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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die moderne Arbeiterbewegung.

gestanden war. bereits verlassen und bedroht in ihrer Ausartung die weitesten
Kreise der Bevölkerung, für deren Sicherheit und Wohlfahrt der Staat einzu¬
treten ebenso berechtigt als verpflichtet ist. Erscheint sonach eine entsprechende
Einschränkung der Koalitionsfreiheit im Interesse der öffentlichen Sicherheit und
des Gemeinwohls umsomehr geboten, als die Streiks einen für die Beteiligten
oft unerträglichen, nach dein Gesetze kaum faßbaren Terrorismus zu Tage ge¬
fördert haben und in jedem Falle eine volkswirtschaftliche Schädigung bedeuten,
so wird man dem Arbeiterstande dieses letzte Hilfsmittel gleichwohl nicht be¬
schränken können, ohne ihm dafür entsprechenden Ersatz oder Schatz zu bieten.
Es möchte sich daher empfehlen, in weiterer Ausführung der Gewerbeordnung
obligatorische Eiuigungsiimter und Schiedsgerichte einzuführen, welche, je zur
Hülste aus Arbeitgebern und Arbeitern gebildet, unter dem Vorsitz eines staat¬
lichen Beamten die Lohnverhältnisse durch Ausstellung entsprechender Tarife pe¬
riodisch zu regeln und Streitigkeiten endgiltig zu entscheiden hätten. Um aber
die 'nötigen Bürgschaften für die Einhaltung solcher Vereinbarungen und die
exckutivische Erzwingung der Entscheidungen, z. B. durch Festsetzung und Bei¬
treibung entsprechender Kouveutioualstrafen, auch aus Seiten der Arbeitnehmer zu
beschaffen, Nvürde es, freilich nötig sein, für diese ähnliche Organisationen zu
schaffen, wie sie die Arbeitgeber in den Innungen, Berufsgenossenschaften
und Handelskammern bereits besitzen. Solche Organisationen würden bei der
Lösung der brennenden Tagesfragen, wie Einführung einer Maximalarbcitszeit
und eines Minimallohnes, Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit. Verbot
der Sonntags- und Nachtarbeit n. s. w., insoweit dieselben eine generelle Rege¬
lung durch Gesetz nicht zulassen, in der vorteilhaftester Weise mitwirken können
und das lebhafteste Bedürfnis der Arbeiter befriedigen. So z. V. möchte die
Festsetzung eines MaximalarbeitstageS, da der menschliche Organismus ohne
Schädigung für seiue Erhaltung über ein gewisses Zeitmaß hinaus überhaupt
nicht thätig sein kann, sich nur auf dem Wege der Gesetzgebung empfehlen, wie schon
Nordamerika, Englands die Schweiz, Österreich und'Frankreich einen acht-, zehn-,
elf- oder zwölfstündigen Arbeitstag gesetzlich eingeführt haben. Dagegen würde
der Normalarbeitstag sich für die einzelnen Gewerbe und selbst da je nach Zeit
und Ort verschieden abstufen, sodaß hier die Regelung der freien Verein¬
barung zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeiter ganz ebenso
anheimfallen müßte wie bei Festsetzung der Löhne, bezüglich deren ein gesetzlich
vorgeschriebenes Minimum ein Unding wäre.'

Ließe sich also im großen und ganzen von deu Arbeiterorganisationen
bei Kontrole der gesetzlich geregelten, wie bei Förderung'^der übrigen Fragen
eine lebendige und gedeihliche Mitwirkung erwarten, so würde ein solcher
Wirkungskreis freilich mit den landläufigen Bestimmungen der verschiedenen
Vereinsgesetze kaum in Einklang zu bringen sein und eine reichsgesetzliche Rege¬
lung dieser Frage umso gebotener erscheinen, als die gegenwärtigen nur ver-


Die moderne Arbeiterbewegung.

gestanden war. bereits verlassen und bedroht in ihrer Ausartung die weitesten
Kreise der Bevölkerung, für deren Sicherheit und Wohlfahrt der Staat einzu¬
treten ebenso berechtigt als verpflichtet ist. Erscheint sonach eine entsprechende
Einschränkung der Koalitionsfreiheit im Interesse der öffentlichen Sicherheit und
des Gemeinwohls umsomehr geboten, als die Streiks einen für die Beteiligten
oft unerträglichen, nach dein Gesetze kaum faßbaren Terrorismus zu Tage ge¬
fördert haben und in jedem Falle eine volkswirtschaftliche Schädigung bedeuten,
so wird man dem Arbeiterstande dieses letzte Hilfsmittel gleichwohl nicht be¬
schränken können, ohne ihm dafür entsprechenden Ersatz oder Schatz zu bieten.
Es möchte sich daher empfehlen, in weiterer Ausführung der Gewerbeordnung
obligatorische Eiuigungsiimter und Schiedsgerichte einzuführen, welche, je zur
Hülste aus Arbeitgebern und Arbeitern gebildet, unter dem Vorsitz eines staat¬
lichen Beamten die Lohnverhältnisse durch Ausstellung entsprechender Tarife pe¬
riodisch zu regeln und Streitigkeiten endgiltig zu entscheiden hätten. Um aber
die 'nötigen Bürgschaften für die Einhaltung solcher Vereinbarungen und die
exckutivische Erzwingung der Entscheidungen, z. B. durch Festsetzung und Bei¬
treibung entsprechender Kouveutioualstrafen, auch aus Seiten der Arbeitnehmer zu
beschaffen, Nvürde es, freilich nötig sein, für diese ähnliche Organisationen zu
schaffen, wie sie die Arbeitgeber in den Innungen, Berufsgenossenschaften
und Handelskammern bereits besitzen. Solche Organisationen würden bei der
Lösung der brennenden Tagesfragen, wie Einführung einer Maximalarbcitszeit
und eines Minimallohnes, Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit. Verbot
der Sonntags- und Nachtarbeit n. s. w., insoweit dieselben eine generelle Rege¬
lung durch Gesetz nicht zulassen, in der vorteilhaftester Weise mitwirken können
und das lebhafteste Bedürfnis der Arbeiter befriedigen. So z. V. möchte die
Festsetzung eines MaximalarbeitstageS, da der menschliche Organismus ohne
Schädigung für seiue Erhaltung über ein gewisses Zeitmaß hinaus überhaupt
nicht thätig sein kann, sich nur auf dem Wege der Gesetzgebung empfehlen, wie schon
Nordamerika, Englands die Schweiz, Österreich und'Frankreich einen acht-, zehn-,
elf- oder zwölfstündigen Arbeitstag gesetzlich eingeführt haben. Dagegen würde
der Normalarbeitstag sich für die einzelnen Gewerbe und selbst da je nach Zeit
und Ort verschieden abstufen, sodaß hier die Regelung der freien Verein¬
barung zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeiter ganz ebenso
anheimfallen müßte wie bei Festsetzung der Löhne, bezüglich deren ein gesetzlich
vorgeschriebenes Minimum ein Unding wäre.'

