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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zukunft des Zentrunis.

ihre internntivnale Bedeutung in einem geeigneten Momente mit in die Wag¬
schale wirft. Im einzelnen läßt sich darauf ja nichts im voraus festsetzen. Im
allgemeinen aber ist gewiß, daß der deutsche Staat, der aus den Zeiten der
heftigsten Aufreizungen und der populärsten Madonucnerscheinnngcn ohne
Schwierigkeit und Gefahr hervorgegangen ist, für seinen äußern Bestand von
jener Seite her nichts zu fürchten hat. Was den innern Zustand der Bürger
angeht, so wird es auch bei der größten Anstrengung der Lttgenprcsse nicht ge¬
lingen, und jetzt noch weniger als vorher, den Staat als verfvlgungssüchtig
gegen die Katholiken gestimmt darzustellen. Es fragt sich nur, ob das Ideal
der Kurie, durch den Staat die katholische Kirche zur herrschenden zu machen,
in irgend einer Zukunft die bürgerlichen Gemüter oder doch die Parlamentarier
in Deutschland so erfüllen oder sich ihnen als nützliches Prinzip z. B. in so¬
zialen Nöten so empfehlen werde, daß die Freiheit der andern Staatsbürger
und die freie Entwicklung unsrer Institutionen, sowie der Wissenschaft und Kunst
geschädigt werden würde. Gelingt das trotz der modernen Mittel des Wider¬
standes, verfällt der Staat wirklich in diese Knechtschaft, so verdienen die Bürger
ihr Loos und brauchen niemand anzuklagen als sich selbst. Es ist aber nicht
wahrscheinlich, daß die Zukunft so sehr an den Resultaten der letzten drei Jahr¬
hunderte irre werden wird, wieviel Thorheit dieselben auch entstellt und wieviel
Jammer noch immer einen großen Teil der Menschheit drückt. Denn dies ist
allerdings der Grund, der manche treffliche Patrioten in Betreff der Zukunft
beunruhigt, daß Millionen gedrückter Arbeiter voi? dem Glücke des Daseins so
wenig empfinden, daß ein Umsturz der Gesellschaftsordnung ihnen eher wünschens¬
wert als bedenklich erscheint. Es ist wahr, daß auch diese von der katholischen
Kirche keine wirkliche Hilfe erwarten; sie stehen eher in Opposition gegen die¬
selbe und wissen, daß in ganz katholischen Ländern wie Belgien und Spanien
nicht bessere Zustände sind als in andern. Aber es ist nicht undenkbar, daß
die von manchen als unabwendbar gedachte soziale Revolution eine Zeit lang
alles in Barbarei und Ruin versenkt, und daß das Bedürfnis geistiger Freiheit
nicht mehr gefühlt wird. Das wäre denn ein Zurückgehen ins Mittelalter, und
für einen solchen neuen Kultliranfang ist der Katholizismus die natürliche
Kirchenform. Aber auf solche sogenannte "leere" Möglichkeiten wollen wir nicht
den Blick richten. Wir haben noch immer die Hoffnung, daß unsre Regierung
die Unterstützung finden werde, den Arbeitern zu zeigen, daß der Staat die
Pflicht der Hilfe ernstlich fühlt, und daß er durch thätiges Einschreiten die
Kluft unter den sozialen Ständen so weit überbrücken werde, daß Vertrauen
an die Stelle der Erbitterung tritt.

Wäre das, was der OsMrvAkorö lion-mo sagt, daß nämlich die soziale
Reform dem Zentrum die Hauptarbeit der Zukunft wäre, ehrlich gemeint, so
könnte man dem ja nur zustimmen. Aber man muß daran irre werden, wenn
man die ultramontanen Parlamentarier in dieser Beziehung an der Arbeit sieht.


Die Zukunft des Zentrunis.

ihre internntivnale Bedeutung in einem geeigneten Momente mit in die Wag¬
schale wirft. Im einzelnen läßt sich darauf ja nichts im voraus festsetzen. Im
allgemeinen aber ist gewiß, daß der deutsche Staat, der aus den Zeiten der
heftigsten Aufreizungen und der populärsten Madonucnerscheinnngcn ohne
Schwierigkeit und Gefahr hervorgegangen ist, für seinen äußern Bestand von
jener Seite her nichts zu fürchten hat. Was den innern Zustand der Bürger
angeht, so wird es auch bei der größten Anstrengung der Lttgenprcsse nicht ge¬
lingen, und jetzt noch weniger als vorher, den Staat als verfvlgungssüchtig
gegen die Katholiken gestimmt darzustellen. Es fragt sich nur, ob das Ideal
der Kurie, durch den Staat die katholische Kirche zur herrschenden zu machen,
in irgend einer Zukunft die bürgerlichen Gemüter oder doch die Parlamentarier
in Deutschland so erfüllen oder sich ihnen als nützliches Prinzip z. B. in so¬
zialen Nöten so empfehlen werde, daß die Freiheit der andern Staatsbürger
und die freie Entwicklung unsrer Institutionen, sowie der Wissenschaft und Kunst
geschädigt werden würde. Gelingt das trotz der modernen Mittel des Wider¬
standes, verfällt der Staat wirklich in diese Knechtschaft, so verdienen die Bürger
ihr Loos und brauchen niemand anzuklagen als sich selbst. Es ist aber nicht
wahrscheinlich, daß die Zukunft so sehr an den Resultaten der letzten drei Jahr¬
hunderte irre werden wird, wieviel Thorheit dieselben auch entstellt und wieviel
Jammer noch immer einen großen Teil der Menschheit drückt. Denn dies ist
allerdings der Grund, der manche treffliche Patrioten in Betreff der Zukunft
beunruhigt, daß Millionen gedrückter Arbeiter voi? dem Glücke des Daseins so
wenig empfinden, daß ein Umsturz der Gesellschaftsordnung ihnen eher wünschens¬
wert als bedenklich erscheint. Es ist wahr, daß auch diese von der katholischen
Kirche keine wirkliche Hilfe erwarten; sie stehen eher in Opposition gegen die¬
selbe und wissen, daß in ganz katholischen Ländern wie Belgien und Spanien
nicht bessere Zustände sind als in andern. Aber es ist nicht undenkbar, daß
die von manchen als unabwendbar gedachte soziale Revolution eine Zeit lang
alles in Barbarei und Ruin versenkt, und daß das Bedürfnis geistiger Freiheit
nicht mehr gefühlt wird. Das wäre denn ein Zurückgehen ins Mittelalter, und
für einen solchen neuen Kultliranfang ist der Katholizismus die natürliche
Kirchenform. Aber auf solche sogenannte „leere" Möglichkeiten wollen wir nicht
den Blick richten. Wir haben noch immer die Hoffnung, daß unsre Regierung
die Unterstützung finden werde, den Arbeitern zu zeigen, daß der Staat die
Pflicht der Hilfe ernstlich fühlt, und daß er durch thätiges Einschreiten die
Kluft unter den sozialen Ständen so weit überbrücken werde, daß Vertrauen
an die Stelle der Erbitterung tritt.

