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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

zwar eine erste Übersicht insofern erleichtert, als man nur geradeaus zu gehen
hat, um alles wie an der Schnur aufgereiht zu sehen, der aber jede ein¬
gehendere Untersuchung durch das fortwährende Hin- und Wiederlaufen sehr
zeitraubend macht. Die Länderei schließt sich unmittelbar an den Hof an, von
einer Einteilung in Gewanne scheint keine Spur zu sein, indes konnte ich bei
meinem gemessenen Aufenthalte dieser Seite nicht die verdiente Berücksichtigung
schenken.

Münichwies war das erste Dorf, in dem ich Gelegenheit fand, leider
nicht die schon erstorbene Hausgenossenschaft, aber doch noch eines der alten
Gcschlechtshäuser kennen zu lernen, die mit ihren Hünengestalten dastehen als
Zeugen eiuer uus heutige Deutsche fast vorsintflutlich anmutenden Gesellschafts¬
ordnung. Erst vor zwei Jahren war ein solches Haus "gewälzt" worden, das
in seinen Räumen fünfzig, nach Singer sogar siebzig Bewohner geborgen hatte;
allerdings war das Zusammenleben schon in letzter Zeit ein mehr äußerliches
gewesen: jede Familie hatte schon ihren besondern Platz am Herde, ja es
kamen wohl zu diesem Behufe in einer Stube zwei Öfen mit Herd vor.

Noch zehn Minuten Feldweges, und ich gelangte an die ersten Häuser des
in schlnchtartigem Einschnitt zwischen zwei hochansteigenden Berglehnen lang
ausgezogenen Dorfes, eines der ärmsten unter den Haudörferu, dessen Felder
so abschüssig liegen, daß sie nur mit der Haue bearbeitet werden können. Bei
der ungenügenden Beschaffenheit der Länderei ist die Hvfbildung verkümmert,
Scheunen, Ställe sieht man, vielleicht auch in Folge der neuerlichen Zersplitterung,
wenig, Haus reiht sich an Haus an beiden Seiten des seichten Baches, lauter
kleine, einstöckige, aus vollen Balken offenbar neu gezimmerte Häuschen, ganz
schmuck im frischen Holzglanz, eins genau wie das andre, die Thür mitten in
der Längsseite, ans einer Seite der Flur die Stube, auf der andern ein oder
zwei Kämmerchen, auf die einfachsten Bedürfnisse einer Familie berechnet, das
Ergebnis der Aufteilung, vielleicht vier bis fünf an Stelle des alten "gewalztem"
Gcschlechtshauses. Dann aber fällt der Blick auf ein Gebäude ganz andrer
Art, das sich über die andern Zwerge reckt, "wie der Hirsch über dem Hase"
steht," sast noch einmal so lang und hoch, einsam steht es heute da, ehr¬
würdig und mächtig schaut es herab auf die entartete Nachkommenschaft; diese
tiefgcbrüunten Balken, rußgeschwärzt über dem Rauchloch am Dache, haben
Jahrhunderte gesehen. Auf den ersten Blick leuchtet es ein, daß dies Haus
niemals für eine einzige Familie hergestellt sein konnte, am wenigsten in jener
alten Zeit, es war von Anfang an bestimmt, ein ganzes Geschlecht aufzunehmen.

Als ich staunend vor dem Hause stand, trat ein junger Bursche herzu:
einer von denen -- ein glücklicher Zufall wollte es --, die ich vor dem Wirtshause
gesehen hatte, und zeigte sich bereit, mich in dem Hause, dem er selbst an¬
gehörte, herumzuführen. Das Haus Ur. 7 führt den Hausnameu Elschler,
slowakisch Ani,dojmt<; obgleich es im ganzen die alte Einrichtung bewahrt hat,


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

zwar eine erste Übersicht insofern erleichtert, als man nur geradeaus zu gehen
hat, um alles wie an der Schnur aufgereiht zu sehen, der aber jede ein¬
gehendere Untersuchung durch das fortwährende Hin- und Wiederlaufen sehr
zeitraubend macht. Die Länderei schließt sich unmittelbar an den Hof an, von
einer Einteilung in Gewanne scheint keine Spur zu sein, indes konnte ich bei
meinem gemessenen Aufenthalte dieser Seite nicht die verdiente Berücksichtigung
schenken.

Münichwies war das erste Dorf, in dem ich Gelegenheit fand, leider
nicht die schon erstorbene Hausgenossenschaft, aber doch noch eines der alten
Gcschlechtshäuser kennen zu lernen, die mit ihren Hünengestalten dastehen als
Zeugen eiuer uus heutige Deutsche fast vorsintflutlich anmutenden Gesellschafts¬
ordnung. Erst vor zwei Jahren war ein solches Haus „gewälzt" worden, das
in seinen Räumen fünfzig, nach Singer sogar siebzig Bewohner geborgen hatte;
allerdings war das Zusammenleben schon in letzter Zeit ein mehr äußerliches
gewesen: jede Familie hatte schon ihren besondern Platz am Herde, ja es
kamen wohl zu diesem Behufe in einer Stube zwei Öfen mit Herd vor.

Noch zehn Minuten Feldweges, und ich gelangte an die ersten Häuser des
in schlnchtartigem Einschnitt zwischen zwei hochansteigenden Berglehnen lang
ausgezogenen Dorfes, eines der ärmsten unter den Haudörferu, dessen Felder
so abschüssig liegen, daß sie nur mit der Haue bearbeitet werden können. Bei
der ungenügenden Beschaffenheit der Länderei ist die Hvfbildung verkümmert,
Scheunen, Ställe sieht man, vielleicht auch in Folge der neuerlichen Zersplitterung,
wenig, Haus reiht sich an Haus an beiden Seiten des seichten Baches, lauter
kleine, einstöckige, aus vollen Balken offenbar neu gezimmerte Häuschen, ganz
schmuck im frischen Holzglanz, eins genau wie das andre, die Thür mitten in
der Längsseite, ans einer Seite der Flur die Stube, auf der andern ein oder
zwei Kämmerchen, auf die einfachsten Bedürfnisse einer Familie berechnet, das
Ergebnis der Aufteilung, vielleicht vier bis fünf an Stelle des alten „gewalztem"
Gcschlechtshauses. Dann aber fällt der Blick auf ein Gebäude ganz andrer
Art, das sich über die andern Zwerge reckt, „wie der Hirsch über dem Hase»
steht," sast noch einmal so lang und hoch, einsam steht es heute da, ehr¬
würdig und mächtig schaut es herab auf die entartete Nachkommenschaft; diese
tiefgcbrüunten Balken, rußgeschwärzt über dem Rauchloch am Dache, haben
Jahrhunderte gesehen. Auf den ersten Blick leuchtet es ein, daß dies Haus
niemals für eine einzige Familie hergestellt sein konnte, am wenigsten in jener
alten Zeit, es war von Anfang an bestimmt, ein ganzes Geschlecht aufzunehmen.

Als ich staunend vor dem Hause stand, trat ein junger Bursche herzu:
einer von denen — ein glücklicher Zufall wollte es —, die ich vor dem Wirtshause
gesehen hatte, und zeigte sich bereit, mich in dem Hause, dem er selbst an¬
gehörte, herumzuführen. Das Haus Ur. 7 führt den Hausnameu Elschler,
slowakisch Ani,dojmt<; obgleich es im ganzen die alte Einrichtung bewahrt hat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/602>, abgerufen am 22.07.2024.