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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Ans der (Lhronik derer von Riffelshauscn.

Ruhe, Ruhe! rief der im rechten Augenblicke eintretende Dvkwr Petri
und ergriff den Arm des Hofmarschalls; sehen Sie denn nicht, verehrter Herr,
daß Sie es mit einem Kranken zu thun haben?




Zwanzigstes Aapitel.

Himmelschreiend! himmelschreiend! Ist das der Dank für erwiesene Gast¬
freundschaft? Geht es so zu in einem Hause von ehrbaren Christen!

Fräulein Cäcilie warf funkelnde Blicke um sich, Herr Trakelberg seufzte
nnr. und die Kinder schlichen sehen umher. Es ging so seltsam zu im Hause!

Mademoiselle Adelinc war abgereist, nachdem sie die letzten Tage in
beständigem Weinen verbracht hatte. Sie erklärte nicht die Ursachen ihres
Kummers, so eifrig auch die Kinder sie darum befragte", und wollte sich nicht
trösten lassen.

Vor ihrer Abreise noch hatte man eines Abends den Hofmarschall schwer
krank ins Hans getragen. Der Nachbar Schefflingen von Trübensee und
Doktor Petri hatten geheimnisvoll mit den Damen geredet, und nun lag der
Hausherr schon vierzehn Tage zu Bett, mitten in der Erntezeit!

Cäcilie eiferte eigentlich gegen die Wände. Sie konnte weder Trakelberg
noch die Kinder als Zuhörer erkiesen; aber aussprechen mußte sie sich, um nicht
am Ärger zu ersticken.

Er ist an allem schuld! sagte sie hundertmal, ohne ihn zu nennen; als
aber Julie einmal fragte, warum der Graf von Movsdorf gar nicht mehr
komme, erhielt sie eine Ohrfeige. Das war belehrend.

Die schlechte Laune der Tante war diesmal so anhaltend, daß die Kinder ihr
möglichst aus dem Wege gingen. Die Mutter kam nur selten aus dem Kranken-
zimmer hervor, und dann meist mit so traurigem Gesicht, daß die Jugend sich
gedrückt fühlte.

Therese war geneigt, alle Schuld für das Geschehene auf sich zu nehmen.
Wenn sie des Kranken unruhigen Schlaf überwachte, hatte sie Zeit genug, sich
Vorwürfe zu machen über das, was sie gethan und gesagt, oder uicht gethan
und nicht gesagt hatte. Dieser beunruhigende Kreislauf ihrer Gedanken brachte
sie oft bis zum Fieber. Dann stand sie auf und versuchte, sich selbst Vernunft
zu predigen. Sie hatte doch jederzeit das Beste gewollt, darnach gestrebt in
mancher schweren Stunde. Es hatte nicht in ihrer Macht gelegen, das jetzt
Geschehene zu verhindern. Nein, aber ein andrer hätte es gekonnt! Und daß
der nicht hier geblieben, wo er so nötig war, daran trug wieder sie die Schuld!
Dann seufzte sie und griff nach der brennenden Stirn, es war ihr manchmal,
als müsse ihr der Kopf zerspringen.


Ans der (Lhronik derer von Riffelshauscn.

Ruhe, Ruhe! rief der im rechten Augenblicke eintretende Dvkwr Petri
und ergriff den Arm des Hofmarschalls; sehen Sie denn nicht, verehrter Herr,
daß Sie es mit einem Kranken zu thun haben?




Zwanzigstes Aapitel.

Himmelschreiend! himmelschreiend! Ist das der Dank für erwiesene Gast¬
freundschaft? Geht es so zu in einem Hause von ehrbaren Christen!

Fräulein Cäcilie warf funkelnde Blicke um sich, Herr Trakelberg seufzte
nnr. und die Kinder schlichen sehen umher. Es ging so seltsam zu im Hause!

Mademoiselle Adelinc war abgereist, nachdem sie die letzten Tage in
beständigem Weinen verbracht hatte. Sie erklärte nicht die Ursachen ihres
Kummers, so eifrig auch die Kinder sie darum befragte», und wollte sich nicht
trösten lassen.

Vor ihrer Abreise noch hatte man eines Abends den Hofmarschall schwer
krank ins Hans getragen. Der Nachbar Schefflingen von Trübensee und
Doktor Petri hatten geheimnisvoll mit den Damen geredet, und nun lag der
Hausherr schon vierzehn Tage zu Bett, mitten in der Erntezeit!

Cäcilie eiferte eigentlich gegen die Wände. Sie konnte weder Trakelberg
noch die Kinder als Zuhörer erkiesen; aber aussprechen mußte sie sich, um nicht
am Ärger zu ersticken.

Er ist an allem schuld! sagte sie hundertmal, ohne ihn zu nennen; als
aber Julie einmal fragte, warum der Graf von Movsdorf gar nicht mehr
komme, erhielt sie eine Ohrfeige. Das war belehrend.

Die schlechte Laune der Tante war diesmal so anhaltend, daß die Kinder ihr
möglichst aus dem Wege gingen. Die Mutter kam nur selten aus dem Kranken-
zimmer hervor, und dann meist mit so traurigem Gesicht, daß die Jugend sich
gedrückt fühlte.

Therese war geneigt, alle Schuld für das Geschehene auf sich zu nehmen.
Wenn sie des Kranken unruhigen Schlaf überwachte, hatte sie Zeit genug, sich
Vorwürfe zu machen über das, was sie gethan und gesagt, oder uicht gethan
und nicht gesagt hatte. Dieser beunruhigende Kreislauf ihrer Gedanken brachte
sie oft bis zum Fieber. Dann stand sie auf und versuchte, sich selbst Vernunft
zu predigen. Sie hatte doch jederzeit das Beste gewollt, darnach gestrebt in
mancher schweren Stunde. Es hatte nicht in ihrer Macht gelegen, das jetzt
Geschehene zu verhindern. Nein, aber ein andrer hätte es gekonnt! Und daß
der nicht hier geblieben, wo er so nötig war, daran trug wieder sie die Schuld!
Dann seufzte sie und griff nach der brennenden Stirn, es war ihr manchmal,
als müsse ihr der Kopf zerspringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/623>, abgerufen am 22.07.2024.