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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Porträt, Genre und Landschaft a"f der Berliner Znbllälmis-Uunstausstellung.

Künstlers, das "Sorgenkind" von Hugo von Habermann. Wir blicken in das
Kvnsultationszimmer eines bejahrten Arztes, der einen schmächtigen Knaben,
welcher sich zu diesem Zwecke halb entkleidet hat, auf Brust und Lungen prüft,
während die Angen der auf einem Stuhle sitzenden Mutter in angstvoller
Spannung jeder Manipulation des Arztes folgen. Dieses neue Motiv würde
an und für sich den Wert des Bildes nicht bestimmen, wenn der Künstler nicht
zugleich bedeutende Mittel der Darstellung besäße, die vor allen Dingen auch
die ungewöhnlich großen Dimensionen rechtfertigen.

Auch drei Ausländer kommen hier in Betracht: der Franzose A. Delobbe,
dessen Bild "Zwei Töchter des Ozeans" sich nur durch Zufall auf unsre Aus¬
stellung verirrt hat, da seine Landsleute eine Beteiligung in, oorpors abgelehnt
haben, und die Belgier Jan Verhas und Emil Seeldrayers, Die beiden "Töchter
des Ozeans," welche Delobbe dargestellt hat, sind nicht etwa zwei fabelhafte
Meerweiber, sondern zwei am Gestade lagernde Fischermädchen von der Bretagne,
umflossen von dem weichen, silbergrauen Wasserdunste und sich dennoch in zarter
Plastik von dem Hintergründe absehend. Die saubern Mädchen mit den großen,
schwermütigen Angen üben freilich eine Anziehungskraft für sich allein, sodaß
die Malweise erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Bei den Gemälden von
Verhas halten sich Stoff und Technik die Waage. Die "Schnlrcvue aus Anlaß
der silbernen Hochzeit des belgischen Königspaares im Jahre 1878," bereits
1880 gemalt, hat dem Maler schon zahlreiche Ehren eingetragen. Vor dem
Königspaare, welches ans der Treppe des Schlosses von Laeken, umgeben von
Würdenträgern des Hofes, steht, defiliren kleine Mädchen, von ihren Lehrern
und Lehrerinnen geführt, gewissermaßen in strammer Kvmpagnicfront vorüber.
Die Kleinen sind alle in weißer oder doch ganz Heller Sommerkleidung, wodurch
die Lichtfülle des im Freien vor sich gehenden Schauspiels noch vermehrt wird.
Gleichwohl kommt jede der zahlreichen Figuren zu ihrem individuellen Rechte,
freilich so, daß die kleinen Gratnlantinncn, auf deren Charakteristik der Maler
das Hauptgewicht gelegt hat, auch das vornehmste Interesse in Anspruch nehmen.
Der Auszug geht, vermutlich der WirÄichleit entsprechend, nicht bei Hellem Sonnen¬
licht vor sich. Daß die Hellmaler eine gleiche plastische Wirkung aber auch
bei ungedeckten Licht erzielen können, erfahren wir durch ein zweites Bild von
Verhas, auf welchem ein etwa zwölfjähriges Mädchen dargestellt ist, das, von
einem roten Sonnenschirme behütet, auf der Landungsbrücke in Blanlenberghe
sitzt und in das Meer hinausblickt. Das Bild sieht allerdings wie eine große
kolorirte Augenblicksphotographie ans, etwas roh und hart. Wenn man aber
die Überzeugung gewinnt, daß solche Gemälde die Stufen zu einer neuen Ent¬
wicklung der Malerei bilden, muß man einen ästhetischen Grundsatz nach dem
andern opfern, ebenso wie diese bahnbrechenden Maler selbst ihre Schöpfungen,
an denen die Nachwelt nur uoch ein historisches Interesse haben wird, zum
Opfer bringen. Mehr kann man auch vou Seeldrayers' "Klinik in der Thier-


Porträt, Genre und Landschaft a»f der Berliner Znbllälmis-Uunstausstellung.

Künstlers, das „Sorgenkind" von Hugo von Habermann. Wir blicken in das
Kvnsultationszimmer eines bejahrten Arztes, der einen schmächtigen Knaben,
welcher sich zu diesem Zwecke halb entkleidet hat, auf Brust und Lungen prüft,
während die Angen der auf einem Stuhle sitzenden Mutter in angstvoller
Spannung jeder Manipulation des Arztes folgen. Dieses neue Motiv würde
an und für sich den Wert des Bildes nicht bestimmen, wenn der Künstler nicht
zugleich bedeutende Mittel der Darstellung besäße, die vor allen Dingen auch
die ungewöhnlich großen Dimensionen rechtfertigen.

