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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zukunft des Iontrums.

des Kampfes hatten. Mit dieser Thatsache hat man zu rechnen. Man kommt
aber nicht an der andern Thatsache vorbei, daß die Thätigkeit des Zentrums
schließlich als eine kirchenpolitisch erfolgreiche sich bewährt hat. Umsoweniger
ist, wie schon angedeutet wurde, anzunehmen, daß diese Ausnutzung des freilich
von dem Papste Gregor XVI, verfluchten Systems politischer Freiheit von dem
Zentrum selbst oder vou irgendeiner katholischen Autorität jetzt, wo es sich so
machtvoll bewiesen hat, aufgegeben werden wird.

Der einzige Fall, in welchem das Zentrum sich verflüchtigen würde, wäre
die Beseitigung der parlamentarische" Verfassung im Reiche und in den einzelnen
Ländern. Ist durch irgend eine Umwälzung von oben oder unten die Gesell¬
schaft nicht mehr durch ihre Repräsentanten fähig, auf die öffentlichen Dinge
einzuwirken, haben also die weltlichen und kirchlichen Genossenschaften nicht mehr
das Recht, durch Wahlen ihre Interessen zu vertreten, so ist es mit dem Zen¬
trum vorbei, oder vielmehr die dann als Zentrum fungirenden Bischöfe hätten
für gewöhnlich mir die kirchliche Sphäre zur Verfügung, nicht die politische.
Aber dieser Fall widerspricht so sehr dem landläufigen Begriff von politischer
Freiheit, daß man ihn für die nächsten fünfzig Jahre wohl für ganz ausge¬
schlossen ansehen kann. Und so lange die jetzige konstitutionelle Verfassung dauert,
wird es sich die Kirche nicht nehmen lassen, die darin gegebene soziale Einwirkung
auf Gesetzgebung und Verwaltung für ihre Interessen zu benutzen.

Dies ist für den umsoweniger zweifelhaft, der die Größe der ultramontanen
Ansprüche an den Staat übersehen kann und weiß, wie viele dieser Ansprüche
auch jetzt noch trotz der Erledigung der ärgsten Streitpunkte rückständig sind.
Das ist etwas, was die Protestanten nicht gern durchdenken und nur mit An¬
strengung erkennen. Sie bilde" sich oft ein, ein weiterer Streit der Kurie habe
keinen rechten Zweck; es sei el" Zustand der Befriedigung auf Seiten der Kurie
zu erwarten, und somit eine Auflösung der kämpfenden Schaaren Windthorsts.
Nichts kann irriger sein, als diese harmlose Ansicht. Das meiste und schwerste
ist noch übrig, die Unterdrückung des Unglaubens durch die Herrschaft des Papstes
über alle Könige, über den ganzen modernen Staat, der in der deutschen Re¬
formation einen so gewaltigen Hebel gefunden hat. Auch ohne weitläufige
Herbeiziehung der alten Bullen läßt sich dieser erhabene Traum der Kurie völlig
verstehen. Die Kirche ist ebeu die Seelsorgcri" für alle Getauften, Die Pro¬
testanten unter diesen befinde" sich zu ihrem endlichen Seelenheil im Bann und
müssen vou der Kirche und nach deren Anleitung vom Staate zwangsweise
wieder "zurückgeführt" werden. Der Staat, der diese Pflicht einseitig ablehnt
und Toleranz gegen die Ketzer übt oder diese gar begünstigt, thut Richtiges.
So sind die Prinzipien der Kurie längst formulirt und sind nie aufgegeben
worden, können auch nicht aufgegeben werde". Leo XIII. hat sie in der No¬
vember-Eneyklika dem Wesen "ach wieder eingeschärft, und uach Windthorst ist
es sogar schon Thatsache, daß "der Greis im Vatikan die Welt regiert." Daß


Die Zukunft des Iontrums.

des Kampfes hatten. Mit dieser Thatsache hat man zu rechnen. Man kommt
aber nicht an der andern Thatsache vorbei, daß die Thätigkeit des Zentrums
schließlich als eine kirchenpolitisch erfolgreiche sich bewährt hat. Umsoweniger
ist, wie schon angedeutet wurde, anzunehmen, daß diese Ausnutzung des freilich
von dem Papste Gregor XVI, verfluchten Systems politischer Freiheit von dem
Zentrum selbst oder vou irgendeiner katholischen Autorität jetzt, wo es sich so
machtvoll bewiesen hat, aufgegeben werden wird.

Der einzige Fall, in welchem das Zentrum sich verflüchtigen würde, wäre
die Beseitigung der parlamentarische» Verfassung im Reiche und in den einzelnen
Ländern. Ist durch irgend eine Umwälzung von oben oder unten die Gesell¬
schaft nicht mehr durch ihre Repräsentanten fähig, auf die öffentlichen Dinge
einzuwirken, haben also die weltlichen und kirchlichen Genossenschaften nicht mehr
das Recht, durch Wahlen ihre Interessen zu vertreten, so ist es mit dem Zen¬
trum vorbei, oder vielmehr die dann als Zentrum fungirenden Bischöfe hätten
für gewöhnlich mir die kirchliche Sphäre zur Verfügung, nicht die politische.
Aber dieser Fall widerspricht so sehr dem landläufigen Begriff von politischer
Freiheit, daß man ihn für die nächsten fünfzig Jahre wohl für ganz ausge¬
schlossen ansehen kann. Und so lange die jetzige konstitutionelle Verfassung dauert,
wird es sich die Kirche nicht nehmen lassen, die darin gegebene soziale Einwirkung
auf Gesetzgebung und Verwaltung für ihre Interessen zu benutzen.

