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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhrouik derer von Riffelshausen.

Um Gottes Willen, dieses leichte Kleid? rief jetzt der Freiherr, welcher
Leichtsinn, Frau!

Aber die Frciu hatte nicht mehr Kraft, diesen Leichtsinn zu bereuen; hätte
er sie nicht gehalten, sie wäre neben ihm zu Boden gesunken.

Therese! rief er entsetzt, Therese, was fehlt dir? Heinrich! Crispine!

Die werden wohl noch nicht zurück sein, bemerkte Tobias Schwarz, aber
ich will schon jemand herrufen, Herr Hofmarschall! Ich hab mir's bald gedacht,
daß es mit der gnädigen Frau nicht recht wäre.

Riffelshausen hob seine schlanke und leichte Frau auf den Arm, während
Tobias Schwarz mit besorgter Miene das Tuch um sie legte.

Danke Ihnen, Herr Schwarz, danke Ihnen! sagte der Hofmarschall mit
gebrochener Stimme; die Gemütsbewegung überwältigte ihn fast. Er war es
nicht gewohnt, sich um seine Frau zu ängstigen. Er war nicht imstande, dem
alten Bauer auf dessen Anerbieten zu antworten; ohne zu zögern, wandte er
sich mit seiner Last nach dem schmalen Fußwege, der unter alten Bäumen hin
dem Hause zuführte. Therese versuchte unruhig, sich von ihm loszumachen.
Die Schatten der alten Bäume erschreckten sie, sie war im Fieber, und ihre
Lippen bewegten sich wie zur Rede, ohne daß ein Ton daraus hervordrang.
Sei ruhig, sei ruhig, Therese! bat er angstvoll, und beugte den Kopf tiefer,
um ihre Worte zu verstehen. Sie war ganz ohne Bewußtsein; sicherlich konnte
er diesen Worten keine Bedeutung beilegen, und doch stand er plötzlich still, als
Hütte er auf eine Schlange getreten.

Vor ihm lag die schmale Brücke, von den Zweigen der Bäume fast ganz
überschattet, und darunter rann in undurchsichtigem Schwarz der Fluß, mit leisem
Murmeln gegen die morschen Stützen des Steges drängend. Ein Mondstrahl
glitt an dein Geländer herab und zitterte auf dem Wasser. Niffelshansen sah
hinunter und dann ans seine Frau. Er fand die dunkle Tiefe unwiderstehlich
anziehend.

Es war die Schwäche eines Augenblicks, doch wie dieser Augenblick ging,
so ging auch sie. Er überschritt die Brücke festen Fußes und sah nach den
Lichtern, die vom Hause her durch die Büsche schimmerten.

In der Küche des Herrenhauses waren Fräulein Cäcilie und Minna, die
Köchin, noch in voller Thätigkeit. Die Küchenlampe brannte auf dem Herde
neben dem Kessel, wo eine Batterie großer und kleiner Glaser aufgepflanzt war,
ihres lieblich duftenden Inhalts harrend. Cäcilie versah die den Gläsern zu¬
gedachten Etiketten auf der Rückseite mit Gummi und sang dazu mit schallender
Stimme ein wehmütiges Volkslied.

Sie wurde durch den Eintritt des Hofmarschalls aufgeschreckt, dessen ver¬
ändertes Aussehen ihr trotz der schwachen Beleuchtung auffiel.

Um Himmels Willen, Bohemund! rief sie, was ist dir geschehen.

Therese ist krank, sagte er kurz.


Aus der Lhrouik derer von Riffelshausen.

Um Gottes Willen, dieses leichte Kleid? rief jetzt der Freiherr, welcher
Leichtsinn, Frau!

Aber die Frciu hatte nicht mehr Kraft, diesen Leichtsinn zu bereuen; hätte
er sie nicht gehalten, sie wäre neben ihm zu Boden gesunken.

Therese! rief er entsetzt, Therese, was fehlt dir? Heinrich! Crispine!

Die werden wohl noch nicht zurück sein, bemerkte Tobias Schwarz, aber
ich will schon jemand herrufen, Herr Hofmarschall! Ich hab mir's bald gedacht,
daß es mit der gnädigen Frau nicht recht wäre.

Riffelshausen hob seine schlanke und leichte Frau auf den Arm, während
Tobias Schwarz mit besorgter Miene das Tuch um sie legte.

Danke Ihnen, Herr Schwarz, danke Ihnen! sagte der Hofmarschall mit
gebrochener Stimme; die Gemütsbewegung überwältigte ihn fast. Er war es
nicht gewohnt, sich um seine Frau zu ängstigen. Er war nicht imstande, dem
alten Bauer auf dessen Anerbieten zu antworten; ohne zu zögern, wandte er
sich mit seiner Last nach dem schmalen Fußwege, der unter alten Bäumen hin
dem Hause zuführte. Therese versuchte unruhig, sich von ihm loszumachen.
Die Schatten der alten Bäume erschreckten sie, sie war im Fieber, und ihre
Lippen bewegten sich wie zur Rede, ohne daß ein Ton daraus hervordrang.
Sei ruhig, sei ruhig, Therese! bat er angstvoll, und beugte den Kopf tiefer,
um ihre Worte zu verstehen. Sie war ganz ohne Bewußtsein; sicherlich konnte
er diesen Worten keine Bedeutung beilegen, und doch stand er plötzlich still, als
Hütte er auf eine Schlange getreten.