Auch drei Ausländer kommen hier in Betracht: der Franzose A. Delobbe,
dessen Bild „Zwei Töchter des Ozeans" sich nur durch Zufall auf unsre Aus¬
stellung verirrt hat, da seine Landsleute eine Beteiligung in, oorpors abgelehnt
haben, und die Belgier Jan Verhas und Emil Seeldrayers, Die beiden „Töchter
des Ozeans," welche Delobbe dargestellt hat, sind nicht etwa zwei fabelhafte
Meerweiber, sondern zwei am Gestade lagernde Fischermädchen von der Bretagne,
umflossen von dem weichen, silbergrauen Wasserdunste und sich dennoch in zarter
Plastik von dem Hintergründe absehend. Die saubern Mädchen mit den großen,
schwermütigen Angen üben freilich eine Anziehungskraft für sich allein, sodaß
die Malweise erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Bei den Gemälden von
Verhas halten sich Stoff und Technik die Waage. Die „Schnlrcvue aus Anlaß
der silbernen Hochzeit des belgischen Königspaares im Jahre 1878," bereits
1880 gemalt, hat dem Maler schon zahlreiche Ehren eingetragen. Vor dem
Königspaare, welches ans der Treppe des Schlosses von Laeken, umgeben von
Würdenträgern des Hofes, steht, defiliren kleine Mädchen, von ihren Lehrern
und Lehrerinnen geführt, gewissermaßen in strammer Kvmpagnicfront vorüber.
Die Kleinen sind alle in weißer oder doch ganz Heller Sommerkleidung, wodurch
die Lichtfülle des im Freien vor sich gehenden Schauspiels noch vermehrt wird.
Gleichwohl kommt jede der zahlreichen Figuren zu ihrem individuellen Rechte,
freilich so, daß die kleinen Gratnlantinncn, auf deren Charakteristik der Maler
das Hauptgewicht gelegt hat, auch das vornehmste Interesse in Anspruch nehmen.
Der Auszug geht, vermutlich der WirÄichleit entsprechend, nicht bei Hellem Sonnen¬
licht vor sich. Daß die Hellmaler eine gleiche plastische Wirkung aber auch
bei ungedeckten Licht erzielen können, erfahren wir durch ein zweites Bild von
Verhas, auf welchem ein etwa zwölfjähriges Mädchen dargestellt ist, das, von
einem roten Sonnenschirme behütet, auf der Landungsbrücke in Blanlenberghe
sitzt und in das Meer hinausblickt. Das Bild sieht allerdings wie eine große
kolorirte Augenblicksphotographie ans, etwas roh und hart. Wenn man aber
die Überzeugung gewinnt, daß solche Gemälde die Stufen zu einer neuen Ent¬
wicklung der Malerei bilden, muß man einen ästhetischen Grundsatz nach dem
andern opfern, ebenso wie diese bahnbrechenden Maler selbst ihre Schöpfungen,
an denen die Nachwelt nur uoch ein historisches Interesse haben wird, zum
Opfer bringen. Mehr kann man auch vou Seeldrayers' „Klinik in der Thier-


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[0571] Porträt, Genre und Landschaft a»f der Berliner Znbllälmis-Uunstausstellung. Künstlers, das „Sorgenkind" von Hugo von Habermann. Wir blicken in das Kvnsultationszimmer eines bejahrten Arztes, der einen schmächtigen Knaben, welcher sich zu diesem Zwecke halb entkleidet hat, auf Brust und Lungen prüft, während die Angen der auf einem Stuhle sitzenden Mutter in angstvoller Spannung jeder Manipulation des Arztes folgen. Dieses neue Motiv würde an und für sich den Wert des Bildes nicht bestimmen, wenn der Künstler nicht zugleich bedeutende Mittel der Darstellung besäße, die vor allen Dingen auch die ungewöhnlich großen Dimensionen rechtfertigen. Auch drei Ausländer kommen hier in Betracht: der Franzose A. Delobbe, dessen Bild „Zwei Töchter des Ozeans" sich nur durch Zufall auf unsre Aus¬ stellung verirrt hat, da seine Landsleute eine Beteiligung in, oorpors abgelehnt haben, und die Belgier Jan Verhas und Emil Seeldrayers, Die beiden „Töchter des Ozeans," welche Delobbe dargestellt hat, sind nicht etwa zwei fabelhafte Meerweiber, sondern zwei am Gestade lagernde Fischermädchen von der Bretagne, umflossen von dem weichen, silbergrauen Wasserdunste und sich dennoch in zarter Plastik von dem Hintergründe absehend. Die saubern Mädchen mit den großen, schwermütigen Angen üben freilich eine Anziehungskraft für sich allein, sodaß die Malweise erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Bei den Gemälden von Verhas halten sich Stoff und Technik die Waage. Die „Schnlrcvue aus Anlaß der silbernen Hochzeit des belgischen Königspaares im Jahre 1878," bereits 1880 gemalt, hat dem Maler schon zahlreiche Ehren eingetragen. Vor dem Königspaare, welches ans der Treppe des Schlosses von Laeken, umgeben von Würdenträgern des Hofes, steht, defiliren kleine Mädchen, von ihren Lehrern und Lehrerinnen geführt, gewissermaßen in strammer Kvmpagnicfront vorüber. Die Kleinen sind alle in weißer oder doch ganz Heller Sommerkleidung, wodurch die Lichtfülle des im Freien vor sich gehenden Schauspiels noch vermehrt wird. Gleichwohl kommt jede der zahlreichen Figuren zu ihrem individuellen Rechte, freilich so, daß die kleinen Gratnlantinncn, auf deren Charakteristik der Maler das Hauptgewicht gelegt hat, auch das vornehmste Interesse in Anspruch nehmen. Der Auszug geht, vermutlich der WirÄichleit entsprechend, nicht bei Hellem Sonnen¬ licht vor sich. Daß die Hellmaler eine gleiche plastische Wirkung aber auch bei ungedeckten Licht erzielen können, erfahren wir durch ein zweites Bild von Verhas, auf welchem ein etwa zwölfjähriges Mädchen dargestellt ist, das, von einem roten Sonnenschirme behütet, auf der Landungsbrücke in Blanlenberghe sitzt und in das Meer hinausblickt. Das Bild sieht allerdings wie eine große kolorirte Augenblicksphotographie ans, etwas roh und hart. Wenn man aber die Überzeugung gewinnt, daß solche Gemälde die Stufen zu einer neuen Ent¬ wicklung der Malerei bilden, muß man einen ästhetischen Grundsatz nach dem andern opfern, ebenso wie diese bahnbrechenden Maler selbst ihre Schöpfungen, an denen die Nachwelt nur uoch ein historisches Interesse haben wird, zum Opfer bringen. Mehr kann man auch vou Seeldrayers' „Klinik in der Thier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/571>, abgerufen am 22.07.2024.