch diese Aussicht dürfte uus uicht abschrecken, wenn
es sich um ein ernstes Bedürfnis oder Recht unsers Staates und unsrer Nation
handelte und dasselbe von Rußland unmittelbar oder auch nur mittelbar be¬
droht oder verletzt wäre. Unverständig aber und gewissenlos, ein Frevel würde
es sein, ohne einen solchen Aulnß, also ohne unbedingte sachliche Nötigung die
Deutschen in einen solchen ungeheuern Krieg zu stürzen, der nur dem Nevanchc-
bedürfuisse der Franzosen zu Gute kommen oder im günstigen Falle einer andern
Macht die Kastanien aus dem Feuer holen würde, die sie selbst sich nicht zu
nehmen wagte. Wir haben ähnliches vor dem letzten russisch-türkischen Kriege
erlebt, wo die englische Politik sich mit allen Mitteln bemühte, Deutschland
zum Einsprüche gegen denselben zu bewegen. Kurz, wir dienen nicht andern,
sondern uns selbst und uus allein. Ein Bündnis zwischen Rußland und Frank¬
reich besteht nicht, es ist, wie das Blatt des Kanzlers sagt, nicht wahrscheinlich
und schließlich auch nicht notwendig, um Frankreich zum Wagnis eines Angriffes
auf uns zu bestimmen, wenn wir einen andern, ungefähr ebenbürtigen Gegner
vor uns sehen sollten. Die Balkanfragen sind in der Gestalt, die sie jetzt an¬
genommen haben, wie oben angedeutet wurde, nebensächlicher Art, ja das ge¬
nannte Organ versichert, gewiß nicht ohne gute Gründe zu haben, daß die drei
Kaisermächte in ihrer Auffassung derselbe» in keinem Augenblicke uneinig ge¬
wesen seien, was allerdings wohl nur von den letzten Jahren gelten dürfte.

Was man also auch von dem Standpunkte der oder jener Partei innerhalb


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[0012] Deutsche und englische Politik in Bulgarien. maßgebenden Kreisen sowohl Petersburgs als Wiens zur Seite steht, auch ferner gelingen. Die Tripelallianz (sit venia vsrbo) wird forbestehen, wie viel Mühe man sich auch Vonseiten eines andern Kabinets geben möge, sie zur Auf¬ lösung zu bringen, und wie laut auch Agitatoren in Pest und Moskau direkt und indirekt gegen sie peroriren und demonstriren. Damit ist aber jenes ominöse französisch-russische Bündnis gegen die deutsch-österreichische Allianz, die Haupt¬ stütze des Weltfriedens, bis auf weiteres abgewehrt und vielleicht für lange Zeit zur Unmöglichkeit gemacht. Die Politik des Reichskanzlers ist also Nußland gegenüber eine vorsichtige und behutsame, darum aber nicht, wie behauptet worden ist, von Furcht beeinflußt. Wenn es sich um wirkliche deutsche Inter¬ essen oder derartige Interessen unsers Verbündeten im Donaubecken handelte, über die man sich in Petersburg uicht in Güte mit uns verständigen wollte und über die deshalb das Schwert entscheiden müßte, so würden wir, sobald sich dem durchaus nicht mehr ausweichen ließe, den Kanzler sicherlich nicht klein¬ mütig, vielmehr bereit scheu, zu beweisen, daß der Appell an die Furcht in Berlin auch heute keine Statt findet, und zwar umso weniger, als, wie wir neulich zeigten, ein Krieg mit Nußland, vom militärischen Standpunkte aus be¬ trachtet, für uus nicht aussichtslos wäre. Ein solcher Bruch zwischen den beiden Nachbarn war 1879 mehr als möglich, er war bereits wahrscheinlich. Läge er jetzt nahe, träte er ein, so würden die französischen Kanonen zwar vermutlich von selbst losgehen, aber auch diese Aussicht dürfte uus uicht abschrecken, wenn es sich um ein ernstes Bedürfnis oder Recht unsers Staates und unsrer Nation handelte und dasselbe von Rußland unmittelbar oder auch nur mittelbar be¬ droht oder verletzt wäre. Unverständig aber und gewissenlos, ein Frevel würde es sein, ohne einen solchen Aulnß, also ohne unbedingte sachliche Nötigung die Deutschen in einen solchen ungeheuern Krieg zu stürzen, der nur dem Nevanchc- bedürfuisse der Franzosen zu Gute kommen oder im günstigen Falle einer andern Macht die Kastanien aus dem Feuer holen würde, die sie selbst sich nicht zu nehmen wagte. Wir haben ähnliches vor dem letzten russisch-türkischen Kriege erlebt, wo die englische Politik sich mit allen Mitteln bemühte, Deutschland zum Einsprüche gegen denselben zu bewegen. Kurz, wir dienen nicht andern, sondern uns selbst und uus allein. Ein Bündnis zwischen Rußland und Frank¬ reich besteht nicht, es ist, wie das Blatt des Kanzlers sagt, nicht wahrscheinlich und schließlich auch nicht notwendig, um Frankreich zum Wagnis eines Angriffes auf uns zu bestimmen, wenn wir einen andern, ungefähr ebenbürtigen Gegner vor uns sehen sollten. Die Balkanfragen sind in der Gestalt, die sie jetzt an¬ genommen haben, wie oben angedeutet wurde, nebensächlicher Art, ja das ge¬ nannte Organ versichert, gewiß nicht ohne gute Gründe zu haben, daß die drei Kaisermächte in ihrer Auffassung derselbe» in keinem Augenblicke uneinig ge¬ wesen seien, was allerdings wohl nur von den letzten Jahren gelten dürfte. Was man also auch von dem Standpunkte der oder jener Partei innerhalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/12>, abgerufen am 19.10.2024.