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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Mario von Ebner-Lschenbach.

Aufstände in Galizien (1846 bis 1848) geliefert, die allen Anspruch auf historische
Größe erheben dürfen. Sie führt uns ein in die schroffen Gegensätze, welche
zwischen dem polnischen Adel und den polnischen Bauern Österreichs bestanden
haben und noch immer bestehen. Jener, die sogenannten Schlachzizen, verfolgte
mit Fanatismus das utopische Ideal der Wiederherstellung Polens, indes die
Bauern zufrieden mit der Ordnung und Ruhe lebte", welche die Regierung
ihnen schaffte, und die Adlichen haßten, weil sie den Frieden immerfort gefähr¬
deten. Als es zum Aufstände kam, standen sich nicht Polen und Kaiserliche,
sondern Adel und Bauern in blutigen Kämpfen gegenüber, die sich zu grausamen
Plünderungen gestalteten, da wandernde Prediger den Kommunismus lehrten
und die rohen Instinkte des Landvolkes gegen die Reichen in den Schlössern
aufreizte". Einen solchen Emissär schildert uns Frau von Ebner im "Kreis-
phhsikus"; ihr Dembinski ist ein Schwärmer, der all sein Gut den Armen ver¬
teilt hat und dem Adel zuruft: Gehet hin und thuet desgleichen! Die Zeiten des
Urchristentums will er herstellen und dessen kommunistische Lebensordnung. Es
ist bezeichnend für die idealistische Dichterin, daß sie diesen Dembinski nicht iro¬
nisch, sondern mit offener Sympathie schildert. Jakob Szela ist ein tragischer
Held, dessen Tragödie aus dem Konflikte des galizischen Polen in seinem Doppel¬
verhältnis zur eignen Nationalitnt und zum österreichischen Staate herauswächst.
Zwei Seelen wohnen in seiner Brust: die nationale, welche in ererbter Ehr¬
furcht vor dem Adel erstirbt, all seinen brntcilen Hochmut mit echt slavischer
Geduld erträgt, und die reformatorische, die sich an die Spitze der Bauernbewegung
zu Gunsten der Regierung stellt. In ihrem neuesten Buche bringt Frau von
Ebner mit der Erzählung "Er läßt die Hand küssen" ein österreichisches Gegen¬
stück zu der berühmten Leibeigenentragödie " Mumu" von Iwan Turgenjew;
doch wohl ein wenig zu spät und minder wuchtig als der Russe. Der Teil¬
nahme an den schweren nationalen Kämpfen, welche die Deutschen in Osterreich
eben jetzt zu bestehen haben, entzieht sie sich indes auch nicht. Mit der ganzen
Delikatesse ihrer vornehmen humoristisch-ironischen Art spricht sie ihre deutsch-
nationale Gesinnung in den zwei liebenswürdigen Satiren auf den Wiener Adel
aus. Die Sportkomtesse Mnschi muß wegen ihrer Lektüre der neuesten fran¬
zösischen Sittenromane, über der sie jede deutsche Lektüre verächtlich ablehnt,
eine rechte Beschämung erfahren; und in "Komtesse Paula" wird die Ausländerei
des alten Grafen, der immerfort sein geliebtes Töchterchen zum 8pog1( suMsli
anhält, in etwas harmloserer Weise lächerlich gemacht. Bei einer so konservativen
Österreicherin, wie die Freifrau es ist, muß diese warme nationale Gesinnung
besonders in die Augen fallen.

Endlich wäre noch die Gruppe der ernsten und heitern Charakterbilder zu
verzeichnen, welche die Dichterin mit liebevollem Behagen bis ins kleinste Detail
ausführt. Ein wehmütiger Humor kennzeichnet diese Stücke. Dahin gehören
die kostbaren "Freiherren von Gemperlein." Es sind zwei Brüder, beide alte


Mario von Ebner-Lschenbach.

Aufstände in Galizien (1846 bis 1848) geliefert, die allen Anspruch auf historische
Größe erheben dürfen. Sie führt uns ein in die schroffen Gegensätze, welche
zwischen dem polnischen Adel und den polnischen Bauern Österreichs bestanden
haben und noch immer bestehen. Jener, die sogenannten Schlachzizen, verfolgte
mit Fanatismus das utopische Ideal der Wiederherstellung Polens, indes die
Bauern zufrieden mit der Ordnung und Ruhe lebte», welche die Regierung
ihnen schaffte, und die Adlichen haßten, weil sie den Frieden immerfort gefähr¬
deten. Als es zum Aufstände kam, standen sich nicht Polen und Kaiserliche,
sondern Adel und Bauern in blutigen Kämpfen gegenüber, die sich zu grausamen
Plünderungen gestalteten, da wandernde Prediger den Kommunismus lehrten
und die rohen Instinkte des Landvolkes gegen die Reichen in den Schlössern
aufreizte». Einen solchen Emissär schildert uns Frau von Ebner im „Kreis-
phhsikus"; ihr Dembinski ist ein Schwärmer, der all sein Gut den Armen ver¬
teilt hat und dem Adel zuruft: Gehet hin und thuet desgleichen! Die Zeiten des
Urchristentums will er herstellen und dessen kommunistische Lebensordnung. Es
ist bezeichnend für die idealistische Dichterin, daß sie diesen Dembinski nicht iro¬
nisch, sondern mit offener Sympathie schildert. Jakob Szela ist ein tragischer
Held, dessen Tragödie aus dem Konflikte des galizischen Polen in seinem Doppel¬
verhältnis zur eignen Nationalitnt und zum österreichischen Staate herauswächst.
Zwei Seelen wohnen in seiner Brust: die nationale, welche in ererbter Ehr¬
furcht vor dem Adel erstirbt, all seinen brntcilen Hochmut mit echt slavischer
Geduld erträgt, und die reformatorische, die sich an die Spitze der Bauernbewegung
zu Gunsten der Regierung stellt. In ihrem neuesten Buche bringt Frau von
Ebner mit der Erzählung „Er läßt die Hand küssen" ein österreichisches Gegen¬
stück zu der berühmten Leibeigenentragödie „ Mumu" von Iwan Turgenjew;
doch wohl ein wenig zu spät und minder wuchtig als der Russe. Der Teil¬
nahme an den schweren nationalen Kämpfen, welche die Deutschen in Osterreich
eben jetzt zu bestehen haben, entzieht sie sich indes auch nicht. Mit der ganzen
Delikatesse ihrer vornehmen humoristisch-ironischen Art spricht sie ihre deutsch-
nationale Gesinnung in den zwei liebenswürdigen Satiren auf den Wiener Adel
aus. Die Sportkomtesse Mnschi muß wegen ihrer Lektüre der neuesten fran¬
zösischen Sittenromane, über der sie jede deutsche Lektüre verächtlich ablehnt,
eine rechte Beschämung erfahren; und in „Komtesse Paula" wird die Ausländerei
des alten Grafen, der immerfort sein geliebtes Töchterchen zum 8pog1( suMsli
anhält, in etwas harmloserer Weise lächerlich gemacht. Bei einer so konservativen
Österreicherin, wie die Freifrau es ist, muß diese warme nationale Gesinnung
besonders in die Augen fallen.

Endlich wäre noch die Gruppe der ernsten und heitern Charakterbilder zu
verzeichnen, welche die Dichterin mit liebevollem Behagen bis ins kleinste Detail
ausführt. Ein wehmütiger Humor kennzeichnet diese Stücke. Dahin gehören
die kostbaren „Freiherren von Gemperlein." Es sind zwei Brüder, beide alte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/86>, abgerufen am 03.07.2024.