Ließe sich also im großen und ganzen von deu Arbeiterorganisationen
bei Kontrole der gesetzlich geregelten, wie bei Förderung'^der übrigen Fragen
eine lebendige und gedeihliche Mitwirkung erwarten, so würde ein solcher
Wirkungskreis freilich mit den landläufigen Bestimmungen der verschiedenen
Vereinsgesetze kaum in Einklang zu bringen sein und eine reichsgesetzliche Rege¬
lung dieser Frage umso gebotener erscheinen, als die gegenwärtigen nur ver-


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[0118] Die moderne Arbeiterbewegung. gestanden war. bereits verlassen und bedroht in ihrer Ausartung die weitesten Kreise der Bevölkerung, für deren Sicherheit und Wohlfahrt der Staat einzu¬ treten ebenso berechtigt als verpflichtet ist. Erscheint sonach eine entsprechende Einschränkung der Koalitionsfreiheit im Interesse der öffentlichen Sicherheit und des Gemeinwohls umsomehr geboten, als die Streiks einen für die Beteiligten oft unerträglichen, nach dein Gesetze kaum faßbaren Terrorismus zu Tage ge¬ fördert haben und in jedem Falle eine volkswirtschaftliche Schädigung bedeuten, so wird man dem Arbeiterstande dieses letzte Hilfsmittel gleichwohl nicht be¬ schränken können, ohne ihm dafür entsprechenden Ersatz oder Schatz zu bieten. Es möchte sich daher empfehlen, in weiterer Ausführung der Gewerbeordnung obligatorische Eiuigungsiimter und Schiedsgerichte einzuführen, welche, je zur Hülste aus Arbeitgebern und Arbeitern gebildet, unter dem Vorsitz eines staat¬ lichen Beamten die Lohnverhältnisse durch Ausstellung entsprechender Tarife pe¬ riodisch zu regeln und Streitigkeiten endgiltig zu entscheiden hätten. Um aber die 'nötigen Bürgschaften für die Einhaltung solcher Vereinbarungen und die exckutivische Erzwingung der Entscheidungen, z. B. durch Festsetzung und Bei¬ treibung entsprechender Kouveutioualstrafen, auch aus Seiten der Arbeitnehmer zu beschaffen, Nvürde es, freilich nötig sein, für diese ähnliche Organisationen zu schaffen, wie sie die Arbeitgeber in den Innungen, Berufsgenossenschaften und Handelskammern bereits besitzen. Solche Organisationen würden bei der Lösung der brennenden Tagesfragen, wie Einführung einer Maximalarbcitszeit und eines Minimallohnes, Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit. Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit n. s. w., insoweit dieselben eine generelle Rege¬ lung durch Gesetz nicht zulassen, in der vorteilhaftester Weise mitwirken können und das lebhafteste Bedürfnis der Arbeiter befriedigen. So z. V. möchte die Festsetzung eines MaximalarbeitstageS, da der menschliche Organismus ohne Schädigung für seiue Erhaltung über ein gewisses Zeitmaß hinaus überhaupt nicht thätig sein kann, sich nur auf dem Wege der Gesetzgebung empfehlen, wie schon Nordamerika, Englands die Schweiz, Österreich und'Frankreich einen acht-, zehn-, elf- oder zwölfstündigen Arbeitstag gesetzlich eingeführt haben. Dagegen würde der Normalarbeitstag sich für die einzelnen Gewerbe und selbst da je nach Zeit und Ort verschieden abstufen, sodaß hier die Regelung der freien Verein¬ barung zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und Arbeiter ganz ebenso anheimfallen müßte wie bei Festsetzung der Löhne, bezüglich deren ein gesetzlich vorgeschriebenes Minimum ein Unding wäre.' Ließe sich also im großen und ganzen von deu Arbeiterorganisationen bei Kontrole der gesetzlich geregelten, wie bei Förderung'^der übrigen Fragen eine lebendige und gedeihliche Mitwirkung erwarten, so würde ein solcher Wirkungskreis freilich mit den landläufigen Bestimmungen der verschiedenen Vereinsgesetze kaum in Einklang zu bringen sein und eine reichsgesetzliche Rege¬ lung dieser Frage umso gebotener erscheinen, als die gegenwärtigen nur ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/118>, abgerufen am 19.10.2024.