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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zukunft des Zentrums.

El" interessantes Beispiel, wie die protestantische Intoleranz ganz dieselben
Erscheinungen hervorrufen konnte, wenn auch nicht so parlamentarisch ausge¬
bildet, wie das Zentrum sie bietet, ist die anglikanische bischöfliche Opposition,
die beinahe ein Jahrhundert gedauert hat. Die Opposition knüpfte sich an eine
Toleranzverfügnng des katholischen Jakob II. (1672), die allerdings im Inter¬
esse der Katholiken gegeben wurde, aber an sich völlig löblich war. Die frühere
Zuneigung der anglikanischen Bischöfe zu dem katholischen Könige hörte plötzlich
auf. Die Bischöfe verbanden sich mit ihren ehemaligen Feinden, und der Sturz
der Stuarts trat ein. Es folgte Wilhelm III., den die Nation noch jetzt in
hohen Ehren hält, aber wie verhielten sich die Bischöfe gegen den neuen Pro¬
testantischen König? Sie merkten mit Zorn, daß er die Gegner der Kirche, die
sogenannten Dissenters, fromme Menschen, die aber der Landeskirche nicht an¬
gehören wollten, hoch hielt, daß er die Privilegien der anglikanischen Kirche
für Schottland aufhob, daß er also die Lehre vom göttlichen Recht der Bi¬
schöfe nicht anerkannte. Da gerieten sie in "heiligen Zorn." Sie verboten den
Gläubigen, für den König und die Königin zu beten, weigerten den vorgeschrie¬
benen Hnldigungseid, und sechshundert Geistliche folgten den Bischöfen. Man
betete für den geflüchteten katholischen König und seine Rückkehr, ohne zu be¬
denken, daß diese nur durch Bürgerkrieg möglich gewesen wäre. Als der Staat
einige Bischöfe absetzte, erschollen ganz ähnliche Klagerufe von der "leidenden
Kirche" wie in unsern Tagen. Die Abgesetzten fuhren fort, sich als Bischöfe
zu geriren und ernannten weitere Bischöfe, sodaß noch bis 1779 zwei Arten
von Bischöfen sich in die Anerkennung ihrer Herden teilten. Die Nation
wandte sich mehr und mehr dem Staate zu und ließ die alten Bischöfe im
Stich. Aber man sieht, daß prinzipiell die Sache ganz dieselbe ist. Die Menschen
waren nur zu weit entwickelt, um an die ausschließlich göttliche Berechtigung
der anglikanischen Kirche und ihrer Verfassung zu glauben, protestantische Häresie
wurde auch gegen eine protestantische Kirche geltend gemacht. Seitdem ist der Ge¬
danke der Toleranz bei den Evangelischen noch mehr durchgedrungen. Ein etwaiger
evangelischer kirchenpvlitischer Kampf würde insofern sehr wohl möglich sein, als
es eben manche Interessen der evangelischen Kirche auch dem Staate gegenüber
giebt, aber er würde nicht mit dem populäre" Erfolge und nicht mit dem Hoch¬
druck geführt werden, den die Vorstellung einer allein berechtigten, von Gott
gestifteten Kirche der Kurie zur Verfügung stellt, zumal da wir, in Verbindung
damit, keinen Anlaß haben, einen hierarchischen Einfluß zu begünstigen, den die
älteste christliche Kirche uicht gekannt hat. Dadurch ist die evangelische Kirche
sehr im Nachteile gegenüber der römischen.

Vielleicht ist sie sonst im Vorteil. Das läßt sich am besten von den Kirchen
aus beurteilen. Vom Standpunkte des Staates aus ist es eine eruste Frage,
wie er dem ohne Zweifel munter fortbestehenden römischen Zentrnmswescn Stand
zu halten gedenkt, wie er es namentlich dann zu können hofft, menn die Kurie


Die Zukunft des Zentrums.

El» interessantes Beispiel, wie die protestantische Intoleranz ganz dieselben
Erscheinungen hervorrufen konnte, wenn auch nicht so parlamentarisch ausge¬
bildet, wie das Zentrum sie bietet, ist die anglikanische bischöfliche Opposition,
die beinahe ein Jahrhundert gedauert hat. Die Opposition knüpfte sich an eine
Toleranzverfügnng des katholischen Jakob II. (1672), die allerdings im Inter¬
esse der Katholiken gegeben wurde, aber an sich völlig löblich war. Die frühere
Zuneigung der anglikanischen Bischöfe zu dem katholischen Könige hörte plötzlich
auf. Die Bischöfe verbanden sich mit ihren ehemaligen Feinden, und der Sturz
der Stuarts trat ein. Es folgte Wilhelm III., den die Nation noch jetzt in
hohen Ehren hält, aber wie verhielten sich die Bischöfe gegen den neuen Pro¬
testantischen König? Sie merkten mit Zorn, daß er die Gegner der Kirche, die
sogenannten Dissenters, fromme Menschen, die aber der Landeskirche nicht an¬
gehören wollten, hoch hielt, daß er die Privilegien der anglikanischen Kirche
für Schottland aufhob, daß er also die Lehre vom göttlichen Recht der Bi¬
schöfe nicht anerkannte. Da gerieten sie in „heiligen Zorn." Sie verboten den
Gläubigen, für den König und die Königin zu beten, weigerten den vorgeschrie¬
benen Hnldigungseid, und sechshundert Geistliche folgten den Bischöfen. Man
betete für den geflüchteten katholischen König und seine Rückkehr, ohne zu be¬
denken, daß diese nur durch Bürgerkrieg möglich gewesen wäre. Als der Staat
einige Bischöfe absetzte, erschollen ganz ähnliche Klagerufe von der „leidenden
Kirche" wie in unsern Tagen. Die Abgesetzten fuhren fort, sich als Bischöfe
zu geriren und ernannten weitere Bischöfe, sodaß noch bis 1779 zwei Arten
von Bischöfen sich in die Anerkennung ihrer Herden teilten. Die Nation
wandte sich mehr und mehr dem Staate zu und ließ die alten Bischöfe im
Stich. Aber man sieht, daß prinzipiell die Sache ganz dieselbe ist. Die Menschen
waren nur zu weit entwickelt, um an die ausschließlich göttliche Berechtigung
der anglikanischen Kirche und ihrer Verfassung zu glauben, protestantische Häresie
wurde auch gegen eine protestantische Kirche geltend gemacht. Seitdem ist der Ge¬
danke der Toleranz bei den Evangelischen noch mehr durchgedrungen. Ein etwaiger
evangelischer kirchenpvlitischer Kampf würde insofern sehr wohl möglich sein, als
es eben manche Interessen der evangelischen Kirche auch dem Staate gegenüber
giebt, aber er würde nicht mit dem populäre« Erfolge und nicht mit dem Hoch¬
druck geführt werden, den die Vorstellung einer allein berechtigten, von Gott
gestifteten Kirche der Kurie zur Verfügung stellt, zumal da wir, in Verbindung
damit, keinen Anlaß haben, einen hierarchischen Einfluß zu begünstigen, den die
älteste christliche Kirche uicht gekannt hat. Dadurch ist die evangelische Kirche
sehr im Nachteile gegenüber der römischen.

