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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Banerdörfern Nordnngarns.

Verbunden, der faltig und krausenartig über den Nacken fällt, vorn ist es
bis auf einen zwei Finger breiten Saum tief und weit eingeschlitzt. Das
"Miederla" und seine Sippe ist heute in Deutschland selten geworden, läßt sich
aber noch immer von dem "Schalk" Tirols, dem "Buseupfad" Kärntens bis
zum "IfdÄ" (Oberteil) der schwedischen Dalkarle nachweisen. Die übrigen,
auch bei Schröer (Vaucruhaus u. s. w.) aufgeführten Gewandstücke, die weniger
alt sind und erst einem späteren Mittelalter angehören, wie Kittel, Brustfleck ze.
übergehe ich.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich auch, daß in den umliegenden Dörfern,
ja bis vor kurzem in Deutsch-Praben selbst, die alte Totenklage noch lebendig
war. Die Weiber umstehen dabei die Leiche und ergehen sich dabei laut jammernd
in Wendungen und Redensarten wie der folgenden, die ich mit Mühe einer
alten Frau entlockte: "Ach an mein, dn hast mi gelassen, was soll i jetz anfange,
was mit soviel Kinder, ich ha ti ja genug gepflegt, das hat nicht geholfen."
Bei den Slowaken wird die Totenklage singend abgeleiert, bei den Deutschen
gesprochen. (Weitere Beispiele s. bei Schröer.)

Da ich noch an demselben Tage nach Zny6 zurückkehrte, unterwegs aber
in Gaidel und Münichwics eine Nachlese halten wollte, mußte ich mich zeitig
auf deu Weg machen. Ju Müuichwies traf ich den Pfarrer, einen schönen,
kräftigen Slowaken, den ich unter anderen nach einigen Angaben Schröcrs befragte,
welcher den Müuichwiesern eine vollständige sittliche Verwilderung in die Schuhe
schiebt; indes der geistliche Herr wollte von dergleichen nichts wissen, stellte
überhaupt seinen Pflegebefohlenen ein günstiges Zeugnis aus: sie seien nüchterner
als die Slowaken, auch nicht so "keck" (wohl lärmend und zänkisch). Wie mir
Singer sagte, sollen sich die Miinichwieser eines übermäßigen Kinderreichtums
erfreue", eines Segens, welchen die Nachbarn, ohne Zweifel besser berichtet als
Schröer, dem Wasser des Ortes zuschreiben, also einem Kinderbrunnen, der dereinst
gefaßt, etikettirt und versandt den Münichwiesern ungezählte Schätze eintragen
wird. Am Abend war ich wieder in meinem einfachen, aber behaglichen Wirts¬
haus in Zupo, das ich jedem meiner Landsleute, der in diese Gegenden ver¬
schlagen werden sollte, nur empfehlen kann. Folgenden Morgens bestieg ich
die Bahn, die den Reisenden in einer kleinen Stunde auf die Wasserscheide
zwischen Waag und Eipcl (Station Berg) trägt, von wo man in wenigen weiteren
Minuten nach der Station Kremnitz hinabrollt.




Germanische Altertümer aus den Banerdörfern Nordnngarns.

Verbunden, der faltig und krausenartig über den Nacken fällt, vorn ist es
bis auf einen zwei Finger breiten Saum tief und weit eingeschlitzt. Das
„Miederla" und seine Sippe ist heute in Deutschland selten geworden, läßt sich
aber noch immer von dem „Schalk" Tirols, dem „Buseupfad" Kärntens bis
zum „IfdÄ" (Oberteil) der schwedischen Dalkarle nachweisen. Die übrigen,
auch bei Schröer (Vaucruhaus u. s. w.) aufgeführten Gewandstücke, die weniger
alt sind und erst einem späteren Mittelalter angehören, wie Kittel, Brustfleck ze.
übergehe ich.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich auch, daß in den umliegenden Dörfern,
ja bis vor kurzem in Deutsch-Praben selbst, die alte Totenklage noch lebendig
war. Die Weiber umstehen dabei die Leiche und ergehen sich dabei laut jammernd
in Wendungen und Redensarten wie der folgenden, die ich mit Mühe einer
alten Frau entlockte: „Ach an mein, dn hast mi gelassen, was soll i jetz anfange,
was mit soviel Kinder, ich ha ti ja genug gepflegt, das hat nicht geholfen."
Bei den Slowaken wird die Totenklage singend abgeleiert, bei den Deutschen
gesprochen. (Weitere Beispiele s. bei Schröer.)

Da ich noch an demselben Tage nach Zny6 zurückkehrte, unterwegs aber
in Gaidel und Münichwics eine Nachlese halten wollte, mußte ich mich zeitig
auf deu Weg machen. Ju Müuichwies traf ich den Pfarrer, einen schönen,
kräftigen Slowaken, den ich unter anderen nach einigen Angaben Schröcrs befragte,
welcher den Müuichwiesern eine vollständige sittliche Verwilderung in die Schuhe
schiebt; indes der geistliche Herr wollte von dergleichen nichts wissen, stellte
überhaupt seinen Pflegebefohlenen ein günstiges Zeugnis aus: sie seien nüchterner
als die Slowaken, auch nicht so „keck" (wohl lärmend und zänkisch). Wie mir
Singer sagte, sollen sich die Miinichwieser eines übermäßigen Kinderreichtums
erfreue», eines Segens, welchen die Nachbarn, ohne Zweifel besser berichtet als
Schröer, dem Wasser des Ortes zuschreiben, also einem Kinderbrunnen, der dereinst
gefaßt, etikettirt und versandt den Münichwiesern ungezählte Schätze eintragen
wird. Am Abend war ich wieder in meinem einfachen, aber behaglichen Wirts¬
haus in Zupo, das ich jedem meiner Landsleute, der in diese Gegenden ver¬
schlagen werden sollte, nur empfehlen kann. Folgenden Morgens bestieg ich
die Bahn, die den Reisenden in einer kleinen Stunde auf die Wasserscheide
zwischen Waag und Eipcl (Station Berg) trägt, von wo man in wenigen weiteren
Minuten nach der Station Kremnitz hinabrollt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/610>, abgerufen am 24.08.2024.