Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

hoffnungsvoller Zögling der Klosterschule Roßleben, hatte den Kontrast zwischen
der allzustrengen mütterlichen Aufsicht und der verhältnismäßigen Ungebunden-
'heit des Schttlerlebeus nicht recht vertragen und war zur Zeit ein geradezu
unausstehlicher Vengel.

Frau von Schesfliugen fand sofort großes Wohlgefallen an der feinen
und zarten Frau von Riffelshausen und liebte es, sich mit derselben über päda¬
gogische Grundsätze zu unterhalieu. Therese fühlte sich dieser vortrefflichen
Frau gegenüber sehr schwach, und ihre Verehrung für dieselbe stieg mit jedem
Tage.

Bei dir braucht etwas nur Schesfliugen zu heißen, meinte Cäcilie, so ist
es tadellos. Ich kann dir aber versichern, daß auch andre ihre Pflicht thun.

An der Nichtigkeit der letzter" Behauptung zweifelte Therese nicht, und
ebensowenig ihr Freund, der alte Pfarrer von Siebcnhofen, der an einem schönen
Sommermorgen zu deu Freuden seines Gottes hinüberschlief. -

Der alte Herr war schon seit längerer Zeit unfähig gewesen, seinen Amts¬
pflichten nachzukommen. Im Dorfe hatten ihn Cäcilie und Therese vertreten
müssen, in der Kirche der Kantor, der die Predigten vorlas (natürlich in der
schönsten Thüringer Mundart). Dennoch empfand man seinen Tod als einen
schmerzlichen Verlust, denn der alte Herr war ein Mann des Friedens gewesen,
voller Freundlichkeit und Herzensgüte, sodaß sich nur liebe Erinnerungen an
sein Andenke" knüpften. Nun lag er im Sarge, und sein Gegner, der eifernde
Altlutheraner aus Trübensee, donnerte über seinem Grabe die verblüfften Sieben-
hofer an. Pastor Audermütz aus Trübensee hatte keinen Schatten von Menschen-
furcht und kannte keinerlei Rücksichten, wenn es galt, für seine Überzeugung
einzutreten. Als er das erstemal für seinen Amtsbruder in Siebcnhofen pre¬
digte und darauf nach alter Sitte im Herrenhaus das Mittagsmahl einnahm,
stritt er sich heftig mit Cäcilie; er nannte sie eine "Lcwdicäerin" und verkündete
ihr, der Herr werde sie am jüngsten Tage ans seinem Munde speien, sie nud
alle, die ihre lauen Ansichten über ti/ höchsten Dinge teilten.

brüllte Audermütz, der sich beständig erhitzte und dann mit Gesten der Ver¬
zweiflung sein großes, weißes Taschentuch auseinander- und wieder zusammen¬
wickelte.

Erlauben Sie, Herr Pastor, warf Tratelberg ein, Sie setzen den Gott,
der die Liebe ist, doch wohl zu sehr hintan.

Schweigen Sie, fahrlässiger Jünger! Ich sehe, daß auch Sie sich von
den matten, feigherzigen Anschauungen haben anstecken lassen, die sich gleich
bunten Schlangen in unsre Kirche schleichen und ihr erschlaffendes Gift nmher-


Grenzl'öden III. 1886. 72
Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

hoffnungsvoller Zögling der Klosterschule Roßleben, hatte den Kontrast zwischen
der allzustrengen mütterlichen Aufsicht und der verhältnismäßigen Ungebunden-
'heit des Schttlerlebeus nicht recht vertragen und war zur Zeit ein geradezu
unausstehlicher Vengel.

Frau von Schesfliugen fand sofort großes Wohlgefallen an der feinen
und zarten Frau von Riffelshausen und liebte es, sich mit derselben über päda¬
gogische Grundsätze zu unterhalieu. Therese fühlte sich dieser vortrefflichen
Frau gegenüber sehr schwach, und ihre Verehrung für dieselbe stieg mit jedem
Tage.

Bei dir braucht etwas nur Schesfliugen zu heißen, meinte Cäcilie, so ist
es tadellos. Ich kann dir aber versichern, daß auch andre ihre Pflicht thun.