Wäre das, was der OsMrvAkorö lion-mo sagt, daß nämlich die soziale
Reform dem Zentrum die Hauptarbeit der Zukunft wäre, ehrlich gemeint, so
könnte man dem ja nur zustimmen. Aber man muß daran irre werden, wenn
man die ultramontanen Parlamentarier in dieser Beziehung an der Arbeit sieht.


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[0064] Die Zukunft des Zentrunis. ihre internntivnale Bedeutung in einem geeigneten Momente mit in die Wag¬ schale wirft. Im einzelnen läßt sich darauf ja nichts im voraus festsetzen. Im allgemeinen aber ist gewiß, daß der deutsche Staat, der aus den Zeiten der heftigsten Aufreizungen und der populärsten Madonucnerscheinnngcn ohne Schwierigkeit und Gefahr hervorgegangen ist, für seinen äußern Bestand von jener Seite her nichts zu fürchten hat. Was den innern Zustand der Bürger angeht, so wird es auch bei der größten Anstrengung der Lttgenprcsse nicht ge¬ lingen, und jetzt noch weniger als vorher, den Staat als verfvlgungssüchtig gegen die Katholiken gestimmt darzustellen. Es fragt sich nur, ob das Ideal der Kurie, durch den Staat die katholische Kirche zur herrschenden zu machen, in irgend einer Zukunft die bürgerlichen Gemüter oder doch die Parlamentarier in Deutschland so erfüllen oder sich ihnen als nützliches Prinzip z. B. in so¬ zialen Nöten so empfehlen werde, daß die Freiheit der andern Staatsbürger und die freie Entwicklung unsrer Institutionen, sowie der Wissenschaft und Kunst geschädigt werden würde. Gelingt das trotz der modernen Mittel des Wider¬ standes, verfällt der Staat wirklich in diese Knechtschaft, so verdienen die Bürger ihr Loos und brauchen niemand anzuklagen als sich selbst. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß die Zukunft so sehr an den Resultaten der letzten drei Jahr¬ hunderte irre werden wird, wieviel Thorheit dieselben auch entstellt und wieviel Jammer noch immer einen großen Teil der Menschheit drückt. Denn dies ist allerdings der Grund, der manche treffliche Patrioten in Betreff der Zukunft beunruhigt, daß Millionen gedrückter Arbeiter voi? dem Glücke des Daseins so wenig empfinden, daß ein Umsturz der Gesellschaftsordnung ihnen eher wünschens¬ wert als bedenklich erscheint. Es ist wahr, daß auch diese von der katholischen Kirche keine wirkliche Hilfe erwarten; sie stehen eher in Opposition gegen die¬ selbe und wissen, daß in ganz katholischen Ländern wie Belgien und Spanien nicht bessere Zustände sind als in andern. Aber es ist nicht undenkbar, daß die von manchen als unabwendbar gedachte soziale Revolution eine Zeit lang alles in Barbarei und Ruin versenkt, und daß das Bedürfnis geistiger Freiheit nicht mehr gefühlt wird. Das wäre denn ein Zurückgehen ins Mittelalter, und für einen solchen neuen Kultliranfang ist der Katholizismus die natürliche Kirchenform. Aber auf solche sogenannte „leere" Möglichkeiten wollen wir nicht den Blick richten. Wir haben noch immer die Hoffnung, daß unsre Regierung die Unterstützung finden werde, den Arbeitern zu zeigen, daß der Staat die Pflicht der Hilfe ernstlich fühlt, und daß er durch thätiges Einschreiten die Kluft unter den sozialen Ständen so weit überbrücken werde, daß Vertrauen an die Stelle der Erbitterung tritt. Wäre das, was der OsMrvAkorö lion-mo sagt, daß nämlich die soziale Reform dem Zentrum die Hauptarbeit der Zukunft wäre, ehrlich gemeint, so könnte man dem ja nur zustimmen. Aber man muß daran irre werden, wenn man die ultramontanen Parlamentarier in dieser Beziehung an der Arbeit sieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/64>, abgerufen am 22.07.2024.