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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

der Grund, wcirum der niedrige Stand der Valuta die wirtschaftliche Entwicklung
dort nicht stärker beeinträchtigt hat. Ein ähnliches Schauspiel zeigte sich in
Frankreich gleich nach dem deutsch-französischen Kriege. Die Bank von Frank¬
reich hatte im Juni 1871 Noten im Betrage von 2212 Millionen ausgegeben,
ihr Metallsvnds belief sich nur auf 549 Millionen. Diese ungünstige Ver¬
schiebung war in einem Jahre entstanden. In dem gleichen Monate des vorher¬
gehenden Jahres hatte die Metallreserve der Bank noch 1145 Millionen be¬
tragen bei einem Notenumlauf von 1255 Mill. Angesichts des Retablissements
und der Kontributionszahlungen schwoll der letztere in der ersten Zeit nach dem
Kriege durch weitere Emissionsvcrfttgnng ungeheuer an und erreichte am 31. Ok¬
tober 1873 seine größte Höhe von 3071 Millionen, während die Metallreserve
nur etwa 750 Millionen ausmachte. Sie betrug also nur ein Viertel des aus¬
gegebnen Papiergeldes. Dennoch stellte sich das Disagio bei dein letztern nicht
höher als auf 2 bis 2^ Prozent. Es sank in wenigen Monaten auf ein
Prozent und verschwand schließlich ganz. Diese eigentümliche Thatsache schien
allen bisher aufgestellten Theorien über Notendeckung und Begrenzung der Um¬
laufsmenge zu widersprechen. In England hatte während der dortigen Herrschaft
des Zwangskurses z. B. 1810 die Prämie auf Gold 25 Prozent betragen. Öster¬
reich und Italien erreichten noch höhere Ziffern. Auch heute noch ist sie dort be¬
trächtlich genug, um den erhofften Zeitpunkt der Parität hinauszurücken. Der
Grund dieser ungleichartigen Erscheinung liegt in dem verschiednen Metall¬
vorrat dieser Länder und den ungleichen Exportverhältnissen. Der Goldreichtum
Frankreichs wurde weder durch den Krieg noch auch durch die spätern Kvn-
tributionszahlungen stark beeinflußt. Das Gold wanderte nicht aus, wie in
England, Österreich und Italien, sondern wurde nur während der kriegerischen
Zeiten aus dein Verkehr gezogen. Der Metallfvnds der Bank verringerte sich,
nicht aber der des Landes. Den drei Milliarden Banknoten stand also eine
vollkommen genügende Mctalldeckung gegenüber, nur mit dem Unterschiede, daß
sie sich, anstatt in den Kellern der Bank, in den Geldschränken kleiner und großer
Rentner befand. Man hat den Metallreichtum Frankreichs damals auf fünf
bis sechs Milliarden geschätzt. Aber wenn auch diese Ziffer zu hoch gegriffen
sein sollte, so hat sich doch die Annahme, daß das Gold aus seinen Verstecken
herauskommen und bei friedlicher Lage dem Markte wieder zuströmen werde,
vollauf bestätigt; Frankreichs Kredit blieb ungeschwächt, und die zwei Milliarden¬
anleihen wurden vielfach überzeichnet.

Diese kurze Zeit des Zwangskurses in Frankreich ist lehrreich für alle
Länder, welche sich in gleicher Lage befinden. Sie hat viele der alten Vor¬
urteile, namentlich das von der Dritteldeckung, beseitigt; sie beweist, daß es eine
Normalgrenze für den Notenumlauf uicht giebt, und daß es vor allem die
Handelsbilanz ist, welche auf den Wert des Papiergeldes für die Dauer be¬
stimmend einwirkt. Wir sehen also, daß es in Rußland nicht die hohe Ziffer


Grenzboten III, 1K86. "
Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

der Grund, wcirum der niedrige Stand der Valuta die wirtschaftliche Entwicklung
dort nicht stärker beeinträchtigt hat. Ein ähnliches Schauspiel zeigte sich in
Frankreich gleich nach dem deutsch-französischen Kriege. Die Bank von Frank¬
reich hatte im Juni 1871 Noten im Betrage von 2212 Millionen ausgegeben,
ihr Metallsvnds belief sich nur auf 549 Millionen. Diese ungünstige Ver¬
schiebung war in einem Jahre entstanden. In dem gleichen Monate des vorher¬
gehenden Jahres hatte die Metallreserve der Bank noch 1145 Millionen be¬
tragen bei einem Notenumlauf von 1255 Mill. Angesichts des Retablissements
und der Kontributionszahlungen schwoll der letztere in der ersten Zeit nach dem
Kriege durch weitere Emissionsvcrfttgnng ungeheuer an und erreichte am 31. Ok¬
tober 1873 seine größte Höhe von 3071 Millionen, während die Metallreserve
nur etwa 750 Millionen ausmachte. Sie betrug also nur ein Viertel des aus¬
gegebnen Papiergeldes. Dennoch stellte sich das Disagio bei dein letztern nicht
höher als auf 2 bis 2^ Prozent. Es sank in wenigen Monaten auf ein
Prozent und verschwand schließlich ganz. Diese eigentümliche Thatsache schien
allen bisher aufgestellten Theorien über Notendeckung und Begrenzung der Um¬
laufsmenge zu widersprechen. In England hatte während der dortigen Herrschaft
des Zwangskurses z. B. 1810 die Prämie auf Gold 25 Prozent betragen. Öster¬
reich und Italien erreichten noch höhere Ziffern. Auch heute noch ist sie dort be¬
trächtlich genug, um den erhofften Zeitpunkt der Parität hinauszurücken. Der
Grund dieser ungleichartigen Erscheinung liegt in dem verschiednen Metall¬
vorrat dieser Länder und den ungleichen Exportverhältnissen. Der Goldreichtum
Frankreichs wurde weder durch den Krieg noch auch durch die spätern Kvn-
tributionszahlungen stark beeinflußt. Das Gold wanderte nicht aus, wie in
England, Österreich und Italien, sondern wurde nur während der kriegerischen
Zeiten aus dein Verkehr gezogen. Der Metallfvnds der Bank verringerte sich,
nicht aber der des Landes. Den drei Milliarden Banknoten stand also eine
vollkommen genügende Mctalldeckung gegenüber, nur mit dem Unterschiede, daß
sie sich, anstatt in den Kellern der Bank, in den Geldschränken kleiner und großer
Rentner befand. Man hat den Metallreichtum Frankreichs damals auf fünf
bis sechs Milliarden geschätzt. Aber wenn auch diese Ziffer zu hoch gegriffen
sein sollte, so hat sich doch die Annahme, daß das Gold aus seinen Verstecken
herauskommen und bei friedlicher Lage dem Markte wieder zuströmen werde,
vollauf bestätigt; Frankreichs Kredit blieb ungeschwächt, und die zwei Milliarden¬
anleihen wurden vielfach überzeichnet.