An der Nichtigkeit der letzter» Behauptung zweifelte Therese nicht, und
ebensowenig ihr Freund, der alte Pfarrer von Siebcnhofen, der an einem schönen
Sommermorgen zu deu Freuden seines Gottes hinüberschlief. -

Der alte Herr war schon seit längerer Zeit unfähig gewesen, seinen Amts¬
pflichten nachzukommen. Im Dorfe hatten ihn Cäcilie und Therese vertreten
müssen, in der Kirche der Kantor, der die Predigten vorlas (natürlich in der
schönsten Thüringer Mundart). Dennoch empfand man seinen Tod als einen
schmerzlichen Verlust, denn der alte Herr war ein Mann des Friedens gewesen,
voller Freundlichkeit und Herzensgüte, sodaß sich nur liebe Erinnerungen an
sein Andenke» knüpften. Nun lag er im Sarge, und sein Gegner, der eifernde
Altlutheraner aus Trübensee, donnerte über seinem Grabe die verblüfften Sieben-
hofer an. Pastor Audermütz aus Trübensee hatte keinen Schatten von Menschen-
furcht und kannte keinerlei Rücksichten, wenn es galt, für seine Überzeugung
einzutreten. Als er das erstemal für seinen Amtsbruder in Siebcnhofen pre¬
digte und darauf nach alter Sitte im Herrenhaus das Mittagsmahl einnahm,
stritt er sich heftig mit Cäcilie; er nannte sie eine „Lcwdicäerin" und verkündete
ihr, der Herr werde sie am jüngsten Tage ans seinem Munde speien, sie nud
alle, die ihre lauen Ansichten über ti/ höchsten Dinge teilten.

brüllte Audermütz, der sich beständig erhitzte und dann mit Gesten der Ver¬
zweiflung sein großes, weißes Taschentuch auseinander- und wieder zusammen¬
wickelte.

Erlauben Sie, Herr Pastor, warf Tratelberg ein, Sie setzen den Gott,
der die Liebe ist, doch wohl zu sehr hintan.

Schweigen Sie, fahrlässiger Jünger! Ich sehe, daß auch Sie sich von
den matten, feigherzigen Anschauungen haben anstecken lassen, die sich gleich
bunten Schlangen in unsre Kirche schleichen und ihr erschlaffendes Gift nmher-