Vor ihm lag die schmale Brücke, von den Zweigen der Bäume fast ganz
überschattet, und darunter rann in undurchsichtigem Schwarz der Fluß, mit leisem
Murmeln gegen die morschen Stützen des Steges drängend. Ein Mondstrahl
glitt an dein Geländer herab und zitterte auf dem Wasser. Niffelshansen sah
hinunter und dann ans seine Frau. Er fand die dunkle Tiefe unwiderstehlich
anziehend.

Es war die Schwäche eines Augenblicks, doch wie dieser Augenblick ging,
so ging auch sie. Er überschritt die Brücke festen Fußes und sah nach den
Lichtern, die vom Hause her durch die Büsche schimmerten.

In der Küche des Herrenhauses waren Fräulein Cäcilie und Minna, die
Köchin, noch in voller Thätigkeit. Die Küchenlampe brannte auf dem Herde
neben dem Kessel, wo eine Batterie großer und kleiner Glaser aufgepflanzt war,
ihres lieblich duftenden Inhalts harrend. Cäcilie versah die den Gläsern zu¬
gedachten Etiketten auf der Rückseite mit Gummi und sang dazu mit schallender
Stimme ein wehmütiges Volkslied.

Sie wurde durch den Eintritt des Hofmarschalls aufgeschreckt, dessen ver¬
ändertes Aussehen ihr trotz der schwachen Beleuchtung auffiel.

Um Himmels Willen, Bohemund! rief sie, was ist dir geschehen.

Therese ist krank, sagte er kurz.


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[0101] Aus der Lhrouik derer von Riffelshausen. Um Gottes Willen, dieses leichte Kleid? rief jetzt der Freiherr, welcher Leichtsinn, Frau! Aber die Frciu hatte nicht mehr Kraft, diesen Leichtsinn zu bereuen; hätte er sie nicht gehalten, sie wäre neben ihm zu Boden gesunken. Therese! rief er entsetzt, Therese, was fehlt dir? Heinrich! Crispine! Die werden wohl noch nicht zurück sein, bemerkte Tobias Schwarz, aber ich will schon jemand herrufen, Herr Hofmarschall! Ich hab mir's bald gedacht, daß es mit der gnädigen Frau nicht recht wäre. Riffelshausen hob seine schlanke und leichte Frau auf den Arm, während Tobias Schwarz mit besorgter Miene das Tuch um sie legte. Danke Ihnen, Herr Schwarz, danke Ihnen! sagte der Hofmarschall mit gebrochener Stimme; die Gemütsbewegung überwältigte ihn fast. Er war es nicht gewohnt, sich um seine Frau zu ängstigen. Er war nicht imstande, dem alten Bauer auf dessen Anerbieten zu antworten; ohne zu zögern, wandte er sich mit seiner Last nach dem schmalen Fußwege, der unter alten Bäumen hin dem Hause zuführte. Therese versuchte unruhig, sich von ihm loszumachen. Die Schatten der alten Bäume erschreckten sie, sie war im Fieber, und ihre Lippen bewegten sich wie zur Rede, ohne daß ein Ton daraus hervordrang. Sei ruhig, sei ruhig, Therese! bat er angstvoll, und beugte den Kopf tiefer, um ihre Worte zu verstehen. Sie war ganz ohne Bewußtsein; sicherlich konnte er diesen Worten keine Bedeutung beilegen, und doch stand er plötzlich still, als Hütte er auf eine Schlange getreten. Vor ihm lag die schmale Brücke, von den Zweigen der Bäume fast ganz überschattet, und darunter rann in undurchsichtigem Schwarz der Fluß, mit leisem Murmeln gegen die morschen Stützen des Steges drängend. Ein Mondstrahl glitt an dein Geländer herab und zitterte auf dem Wasser. Niffelshansen sah hinunter und dann ans seine Frau. Er fand die dunkle Tiefe unwiderstehlich anziehend. Es war die Schwäche eines Augenblicks, doch wie dieser Augenblick ging, so ging auch sie. Er überschritt die Brücke festen Fußes und sah nach den Lichtern, die vom Hause her durch die Büsche schimmerten. In der Küche des Herrenhauses waren Fräulein Cäcilie und Minna, die Köchin, noch in voller Thätigkeit. Die Küchenlampe brannte auf dem Herde neben dem Kessel, wo eine Batterie großer und kleiner Glaser aufgepflanzt war, ihres lieblich duftenden Inhalts harrend. Cäcilie versah die den Gläsern zu¬ gedachten Etiketten auf der Rückseite mit Gummi und sang dazu mit schallender Stimme ein wehmütiges Volkslied. Sie wurde durch den Eintritt des Hofmarschalls aufgeschreckt, dessen ver¬ ändertes Aussehen ihr trotz der schwachen Beleuchtung auffiel. Um Himmels Willen, Bohemund! rief sie, was ist dir geschehen. Therese ist krank, sagte er kurz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/101>, abgerufen am 27.09.2024.