Vielleicht ist sie sonst im Vorteil. Das läßt sich am besten von den Kirchen
aus beurteilen. Vom Standpunkte des Staates aus ist es eine eruste Frage,
wie er dem ohne Zweifel munter fortbestehenden römischen Zentrnmswescn Stand
zu halten gedenkt, wie er es namentlich dann zu können hofft, menn die Kurie


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[0063] Die Zukunft des Zentrums. El» interessantes Beispiel, wie die protestantische Intoleranz ganz dieselben Erscheinungen hervorrufen konnte, wenn auch nicht so parlamentarisch ausge¬ bildet, wie das Zentrum sie bietet, ist die anglikanische bischöfliche Opposition, die beinahe ein Jahrhundert gedauert hat. Die Opposition knüpfte sich an eine Toleranzverfügnng des katholischen Jakob II. (1672), die allerdings im Inter¬ esse der Katholiken gegeben wurde, aber an sich völlig löblich war. Die frühere Zuneigung der anglikanischen Bischöfe zu dem katholischen Könige hörte plötzlich auf. Die Bischöfe verbanden sich mit ihren ehemaligen Feinden, und der Sturz der Stuarts trat ein. Es folgte Wilhelm III., den die Nation noch jetzt in hohen Ehren hält, aber wie verhielten sich die Bischöfe gegen den neuen Pro¬ testantischen König? Sie merkten mit Zorn, daß er die Gegner der Kirche, die sogenannten Dissenters, fromme Menschen, die aber der Landeskirche nicht an¬ gehören wollten, hoch hielt, daß er die Privilegien der anglikanischen Kirche für Schottland aufhob, daß er also die Lehre vom göttlichen Recht der Bi¬ schöfe nicht anerkannte. Da gerieten sie in „heiligen Zorn." Sie verboten den Gläubigen, für den König und die Königin zu beten, weigerten den vorgeschrie¬ benen Hnldigungseid, und sechshundert Geistliche folgten den Bischöfen. Man betete für den geflüchteten katholischen König und seine Rückkehr, ohne zu be¬ denken, daß diese nur durch Bürgerkrieg möglich gewesen wäre. Als der Staat einige Bischöfe absetzte, erschollen ganz ähnliche Klagerufe von der „leidenden Kirche" wie in unsern Tagen. Die Abgesetzten fuhren fort, sich als Bischöfe zu geriren und ernannten weitere Bischöfe, sodaß noch bis 1779 zwei Arten von Bischöfen sich in die Anerkennung ihrer Herden teilten. Die Nation wandte sich mehr und mehr dem Staate zu und ließ die alten Bischöfe im Stich. Aber man sieht, daß prinzipiell die Sache ganz dieselbe ist. Die Menschen waren nur zu weit entwickelt, um an die ausschließlich göttliche Berechtigung der anglikanischen Kirche und ihrer Verfassung zu glauben, protestantische Häresie wurde auch gegen eine protestantische Kirche geltend gemacht. Seitdem ist der Ge¬ danke der Toleranz bei den Evangelischen noch mehr durchgedrungen. Ein etwaiger evangelischer kirchenpvlitischer Kampf würde insofern sehr wohl möglich sein, als es eben manche Interessen der evangelischen Kirche auch dem Staate gegenüber giebt, aber er würde nicht mit dem populäre« Erfolge und nicht mit dem Hoch¬ druck geführt werden, den die Vorstellung einer allein berechtigten, von Gott gestifteten Kirche der Kurie zur Verfügung stellt, zumal da wir, in Verbindung damit, keinen Anlaß haben, einen hierarchischen Einfluß zu begünstigen, den die älteste christliche Kirche uicht gekannt hat. Dadurch ist die evangelische Kirche sehr im Nachteile gegenüber der römischen. Vielleicht ist sie sonst im Vorteil. Das läßt sich am besten von den Kirchen aus beurteilen. Vom Standpunkte des Staates aus ist es eine eruste Frage, wie er dem ohne Zweifel munter fortbestehenden römischen Zentrnmswescn Stand zu halten gedenkt, wie er es namentlich dann zu können hofft, menn die Kurie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/63>, abgerufen am 22.07.2024.