Grenzl'öden III. 1886. 72
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199297"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1965" prev="#ID_1964"> hoffnungsvoller Zögling der Klosterschule Roßleben, hatte den Kontrast zwischen<lb/>
der allzustrengen mütterlichen Aufsicht und der verhältnismäßigen Ungebunden-<lb/>
'heit des Schttlerlebeus nicht recht vertragen und war zur Zeit ein geradezu<lb/>
unausstehlicher Vengel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1966"> Frau von Schesfliugen fand sofort großes Wohlgefallen an der feinen<lb/>
und zarten Frau von Riffelshausen und liebte es, sich mit derselben über päda¬<lb/>
gogische Grundsätze zu unterhalieu. Therese fühlte sich dieser vortrefflichen<lb/>
Frau gegenüber sehr schwach, und ihre Verehrung für dieselbe stieg mit jedem<lb/>
Tage.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1967"> Bei dir braucht etwas nur Schesfliugen zu heißen, meinte Cäcilie, so ist<lb/>
es tadellos.  Ich kann dir aber versichern, daß auch andre ihre Pflicht thun.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1968"> An der Nichtigkeit der letzter» Behauptung zweifelte Therese nicht, und<lb/>
ebensowenig ihr Freund, der alte Pfarrer von Siebcnhofen, der an einem schönen<lb/>
Sommermorgen zu deu Freuden seines Gottes hinüberschlief. -</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1969"> Der alte Herr war schon seit längerer Zeit unfähig gewesen, seinen Amts¬<lb/>
pflichten nachzukommen. Im Dorfe hatten ihn Cäcilie und Therese vertreten<lb/>
müssen, in der Kirche der Kantor, der die Predigten vorlas (natürlich in der<lb/>
schönsten Thüringer Mundart). Dennoch empfand man seinen Tod als einen<lb/>
schmerzlichen Verlust, denn der alte Herr war ein Mann des Friedens gewesen,<lb/>
voller Freundlichkeit und Herzensgüte, sodaß sich nur liebe Erinnerungen an<lb/>
sein Andenke» knüpften. Nun lag er im Sarge, und sein Gegner, der eifernde<lb/>
Altlutheraner aus Trübensee, donnerte über seinem Grabe die verblüfften Sieben-<lb/>
hofer an. Pastor Audermütz aus Trübensee hatte keinen Schatten von Menschen-<lb/>
furcht und kannte keinerlei Rücksichten, wenn es galt, für seine Überzeugung<lb/>
einzutreten. Als er das erstemal für seinen Amtsbruder in Siebcnhofen pre¬<lb/>
digte und darauf nach alter Sitte im Herrenhaus das Mittagsmahl einnahm,<lb/>
stritt er sich heftig mit Cäcilie; er nannte sie eine &#x201E;Lcwdicäerin" und verkündete<lb/>
ihr, der Herr werde sie am jüngsten Tage ans seinem Munde speien, sie nud<lb/>
alle, die ihre lauen Ansichten über ti/ höchsten Dinge teilten.</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_19" type="poem">
              <l/>
            </lg><lb/>
            <p xml:id="ID_1970"> brüllte Audermütz, der sich beständig erhitzte und dann mit Gesten der Ver¬<lb/>
zweiflung sein großes, weißes Taschentuch auseinander- und wieder zusammen¬<lb/>
wickelte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1971"> Erlauben Sie, Herr Pastor, warf Tratelberg ein, Sie setzen den Gott,<lb/>
der die Liebe ist, doch wohl zu sehr hintan.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1972" next="#ID_1973"> Schweigen Sie, fahrlässiger Jünger! Ich sehe, daß auch Sie sich von<lb/>
den matten, feigherzigen Anschauungen haben anstecken lassen, die sich gleich<lb/>
bunten Schlangen in unsre Kirche schleichen und ihr erschlaffendes Gift nmher-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzl'öden III. 1886. 72</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. hoffnungsvoller Zögling der Klosterschule Roßleben, hatte den Kontrast zwischen der allzustrengen mütterlichen Aufsicht und der verhältnismäßigen Ungebunden- 'heit des Schttlerlebeus nicht recht vertragen und war zur Zeit ein geradezu unausstehlicher Vengel. Frau von Schesfliugen fand sofort großes Wohlgefallen an der feinen und zarten Frau von Riffelshausen und liebte es, sich mit derselben über päda¬ gogische Grundsätze zu unterhalieu. Therese fühlte sich dieser vortrefflichen Frau gegenüber sehr schwach, und ihre Verehrung für dieselbe stieg mit jedem Tage. Bei dir braucht etwas nur Schesfliugen zu heißen, meinte Cäcilie, so ist es tadellos. Ich kann dir aber versichern, daß auch andre ihre Pflicht thun. An der Nichtigkeit der letzter» Behauptung zweifelte Therese nicht, und ebensowenig ihr Freund, der alte Pfarrer von Siebcnhofen, der an einem schönen Sommermorgen zu deu Freuden seines Gottes hinüberschlief. - Der alte Herr war schon seit längerer Zeit unfähig gewesen, seinen Amts¬ pflichten nachzukommen. Im Dorfe hatten ihn Cäcilie und Therese vertreten müssen, in der Kirche der Kantor, der die Predigten vorlas (natürlich in der schönsten Thüringer Mundart). Dennoch empfand man seinen Tod als einen schmerzlichen Verlust, denn der alte Herr war ein Mann des Friedens gewesen, voller Freundlichkeit und Herzensgüte, sodaß sich nur liebe Erinnerungen an sein Andenke» knüpften. Nun lag er im Sarge, und sein Gegner, der eifernde Altlutheraner aus Trübensee, donnerte über seinem Grabe die verblüfften Sieben- hofer an. Pastor Audermütz aus Trübensee hatte keinen Schatten von Menschen- furcht und kannte keinerlei Rücksichten, wenn es galt, für seine Überzeugung einzutreten. Als er das erstemal für seinen Amtsbruder in Siebcnhofen pre¬ digte und darauf nach alter Sitte im Herrenhaus das Mittagsmahl einnahm, stritt er sich heftig mit Cäcilie; er nannte sie eine „Lcwdicäerin" und verkündete ihr, der Herr werde sie am jüngsten Tage ans seinem Munde speien, sie nud alle, die ihre lauen Ansichten über ti/ höchsten Dinge teilten. brüllte Audermütz, der sich beständig erhitzte und dann mit Gesten der Ver¬ zweiflung sein großes, weißes Taschentuch auseinander- und wieder zusammen¬ wickelte. Erlauben Sie, Herr Pastor, warf Tratelberg ein, Sie setzen den Gott, der die Liebe ist, doch wohl zu sehr hintan. Schweigen Sie, fahrlässiger Jünger! Ich sehe, daß auch Sie sich von den matten, feigherzigen Anschauungen haben anstecken lassen, die sich gleich bunten Schlangen in unsre Kirche schleichen und ihr erschlaffendes Gift nmher- Grenzl'öden III. 1886. 72

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/577>, abgerufen am 03.07.2024.