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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Einige Minuten später durchflog der Wagen das Dorf, während Hegel
besseres Wetter erwartete, um sich mit seiner Botschaft nach dem Herrenhause
zu begeben.

Man war halbwegs bis Nnmmelshcmscn, als der Kutscher Jakob sich um¬
drehte. Befehlen? Es schien, als habe der Graf gesprochen.

Du mußt umwenden. Über den grauen Hund nach Moosdorf fahren.
Ich bin krank.

Jakob konnte sich das bald denken; er war recht besorgt für seinen Herrn
und ermahnte die Pferde, sich diesmal zu "reprüscntiren."

Das Moosdorfer Schloß war zweifellos unter den umliegenden Edelsitzen
der schönste. Im Rokokostil erbaut, war es doch nicht mit Schnörkeln über¬
laden. Die Front sah nach dem großartig angelegten, jetzt freilich verwilderten
Park. Die Einfahrt befand sich auf der Rückseite, wo stattliche Seitenflügel
einen schönen Hof einfaßten. Dort stand ein großer Steinbrunnen, dessen
Muschelbeckcn und wasserspeicnde Delphine von einem schilfbekränzten Triton
überragt wurden. Der Brunnen hatte wirklichen Kunstwert. Das Schloß selbst
war groß und weitläufig, war aber durch längeres Unbewohntsein etwas in
Verfall geraten. Sonst hatten die Besitzer mit ihren Familien jahraus jahrein
hier gehaust, auch Eustach Danda, der jetzige Schloßherr, hatte seine Kindheit
hier zugebracht. Seit er aber eine verwöhnte Hofdame geheiratet hatte, die von
Thüringen sprach wie von einem Verbannungsort und Moosdorf nie mit Augen
gesehen hatte, war auch er nur selten da erschienen.

Mooödorf diente ihm als Zufluchtsort. Wenn eins seiner galanten Aben¬
teuer anfing, ihm unbequem zu werden, liebte er es, hier im Verborgenen ab¬
zuwarten, daß alles sich ebne. Diesmal hatte er sich mehr als sonst fesseln
lassen und war sogar darauf verfallen, einmal wieder Landwirtschaft zu treiben.

In Moosdorf lebte er still und einfach. Eine hübsche, noch junge Haus¬
hälterin bemühte sich redlich, dem armen Einsiedler das Leben behaglich zu machen.

Auch die Moosdorfer Bauern legten ihrem Gutsherr" keine Steine in
den Weg. Es war ein ganz andrer Menschenschlag als die Siebenhvfer und
in der Kultur zurück, da ihr Dorf weitab von der großen Heerstraße lag.
Was dem Grafen beliebte, zu thun, hießen die Leute vou vornherein gut.

Als Daldas Wagen am Schloßportale hielt, schüttelte den Grafen das
Fieber dermaßen, daß er nur mühsam noch sein Zimmer erreichte.

Das Gewitter war fortgezogen, aber ein zweites kam herauf, und der
Regen fiel ungemindert.

Fräulein Flora, die Haushälterin, besann sich nicht lange, sondern sandte
schleunigst die geschlossene Kutsche mit ein paar frischen Pferden nach Rummels¬
hausen, um Doktor Petri zu holen. Dann setzte sie sich mit der Uhr in der
Hand zu dem Kranken, den man in das urtümliche Himmelbett gelegt hatte, und
wartete.


Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Einige Minuten später durchflog der Wagen das Dorf, während Hegel
besseres Wetter erwartete, um sich mit seiner Botschaft nach dem Herrenhause
zu begeben.

Man war halbwegs bis Nnmmelshcmscn, als der Kutscher Jakob sich um¬
drehte. Befehlen? Es schien, als habe der Graf gesprochen.

Du mußt umwenden. Über den grauen Hund nach Moosdorf fahren.
Ich bin krank.

Jakob konnte sich das bald denken; er war recht besorgt für seinen Herrn
und ermahnte die Pferde, sich diesmal zu „reprüscntiren."

Das Moosdorfer Schloß war zweifellos unter den umliegenden Edelsitzen
der schönste. Im Rokokostil erbaut, war es doch nicht mit Schnörkeln über¬
laden. Die Front sah nach dem großartig angelegten, jetzt freilich verwilderten
Park. Die Einfahrt befand sich auf der Rückseite, wo stattliche Seitenflügel
einen schönen Hof einfaßten. Dort stand ein großer Steinbrunnen, dessen
Muschelbeckcn und wasserspeicnde Delphine von einem schilfbekränzten Triton
überragt wurden. Der Brunnen hatte wirklichen Kunstwert. Das Schloß selbst
war groß und weitläufig, war aber durch längeres Unbewohntsein etwas in
Verfall geraten. Sonst hatten die Besitzer mit ihren Familien jahraus jahrein
hier gehaust, auch Eustach Danda, der jetzige Schloßherr, hatte seine Kindheit
hier zugebracht. Seit er aber eine verwöhnte Hofdame geheiratet hatte, die von
Thüringen sprach wie von einem Verbannungsort und Moosdorf nie mit Augen
gesehen hatte, war auch er nur selten da erschienen.

