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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Antike Märchen in deutschem Gewände.

seinen frühen Tod fand. Das ist in Deutschland der wilde Graf Hackelberend
von der Blankenburg, welcher von einem Eber in den Fuß verwundet wird und
stirbt. Und genau so ist der griechische Adonis, ebenso wie Meleager ein Ge¬
fährte der Mondgöttin, auf der Jagd vom Eber in deu Fuß verwundet und
stirbt, der schöne junge Sonnengott, um den alle griechischen Frauen so lange
weinten. In diese Reihe gehört der deutsche Siegfried, der ebenfalls auf der
Jagd den Tod findet, und die Griechen Achilleus, Herakles und Bellerophon,
denn sie alle werden mit den Amazonen in Verbindung gebracht. Die Ama¬
zonen aber sind ursprünglich nur das Heer- und Jagdgefolge der asiatischen
Mondgöttin, das auf seinen wilden Rossen, d. h. auf Wolken und Stürmen,
am Himmel daherbraust. Der Held aber, an dem die Sage von der wilden
Jagd bei den Griechen am ausgesprochensten haften blieb, ist der Niese Orion,
dessen Schatten auch in der Unterwelt noch das Wild in Schaaren vor sich
hertreibt. Er selbst aber führt die wilde Jagd als Sternbild am Himmel, wo
er mit seinem Hunde die Plejaden, die schüchternen Tauben und den großen
und kleinen Bären verfolgt.

In Deutschland sind aus den alten Lichtgöttergestalten in Wuotans Heer
grauenhafte, gottlose, teuflische Geister geworden. Das ist aber nicht alte Sage,
sondern es ist erst durch das Eindringen des Christentums so geschehen. Die
Christen suchten dem alten Volksmythus dadurch den Boden zu entziehen, daß
sie ihn als verführerisch, sündhaft und teuflisch ausfnßteu. Die alten Deutschen
aber wollten es garnicht glauben, daß nun wirklich die ganze heidnische Herrlich¬
keit tot sei, an der noch ihre Väter und Mütter gehangen. Es ist nicht alles
tot, was begraben ist, sprachen sie, und die leise Hoffnung, die sie hegten, daß
der alte Lichtgott wiederkehren möchte, drückten sie durch die Sage aus. Und
so sollte denn Wuotan und sein Heer nicht tot sein, es war vielmehr auf
glänzende Wiederkehr harrend in einen großen Berg gefahren. Dort im unter¬
irdischen Wuotanshaus lebt der alte gewaltige Gott im Hörselberge als Wuotcms-
hüuser oder Tanhäuser bei Frau Hulda, der lichten Mondgöttin, wie Herakles
einst bei Omphale, wie Odysseus bei Kalypso. Erst die Christen haben die
Hulda zur Frau Venus latinisirt und zur Tcufelin gemacht. Von vielen Bergen
geht die gleiche Sage. Auch im Kyffhüuser schläft der gebannte Gott, wie in
griechischer Sage der Mondgöttin Liebling, Endymion, im Berge Latmos
schlummert.




Antike Märchen in deutschem Gewände.

seinen frühen Tod fand. Das ist in Deutschland der wilde Graf Hackelberend
von der Blankenburg, welcher von einem Eber in den Fuß verwundet wird und
stirbt. Und genau so ist der griechische Adonis, ebenso wie Meleager ein Ge¬
fährte der Mondgöttin, auf der Jagd vom Eber in deu Fuß verwundet und
stirbt, der schöne junge Sonnengott, um den alle griechischen Frauen so lange
weinten. In diese Reihe gehört der deutsche Siegfried, der ebenfalls auf der
Jagd den Tod findet, und die Griechen Achilleus, Herakles und Bellerophon,
denn sie alle werden mit den Amazonen in Verbindung gebracht. Die Ama¬
zonen aber sind ursprünglich nur das Heer- und Jagdgefolge der asiatischen
Mondgöttin, das auf seinen wilden Rossen, d. h. auf Wolken und Stürmen,
am Himmel daherbraust. Der Held aber, an dem die Sage von der wilden
Jagd bei den Griechen am ausgesprochensten haften blieb, ist der Niese Orion,
dessen Schatten auch in der Unterwelt noch das Wild in Schaaren vor sich
hertreibt. Er selbst aber führt die wilde Jagd als Sternbild am Himmel, wo
er mit seinem Hunde die Plejaden, die schüchternen Tauben und den großen
und kleinen Bären verfolgt.