Dies ist für den umsoweniger zweifelhaft, der die Größe der ultramontanen
Ansprüche an den Staat übersehen kann und weiß, wie viele dieser Ansprüche
auch jetzt noch trotz der Erledigung der ärgsten Streitpunkte rückständig sind.
Das ist etwas, was die Protestanten nicht gern durchdenken und nur mit An¬
strengung erkennen. Sie bilde» sich oft ein, ein weiterer Streit der Kurie habe
keinen rechten Zweck; es sei el» Zustand der Befriedigung auf Seiten der Kurie
zu erwarten, und somit eine Auflösung der kämpfenden Schaaren Windthorsts.
Nichts kann irriger sein, als diese harmlose Ansicht. Das meiste und schwerste
ist noch übrig, die Unterdrückung des Unglaubens durch die Herrschaft des Papstes
über alle Könige, über den ganzen modernen Staat, der in der deutschen Re¬
formation einen so gewaltigen Hebel gefunden hat. Auch ohne weitläufige
Herbeiziehung der alten Bullen läßt sich dieser erhabene Traum der Kurie völlig
verstehen. Die Kirche ist ebeu die Seelsorgcri» für alle Getauften, Die Pro¬
testanten unter diesen befinde» sich zu ihrem endlichen Seelenheil im Bann und
müssen vou der Kirche und nach deren Anleitung vom Staate zwangsweise
wieder „zurückgeführt" werden. Der Staat, der diese Pflicht einseitig ablehnt
und Toleranz gegen die Ketzer übt oder diese gar begünstigt, thut Richtiges.
So sind die Prinzipien der Kurie längst formulirt und sind nie aufgegeben
worden, können auch nicht aufgegeben werde». Leo XIII. hat sie in der No¬
vember-Eneyklika dem Wesen »ach wieder eingeschärft, und uach Windthorst ist
es sogar schon Thatsache, daß „der Greis im Vatikan die Welt regiert." Daß


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[0061] Die Zukunft des Iontrums. des Kampfes hatten. Mit dieser Thatsache hat man zu rechnen. Man kommt aber nicht an der andern Thatsache vorbei, daß die Thätigkeit des Zentrums schließlich als eine kirchenpolitisch erfolgreiche sich bewährt hat. Umsoweniger ist, wie schon angedeutet wurde, anzunehmen, daß diese Ausnutzung des freilich von dem Papste Gregor XVI, verfluchten Systems politischer Freiheit von dem Zentrum selbst oder vou irgendeiner katholischen Autorität jetzt, wo es sich so machtvoll bewiesen hat, aufgegeben werden wird. Der einzige Fall, in welchem das Zentrum sich verflüchtigen würde, wäre die Beseitigung der parlamentarische» Verfassung im Reiche und in den einzelnen Ländern. Ist durch irgend eine Umwälzung von oben oder unten die Gesell¬ schaft nicht mehr durch ihre Repräsentanten fähig, auf die öffentlichen Dinge einzuwirken, haben also die weltlichen und kirchlichen Genossenschaften nicht mehr das Recht, durch Wahlen ihre Interessen zu vertreten, so ist es mit dem Zen¬ trum vorbei, oder vielmehr die dann als Zentrum fungirenden Bischöfe hätten für gewöhnlich mir die kirchliche Sphäre zur Verfügung, nicht die politische. Aber dieser Fall widerspricht so sehr dem landläufigen Begriff von politischer Freiheit, daß man ihn für die nächsten fünfzig Jahre wohl für ganz ausge¬ schlossen ansehen kann. Und so lange die jetzige konstitutionelle Verfassung dauert, wird es sich die Kirche nicht nehmen lassen, die darin gegebene soziale Einwirkung auf Gesetzgebung und Verwaltung für ihre Interessen zu benutzen. Dies ist für den umsoweniger zweifelhaft, der die Größe der ultramontanen Ansprüche an den Staat übersehen kann und weiß, wie viele dieser Ansprüche auch jetzt noch trotz der Erledigung der ärgsten Streitpunkte rückständig sind. Das ist etwas, was die Protestanten nicht gern durchdenken und nur mit An¬ strengung erkennen. Sie bilde» sich oft ein, ein weiterer Streit der Kurie habe keinen rechten Zweck; es sei el» Zustand der Befriedigung auf Seiten der Kurie zu erwarten, und somit eine Auflösung der kämpfenden Schaaren Windthorsts. Nichts kann irriger sein, als diese harmlose Ansicht. Das meiste und schwerste ist noch übrig, die Unterdrückung des Unglaubens durch die Herrschaft des Papstes über alle Könige, über den ganzen modernen Staat, der in der deutschen Re¬ formation einen so gewaltigen Hebel gefunden hat. Auch ohne weitläufige Herbeiziehung der alten Bullen läßt sich dieser erhabene Traum der Kurie völlig verstehen. Die Kirche ist ebeu die Seelsorgcri» für alle Getauften, Die Pro¬ testanten unter diesen befinde» sich zu ihrem endlichen Seelenheil im Bann und müssen vou der Kirche und nach deren Anleitung vom Staate zwangsweise wieder „zurückgeführt" werden. Der Staat, der diese Pflicht einseitig ablehnt und Toleranz gegen die Ketzer übt oder diese gar begünstigt, thut Richtiges. So sind die Prinzipien der Kurie längst formulirt und sind nie aufgegeben worden, können auch nicht aufgegeben werde». Leo XIII. hat sie in der No¬ vember-Eneyklika dem Wesen »ach wieder eingeschärft, und uach Windthorst ist es sogar schon Thatsache, daß „der Greis im Vatikan die Welt regiert." Daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/61>, abgerufen am 22.07.2024.