Mooödorf diente ihm als Zufluchtsort. Wenn eins seiner galanten Aben¬
teuer anfing, ihm unbequem zu werden, liebte er es, hier im Verborgenen ab¬
zuwarten, daß alles sich ebne. Diesmal hatte er sich mehr als sonst fesseln
lassen und war sogar darauf verfallen, einmal wieder Landwirtschaft zu treiben.

In Moosdorf lebte er still und einfach. Eine hübsche, noch junge Haus¬
hälterin bemühte sich redlich, dem armen Einsiedler das Leben behaglich zu machen.

Auch die Moosdorfer Bauern legten ihrem Gutsherr» keine Steine in
den Weg. Es war ein ganz andrer Menschenschlag als die Siebenhvfer und
in der Kultur zurück, da ihr Dorf weitab von der großen Heerstraße lag.
Was dem Grafen beliebte, zu thun, hießen die Leute vou vornherein gut.

Als Daldas Wagen am Schloßportale hielt, schüttelte den Grafen das
Fieber dermaßen, daß er nur mühsam noch sein Zimmer erreichte.

Das Gewitter war fortgezogen, aber ein zweites kam herauf, und der
Regen fiel ungemindert.

Fräulein Flora, die Haushälterin, besann sich nicht lange, sondern sandte
schleunigst die geschlossene Kutsche mit ein paar frischen Pferden nach Rummels¬
hausen, um Doktor Petri zu holen. Dann setzte sie sich mit der Uhr in der
Hand zu dem Kranken, den man in das urtümliche Himmelbett gelegt hatte, und
wartete.


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[0621] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Einige Minuten später durchflog der Wagen das Dorf, während Hegel besseres Wetter erwartete, um sich mit seiner Botschaft nach dem Herrenhause zu begeben. Man war halbwegs bis Nnmmelshcmscn, als der Kutscher Jakob sich um¬ drehte. Befehlen? Es schien, als habe der Graf gesprochen. Du mußt umwenden. Über den grauen Hund nach Moosdorf fahren. Ich bin krank. Jakob konnte sich das bald denken; er war recht besorgt für seinen Herrn und ermahnte die Pferde, sich diesmal zu „reprüscntiren." Das Moosdorfer Schloß war zweifellos unter den umliegenden Edelsitzen der schönste. Im Rokokostil erbaut, war es doch nicht mit Schnörkeln über¬ laden. Die Front sah nach dem großartig angelegten, jetzt freilich verwilderten Park. Die Einfahrt befand sich auf der Rückseite, wo stattliche Seitenflügel einen schönen Hof einfaßten. Dort stand ein großer Steinbrunnen, dessen Muschelbeckcn und wasserspeicnde Delphine von einem schilfbekränzten Triton überragt wurden. Der Brunnen hatte wirklichen Kunstwert. Das Schloß selbst war groß und weitläufig, war aber durch längeres Unbewohntsein etwas in Verfall geraten. Sonst hatten die Besitzer mit ihren Familien jahraus jahrein hier gehaust, auch Eustach Danda, der jetzige Schloßherr, hatte seine Kindheit hier zugebracht. Seit er aber eine verwöhnte Hofdame geheiratet hatte, die von Thüringen sprach wie von einem Verbannungsort und Moosdorf nie mit Augen gesehen hatte, war auch er nur selten da erschienen. Mooödorf diente ihm als Zufluchtsort. Wenn eins seiner galanten Aben¬ teuer anfing, ihm unbequem zu werden, liebte er es, hier im Verborgenen ab¬ zuwarten, daß alles sich ebne. Diesmal hatte er sich mehr als sonst fesseln lassen und war sogar darauf verfallen, einmal wieder Landwirtschaft zu treiben. In Moosdorf lebte er still und einfach. Eine hübsche, noch junge Haus¬ hälterin bemühte sich redlich, dem armen Einsiedler das Leben behaglich zu machen. Auch die Moosdorfer Bauern legten ihrem Gutsherr» keine Steine in den Weg. Es war ein ganz andrer Menschenschlag als die Siebenhvfer und in der Kultur zurück, da ihr Dorf weitab von der großen Heerstraße lag. Was dem Grafen beliebte, zu thun, hießen die Leute vou vornherein gut. Als Daldas Wagen am Schloßportale hielt, schüttelte den Grafen das Fieber dermaßen, daß er nur mühsam noch sein Zimmer erreichte. Das Gewitter war fortgezogen, aber ein zweites kam herauf, und der Regen fiel ungemindert. Fräulein Flora, die Haushälterin, besann sich nicht lange, sondern sandte schleunigst die geschlossene Kutsche mit ein paar frischen Pferden nach Rummels¬ hausen, um Doktor Petri zu holen. Dann setzte sie sich mit der Uhr in der Hand zu dem Kranken, den man in das urtümliche Himmelbett gelegt hatte, und wartete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/621>, abgerufen am 22.07.2024.