In Deutschland sind aus den alten Lichtgöttergestalten in Wuotans Heer
grauenhafte, gottlose, teuflische Geister geworden. Das ist aber nicht alte Sage,
sondern es ist erst durch das Eindringen des Christentums so geschehen. Die
Christen suchten dem alten Volksmythus dadurch den Boden zu entziehen, daß
sie ihn als verführerisch, sündhaft und teuflisch ausfnßteu. Die alten Deutschen
aber wollten es garnicht glauben, daß nun wirklich die ganze heidnische Herrlich¬
keit tot sei, an der noch ihre Väter und Mütter gehangen. Es ist nicht alles
tot, was begraben ist, sprachen sie, und die leise Hoffnung, die sie hegten, daß
der alte Lichtgott wiederkehren möchte, drückten sie durch die Sage aus. Und
so sollte denn Wuotan und sein Heer nicht tot sein, es war vielmehr auf
glänzende Wiederkehr harrend in einen großen Berg gefahren. Dort im unter¬
irdischen Wuotanshaus lebt der alte gewaltige Gott im Hörselberge als Wuotcms-
hüuser oder Tanhäuser bei Frau Hulda, der lichten Mondgöttin, wie Herakles
einst bei Omphale, wie Odysseus bei Kalypso. Erst die Christen haben die
Hulda zur Frau Venus latinisirt und zur Tcufelin gemacht. Von vielen Bergen
geht die gleiche Sage. Auch im Kyffhüuser schläft der gebannte Gott, wie in
griechischer Sage der Mondgöttin Liebling, Endymion, im Berge Latmos
schlummert.




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[0095] Antike Märchen in deutschem Gewände. seinen frühen Tod fand. Das ist in Deutschland der wilde Graf Hackelberend von der Blankenburg, welcher von einem Eber in den Fuß verwundet wird und stirbt. Und genau so ist der griechische Adonis, ebenso wie Meleager ein Ge¬ fährte der Mondgöttin, auf der Jagd vom Eber in deu Fuß verwundet und stirbt, der schöne junge Sonnengott, um den alle griechischen Frauen so lange weinten. In diese Reihe gehört der deutsche Siegfried, der ebenfalls auf der Jagd den Tod findet, und die Griechen Achilleus, Herakles und Bellerophon, denn sie alle werden mit den Amazonen in Verbindung gebracht. Die Ama¬ zonen aber sind ursprünglich nur das Heer- und Jagdgefolge der asiatischen Mondgöttin, das auf seinen wilden Rossen, d. h. auf Wolken und Stürmen, am Himmel daherbraust. Der Held aber, an dem die Sage von der wilden Jagd bei den Griechen am ausgesprochensten haften blieb, ist der Niese Orion, dessen Schatten auch in der Unterwelt noch das Wild in Schaaren vor sich hertreibt. Er selbst aber führt die wilde Jagd als Sternbild am Himmel, wo er mit seinem Hunde die Plejaden, die schüchternen Tauben und den großen und kleinen Bären verfolgt. In Deutschland sind aus den alten Lichtgöttergestalten in Wuotans Heer grauenhafte, gottlose, teuflische Geister geworden. Das ist aber nicht alte Sage, sondern es ist erst durch das Eindringen des Christentums so geschehen. Die Christen suchten dem alten Volksmythus dadurch den Boden zu entziehen, daß sie ihn als verführerisch, sündhaft und teuflisch ausfnßteu. Die alten Deutschen aber wollten es garnicht glauben, daß nun wirklich die ganze heidnische Herrlich¬ keit tot sei, an der noch ihre Väter und Mütter gehangen. Es ist nicht alles tot, was begraben ist, sprachen sie, und die leise Hoffnung, die sie hegten, daß der alte Lichtgott wiederkehren möchte, drückten sie durch die Sage aus. Und so sollte denn Wuotan und sein Heer nicht tot sein, es war vielmehr auf glänzende Wiederkehr harrend in einen großen Berg gefahren. Dort im unter¬ irdischen Wuotanshaus lebt der alte gewaltige Gott im Hörselberge als Wuotcms- hüuser oder Tanhäuser bei Frau Hulda, der lichten Mondgöttin, wie Herakles einst bei Omphale, wie Odysseus bei Kalypso. Erst die Christen haben die Hulda zur Frau Venus latinisirt und zur Tcufelin gemacht. Von vielen Bergen geht die gleiche Sage. Auch im Kyffhüuser schläft der gebannte Gott, wie in griechischer Sage der Mondgöttin Liebling, Endymion, im Berge Latmos schlummert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/95>, abgerufen am 22.07.2024.