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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

sich der Nationalpartei empfohlen und genähert hatte. Weder Nußland noch
der Sultan täuschten sich hiermit. Wohl aber machten beide die Rechnung ohne
den Wirt, d. h. ohne Rücksicht auf die genannte Partei, welche Krestcwitschs
Schwäche benutzte, um deu Staatsstreich von 1885 in Szene zu setzen. Gop-
tschewitsch behauptet, daß Karawelow die Hemd dabei im Spiele gehabt habe,
und wir dürfen ihm hierin Glauben schenken. Er geht aber weiter und sagt:
"K'arawelows Endziele waren den Russen bald bekannt. Rußland ^wer in
Rußlands hatte dagegen nichts einzuwenden, es wollte jedoch aus der Vei>
einignug Nutzen ziehen, daher schlug der russische Generalkonsul Sorokin Kara¬
welow vor, er möge den Fürsten Alexander dnrch Beschluß des Sobranje für
abgesetzt erklären und deu Prinzen Waldemcir von Dänemark, den Bruder der
russischen Kaiserin, zum Fürsten von Bulgarien ausrufen. In diesem Falle
werde Rußland die Vereinigung Ostrumclieus und Bulgariens bewirken und be¬
schützen." Karawelow aber habe, so fährt er fort, den Antrag abgelehnt, weil ihm
der Fürst Alexander, jetzt mit den Radikalen versöhnt und an sie gebunden, weniger
gefährlich erschienen sei als die russische Bevormundung, die eine Einwilligung
in Svrokins Verlangen nur habe verstärken können. Ist diese ganze Er¬
zählung ans verschiednen Gründen unwahrscheinlich, so flößt uns der Bericht¬
erstatter noch mehr Zweifel ein, wenn er weiter schreibt: "Karawelow gestand
mir, er und der Fürst hätten monatelang an der Herbeiführung des Staats¬
streiches gearbeitet; der Hofmarschall Baron Riedesel bestätigte mir nach einigem
Zögern die Wahrheit dieser Mitteilung." So wichtige Staatsgeheimnisse läßt
man sich doch nicht vom ersten besten Zeitungsreporter entlocke", wobei freilich
zu bedenken sein wird, daß in Bulgarien mehr möglich ist als anderwärts.
Daß der Fürst von den Plänen seines Ministers in Ostrmnelicn Kenntnis ge¬
habt und sie gebilligt habe, ist hiermit nicht ausgeschlossen und wird auch dadurch
nicht unglaublich, daß er dies später wiederholt in Abrede gestellt hat. Der
Moralkodcx der Politik hat immer einen Paragraphen gehabt, welcher für Not¬
falle "die Wahrheit mit Modifikation zu reden" gestattet.

Nachdem man über die Sache in Sofia einig geworden war, setzte sich Kara¬
welow mit Stranski und dem Agitator Stvjanow in Verbindung, von denen
der letztere in Philippopel Gymnasiallehrer war und zugleich ein Blatt redigirte.
Krcstcwitsch hatte sich dnrch Absetzung von imtivnalgcsinnten Beamten und Nach¬
giebigkeit gegen den russischen Generalkonsul verhaßt gemacht. Drigalsti Pascha,
der Nachfolger Streckers, besaß geringe Befähigung und wenig Ansehen bei der
Miliz. Stojanow hetzte mit Macht gegen die Regierung und predigte ungescheut
Anschluß an Bulgarien. Stranski unterstützte ihn, indem er als Finanzmann
nachwies, daß ein vereinigtes Bulgarien wohlfeiler sein werde als ein getrenntes,
welches dem Bankerott entgegengehe. Der Staatsstreich, der ursprünglich erst
im Frühjahre 1.886 stattfinden sollte, wurde jetzt vielleicht infolge des Sorv-
linschen Vorschlages, wahrscheinlicher aber auf englische Anregung, von Karawelow


Bulgarien und sein Fürst.

