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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Faktor bilde, mit dein jeder rechnen müsse, der auf sozialem Gebiete etwas er¬
reichen wolle. Das Zentrum werde diesen Gesichtspunkt nie aus den Augen
verlieren und mit der gewohnten Entschlossenheit und Kampfesfreudigkeit auf
der betretenen ehrenvollen Bahn fortschreiten, welche ihm die Sorge um die so¬
zialen Interessen des Landes stets vorgezeichnet hätten. Gewiß sei daher, daß
jene heldenmütige Schaar die vollständige Verwirklichung ihres Programms, wie
es von Anbeginn aufgestellt und nie aufgegeben gewesen sei, sich zur Lebens¬
aufgabe stellen würde, und als ein großes Glück werde es bezeichnet werden
müssen, wenn auch die Katholiken andrer Länder dem gegebenen Beispiele der
ausdauernden Thatkraft der deutschen Katholiken folgten, weil nicht nur in
Deutschland, sondern auch in der ganzen Welt die unbedingte Notwendigkeit einer
sozialen Reform vorliege und überall die Wege, welche hierin zum Ziele führten,
dieselben seien.

Damit ist also in vorsichtiger Weise zunächst angesagt, daß das Zentrum
weiter kämpfen werde, und zwar wenigstens, um die soziale Reform in katholischem
Sinne zu betreiben. Diese Reform, die, wie mit Recht betont wird, in der
ganzen Welt unbedingt notwendig ist, wird nach den Hoffnungen des ultra-
montanen Blattes alle Staatsmänner zwingen, die katholische Kirche, diesen
mächtigen sozialen Faktor, zu Hilfe zu rufen. Da ist denn das Zentrum die
ganz geeignete Körperschaft, durch ihren parlamentarischen Einfluß diese Be¬
deutung der katholischen Kirche fühlbar zu machen. Läßt sich im Anschluß an
die gut geschulte Zentrumsfraktion eine Majorität von Welsen, Polen, Frei¬
sinnigen, Konservativen (und Windthvrstianern) schaffen, die jede Zustimmung
zu einer wünschenswerten Maßregel davon abhängig macht, daß alle sozialen
Reformen in katholischem Sinn angegriffen werden, so ist der Wille des Papstes
dann auf dem politischen Gebiete so siegreich wie auf dem geistlichen. Diese
Aussicht und diese Möglichkeit wird stets den Papst verhindern, den politischen
Katholizismus in parlamentarischer Form, wie ihn das Zentrum darstellt, zu
descwouireu. Es ist ein bloßes Spiel der Gedanken, zu fragen, ob eine päpst¬
liche Erklärung das Zentrum auflösen könnte. Wenn es noch so gewiß ist, daß
diese Erklärung die auflösende Wirkung hätte, sie wird nie erfolgen.

Und darüber möchten wir noch einige Worte sagen.

Die Partei des politischen Katholizismus ist älter als der Kulturkampf,
daher ist es schou nicht wahrscheinlich, daß sie mit dem Eintritt des nroäus
vivsuäi zugleich ihre Selbstauflösung vollziehen werde. Der politische Katholi¬
zismus stammt ans dem Jahre 1848, wo die freie Bewegung der Massen er¬
kennen ließ, was man bei gehöriger Ausbeutung der vielen neuen Freiheiten
durch den geistlichen Druck konstitutionell erreichen könne. Im Oktober 1848
wurde in Würzburg das Werk im großen geregelt. Erzbischof Geissel, die
Seele des Ganzen, fand auch in Berlin, wo er Mitglied der Nationalver¬
sammlung war, gute Helfer, einmal den Demokraten Waldeck, den katholischen


Faktor bilde, mit dein jeder rechnen müsse, der auf sozialem Gebiete etwas er¬
reichen wolle. Das Zentrum werde diesen Gesichtspunkt nie aus den Augen
verlieren und mit der gewohnten Entschlossenheit und Kampfesfreudigkeit auf
der betretenen ehrenvollen Bahn fortschreiten, welche ihm die Sorge um die so¬
zialen Interessen des Landes stets vorgezeichnet hätten. Gewiß sei daher, daß
jene heldenmütige Schaar die vollständige Verwirklichung ihres Programms, wie
es von Anbeginn aufgestellt und nie aufgegeben gewesen sei, sich zur Lebens¬
aufgabe stellen würde, und als ein großes Glück werde es bezeichnet werden
müssen, wenn auch die Katholiken andrer Länder dem gegebenen Beispiele der
ausdauernden Thatkraft der deutschen Katholiken folgten, weil nicht nur in
Deutschland, sondern auch in der ganzen Welt die unbedingte Notwendigkeit einer
sozialen Reform vorliege und überall die Wege, welche hierin zum Ziele führten,
dieselben seien.

Damit ist also in vorsichtiger Weise zunächst angesagt, daß das Zentrum
weiter kämpfen werde, und zwar wenigstens, um die soziale Reform in katholischem
Sinne zu betreiben. Diese Reform, die, wie mit Recht betont wird, in der
ganzen Welt unbedingt notwendig ist, wird nach den Hoffnungen des ultra-
montanen Blattes alle Staatsmänner zwingen, die katholische Kirche, diesen
mächtigen sozialen Faktor, zu Hilfe zu rufen. Da ist denn das Zentrum die
ganz geeignete Körperschaft, durch ihren parlamentarischen Einfluß diese Be¬
deutung der katholischen Kirche fühlbar zu machen. Läßt sich im Anschluß an
die gut geschulte Zentrumsfraktion eine Majorität von Welsen, Polen, Frei¬
sinnigen, Konservativen (und Windthvrstianern) schaffen, die jede Zustimmung
zu einer wünschenswerten Maßregel davon abhängig macht, daß alle sozialen
Reformen in katholischem Sinn angegriffen werden, so ist der Wille des Papstes
dann auf dem politischen Gebiete so siegreich wie auf dem geistlichen. Diese
Aussicht und diese Möglichkeit wird stets den Papst verhindern, den politischen
Katholizismus in parlamentarischer Form, wie ihn das Zentrum darstellt, zu
descwouireu. Es ist ein bloßes Spiel der Gedanken, zu fragen, ob eine päpst¬
liche Erklärung das Zentrum auflösen könnte. Wenn es noch so gewiß ist, daß
diese Erklärung die auflösende Wirkung hätte, sie wird nie erfolgen.

Und darüber möchten wir noch einige Worte sagen.

Die Partei des politischen Katholizismus ist älter als der Kulturkampf,
daher ist es schou nicht wahrscheinlich, daß sie mit dem Eintritt des nroäus
vivsuäi zugleich ihre Selbstauflösung vollziehen werde. Der politische Katholi¬
zismus stammt ans dem Jahre 1848, wo die freie Bewegung der Massen er¬
kennen ließ, was man bei gehöriger Ausbeutung der vielen neuen Freiheiten
durch den geistlichen Druck konstitutionell erreichen könne. Im Oktober 1848
wurde in Würzburg das Werk im großen geregelt. Erzbischof Geissel, die
Seele des Ganzen, fand auch in Berlin, wo er Mitglied der Nationalver¬
sammlung war, gute Helfer, einmal den Demokraten Waldeck, den katholischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/59>, abgerufen am 22.07.2024.