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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Freifrau von Ebner-Eschenbach ist das dünne, in zierlicher Ausstattung auf
Büttenpapier gedruckte Büchlein "Aphorismen." Von den drei- oder vierhundert
Sätzen, welche sie enthalten, sind keineswegs alle gleichwertig oder gleich ori¬
ginell; aber die überwiegende Mehrzahl zeichnet sich dnrch eine schlagende
Wahrheit des Inhalts und eine Prägnanz der Form aus, die nach Art der
Sprichwörter sich unwillkürlich dem Gedächtnis einprägt; so z. B, "Vieles
erfahren haben, heißt noch nicht Erfahrung"; "Bewunderung der Tugend
ist Talent zur Tugend"; "In der Jngend lernt, im Alter versteht man";
"Raison annehmen kann niemand, der nicht schon welche hat." Von allen
diesen Sätzen dürfte keiner so sehr das Wesen der Dichterin beleuchten als
einer, den man ausnahmsweise nicht als ganz wahr wird unterschreiben können,
nämlich der: "Dilettanten haben nicht einmal in einer sekundären Kunst etwas
Bleibendes geleistet, sich aber verdient gemacht um die höchste aller Wissen¬
schaften, die Philosophie. Den Beweis dafür liefern: Montaigne, La Roche¬
foucauld, Vauvenargues." Mancher ehrliche Historiker der Philosophie dürste
über diese Entdeckung der Verdienste der genannten drei Franzosen um die
Philosophie als Wissenschaft bedenklich den Kopf schütteln, so ausgemacht auch
der hohe sittliche Wert ihrer Aphorismen ist, und so sehr auch der Mut der
Freifrau, die Philosophie in unsrer ganz dem Empirismus ergebenen Zeit als
die höchste der Wissenschaften anzuerkennen, unsre Sympathie erweckt. Indes
mag die objektive Wahrheit des Satzes sein, welche sie wolle, subjektiv, als Be¬
kenntnis seiner Verfasserin, ist er umso interessanter.. Es ist die sich bekundende
Wahlverwandtschaft zu der Geistesrichtung jener drei philosophischen Weltleute,
die uns daran interesstrt. Und in der That: in dem im besten Sinne welt¬
männischen Wesen der Freifrau finden wir den Grund der Sympathie, die sie
sich bei allen Parteien erworben hat, finden wir das Merkmal ihres Geistes,
das sie von den andern literarischen Frauen unterscheidet. Auch Frau von
Meysenbug stammt aus hocharistokratischer Familie, wie Frau von Ebner-
Eschenbach; allein bei manchen gemeinsamen Zügen in der Gesinnung, welch
ein Gegensatz zwischen den beiden Persönlichkeiten! Die Meysenbug ist eine
leidenschaftliche Doktrinärin, sie hängt am System, das sie in ihrem Leben, nach
mancher Häntung, oft gewechselt hat; die Ebner-Eschenbach hat nicht zufällig,
sondern dem innersten Wesen ihres Geistes folgend, zerstreute Aphorismen, aber
keine Abhandlungen in Romanform geschrieben und die großen Dilettanten der
Philosophie, die Weltmänner unter den Denkern, gepriesen; sie haßt all Syste¬
matik: "Die glücklichen Pessimisten! Welche Freude empfinden sie, so oft sie
bewiesen haben, daß es keine Freude giebt," spottet sie. Und doch sagt sie
auch ein andermal recht pessimistisch: "Ein verdienter Sieg kommt fast immer
zu spät," oder "An das Gute glauben nur die wenigen, die es üben." Aber
es ist dies kein systematischer Pessimismus. Die Meysenbug ferner hat einen
wahren Hang für religiöse Betrachtung und Stimmung, eine Neigung zur


Freifrau von Ebner-Eschenbach ist das dünne, in zierlicher Ausstattung auf
Büttenpapier gedruckte Büchlein „Aphorismen." Von den drei- oder vierhundert
Sätzen, welche sie enthalten, sind keineswegs alle gleichwertig oder gleich ori¬
ginell; aber die überwiegende Mehrzahl zeichnet sich dnrch eine schlagende
Wahrheit des Inhalts und eine Prägnanz der Form aus, die nach Art der
Sprichwörter sich unwillkürlich dem Gedächtnis einprägt; so z. B, „Vieles
erfahren haben, heißt noch nicht Erfahrung"; „Bewunderung der Tugend
ist Talent zur Tugend"; „In der Jngend lernt, im Alter versteht man";
„Raison annehmen kann niemand, der nicht schon welche hat." Von allen
diesen Sätzen dürfte keiner so sehr das Wesen der Dichterin beleuchten als
einer, den man ausnahmsweise nicht als ganz wahr wird unterschreiben können,
nämlich der: „Dilettanten haben nicht einmal in einer sekundären Kunst etwas
Bleibendes geleistet, sich aber verdient gemacht um die höchste aller Wissen¬
schaften, die Philosophie. Den Beweis dafür liefern: Montaigne, La Roche¬
foucauld, Vauvenargues." Mancher ehrliche Historiker der Philosophie dürste
über diese Entdeckung der Verdienste der genannten drei Franzosen um die
Philosophie als Wissenschaft bedenklich den Kopf schütteln, so ausgemacht auch
der hohe sittliche Wert ihrer Aphorismen ist, und so sehr auch der Mut der
Freifrau, die Philosophie in unsrer ganz dem Empirismus ergebenen Zeit als
die höchste der Wissenschaften anzuerkennen, unsre Sympathie erweckt. Indes
mag die objektive Wahrheit des Satzes sein, welche sie wolle, subjektiv, als Be¬
kenntnis seiner Verfasserin, ist er umso interessanter.. Es ist die sich bekundende
Wahlverwandtschaft zu der Geistesrichtung jener drei philosophischen Weltleute,
die uns daran interesstrt. Und in der That: in dem im besten Sinne welt¬
männischen Wesen der Freifrau finden wir den Grund der Sympathie, die sie
sich bei allen Parteien erworben hat, finden wir das Merkmal ihres Geistes,
das sie von den andern literarischen Frauen unterscheidet. Auch Frau von
Meysenbug stammt aus hocharistokratischer Familie, wie Frau von Ebner-
Eschenbach; allein bei manchen gemeinsamen Zügen in der Gesinnung, welch
ein Gegensatz zwischen den beiden Persönlichkeiten! Die Meysenbug ist eine
leidenschaftliche Doktrinärin, sie hängt am System, das sie in ihrem Leben, nach
mancher Häntung, oft gewechselt hat; die Ebner-Eschenbach hat nicht zufällig,
sondern dem innersten Wesen ihres Geistes folgend, zerstreute Aphorismen, aber
keine Abhandlungen in Romanform geschrieben und die großen Dilettanten der
Philosophie, die Weltmänner unter den Denkern, gepriesen; sie haßt all Syste¬
matik: „Die glücklichen Pessimisten! Welche Freude empfinden sie, so oft sie
bewiesen haben, daß es keine Freude giebt," spottet sie. Und doch sagt sie
auch ein andermal recht pessimistisch: „Ein verdienter Sieg kommt fast immer
zu spät," oder „An das Gute glauben nur die wenigen, die es üben." Aber
es ist dies kein systematischer Pessimismus. Die Meysenbug ferner hat einen
wahren Hang für religiöse Betrachtung und Stimmung, eine Neigung zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/83>, abgerufen am 22.07.2024.