sich der Nationalpartei empfohlen und genähert hatte. Weder Nußland noch
der Sultan täuschten sich hiermit. Wohl aber machten beide die Rechnung ohne
den Wirt, d. h. ohne Rücksicht auf die genannte Partei, welche Krestcwitschs
Schwäche benutzte, um deu Staatsstreich von 1885 in Szene zu setzen. Gop-
tschewitsch behauptet, daß Karawelow die Hemd dabei im Spiele gehabt habe,
und wir dürfen ihm hierin Glauben schenken. Er geht aber weiter und sagt:
„K'arawelows Endziele waren den Russen bald bekannt. Rußland ^wer in
Rußlands hatte dagegen nichts einzuwenden, es wollte jedoch aus der Vei>
einignug Nutzen ziehen, daher schlug der russische Generalkonsul Sorokin Kara¬
welow vor, er möge den Fürsten Alexander dnrch Beschluß des Sobranje für
abgesetzt erklären und deu Prinzen Waldemcir von Dänemark, den Bruder der
russischen Kaiserin, zum Fürsten von Bulgarien ausrufen. In diesem Falle
werde Rußland die Vereinigung Ostrumclieus und Bulgariens bewirken und be¬
schützen." Karawelow aber habe, so fährt er fort, den Antrag abgelehnt, weil ihm
der Fürst Alexander, jetzt mit den Radikalen versöhnt und an sie gebunden, weniger
gefährlich erschienen sei als die russische Bevormundung, die eine Einwilligung
in Svrokins Verlangen nur habe verstärken können. Ist diese ganze Er¬
zählung ans verschiednen Gründen unwahrscheinlich, so flößt uns der Bericht¬
erstatter noch mehr Zweifel ein, wenn er weiter schreibt: „Karawelow gestand
mir, er und der Fürst hätten monatelang an der Herbeiführung des Staats¬
streiches gearbeitet; der Hofmarschall Baron Riedesel bestätigte mir nach einigem
Zögern die Wahrheit dieser Mitteilung." So wichtige Staatsgeheimnisse läßt
man sich doch nicht vom ersten besten Zeitungsreporter entlocke», wobei freilich
zu bedenken sein wird, daß in Bulgarien mehr möglich ist als anderwärts.
Daß der Fürst von den Plänen seines Ministers in Ostrmnelicn Kenntnis ge¬
habt und sie gebilligt habe, ist hiermit nicht ausgeschlossen und wird auch dadurch
nicht unglaublich, daß er dies später wiederholt in Abrede gestellt hat. Der
Moralkodcx der Politik hat immer einen Paragraphen gehabt, welcher für Not¬
falle „die Wahrheit mit Modifikation zu reden" gestattet.

Nachdem man über die Sache in Sofia einig geworden war, setzte sich Kara¬
welow mit Stranski und dem Agitator Stvjanow in Verbindung, von denen
der letztere in Philippopel Gymnasiallehrer war und zugleich ein Blatt redigirte.
Krcstcwitsch hatte sich dnrch Absetzung von imtivnalgcsinnten Beamten und Nach¬
giebigkeit gegen den russischen Generalkonsul verhaßt gemacht. Drigalsti Pascha,
der Nachfolger Streckers, besaß geringe Befähigung und wenig Ansehen bei der
Miliz. Stojanow hetzte mit Macht gegen die Regierung und predigte ungescheut
Anschluß an Bulgarien. Stranski unterstützte ihn, indem er als Finanzmann
nachwies, daß ein vereinigtes Bulgarien wohlfeiler sein werde als ein getrenntes,
welches dem Bankerott entgegengehe. Der Staatsstreich, der ursprünglich erst
im Frühjahre 1.886 stattfinden sollte, wurde jetzt vielleicht infolge des Sorv-
linschen Vorschlages, wahrscheinlicher aber auf englische Anregung, von Karawelow


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/588>, abgerufen am 22.07.2024.