Diese kurze Zeit des Zwangskurses in Frankreich ist lehrreich für alle
Länder, welche sich in gleicher Lage befinden. Sie hat viele der alten Vor¬
urteile, namentlich das von der Dritteldeckung, beseitigt; sie beweist, daß es eine
Normalgrenze für den Notenumlauf uicht giebt, und daß es vor allem die
Handelsbilanz ist, welche auf den Wert des Papiergeldes für die Dauer be¬
stimmend einwirkt. Wir sehen also, daß es in Rußland nicht die hohe Ziffer


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[0073] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. der Grund, wcirum der niedrige Stand der Valuta die wirtschaftliche Entwicklung dort nicht stärker beeinträchtigt hat. Ein ähnliches Schauspiel zeigte sich in Frankreich gleich nach dem deutsch-französischen Kriege. Die Bank von Frank¬ reich hatte im Juni 1871 Noten im Betrage von 2212 Millionen ausgegeben, ihr Metallsvnds belief sich nur auf 549 Millionen. Diese ungünstige Ver¬ schiebung war in einem Jahre entstanden. In dem gleichen Monate des vorher¬ gehenden Jahres hatte die Metallreserve der Bank noch 1145 Millionen be¬ tragen bei einem Notenumlauf von 1255 Mill. Angesichts des Retablissements und der Kontributionszahlungen schwoll der letztere in der ersten Zeit nach dem Kriege durch weitere Emissionsvcrfttgnng ungeheuer an und erreichte am 31. Ok¬ tober 1873 seine größte Höhe von 3071 Millionen, während die Metallreserve nur etwa 750 Millionen ausmachte. Sie betrug also nur ein Viertel des aus¬ gegebnen Papiergeldes. Dennoch stellte sich das Disagio bei dein letztern nicht höher als auf 2 bis 2^ Prozent. Es sank in wenigen Monaten auf ein Prozent und verschwand schließlich ganz. Diese eigentümliche Thatsache schien allen bisher aufgestellten Theorien über Notendeckung und Begrenzung der Um¬ laufsmenge zu widersprechen. In England hatte während der dortigen Herrschaft des Zwangskurses z. B. 1810 die Prämie auf Gold 25 Prozent betragen. Öster¬ reich und Italien erreichten noch höhere Ziffern. Auch heute noch ist sie dort be¬ trächtlich genug, um den erhofften Zeitpunkt der Parität hinauszurücken. Der Grund dieser ungleichartigen Erscheinung liegt in dem verschiednen Metall¬ vorrat dieser Länder und den ungleichen Exportverhältnissen. Der Goldreichtum Frankreichs wurde weder durch den Krieg noch auch durch die spätern Kvn- tributionszahlungen stark beeinflußt. Das Gold wanderte nicht aus, wie in England, Österreich und Italien, sondern wurde nur während der kriegerischen Zeiten aus dein Verkehr gezogen. Der Metallfvnds der Bank verringerte sich, nicht aber der des Landes. Den drei Milliarden Banknoten stand also eine vollkommen genügende Mctalldeckung gegenüber, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich, anstatt in den Kellern der Bank, in den Geldschränken kleiner und großer Rentner befand. Man hat den Metallreichtum Frankreichs damals auf fünf bis sechs Milliarden geschätzt. Aber wenn auch diese Ziffer zu hoch gegriffen sein sollte, so hat sich doch die Annahme, daß das Gold aus seinen Verstecken herauskommen und bei friedlicher Lage dem Markte wieder zuströmen werde, vollauf bestätigt; Frankreichs Kredit blieb ungeschwächt, und die zwei Milliarden¬ anleihen wurden vielfach überzeichnet. Diese kurze Zeit des Zwangskurses in Frankreich ist lehrreich für alle Länder, welche sich in gleicher Lage befinden. Sie hat viele der alten Vor¬ urteile, namentlich das von der Dritteldeckung, beseitigt; sie beweist, daß es eine Normalgrenze für den Notenumlauf uicht giebt, und daß es vor allem die Handelsbilanz ist, welche auf den Wert des Papiergeldes für die Dauer be¬ stimmend einwirkt. Wir sehen also, daß es in Rußland nicht die hohe Ziffer Grenzboten III, 1K86. »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/73>, abgerufen am 03.07.2024.