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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung.

wird. Doch wird auch dies geschehen, Sodalit die neue Technik erst die letzten
ihr noch anhaftenden Unvollkommenheiten überwunden haben wird. Auf den
ersten Bildern von Abbe hatten die Figuren in Innenräumen durch das kalte,
einfallende Licht ein Aussehen erhalten, als wären sie mit Mehl bestreut. Bei
Firle ist das harte Weiß bereits einem geschmeidigeren, kühlen Silberton gewichen.
Es ist leine Kleinigkeit, bei überwiegend lichten Tönen und bei einem gleichfalls,
wenn auch matt beleuchteten Hintergrunde die Figuren so plastisch zu gestalten,
daß sie als runde Körper den Raum zu füllen scheinen. Ein früheres, ebenfalls
auf der Ausstellung befindliches Bild von Firle, " Morgenandacht in einem
holländischen Waisenhause," wo junge Mädchen vor der Vorsteherin ein geist¬
liches Lied singen, zeigt die gleichen Vorzüge feiner Beobachtung und wahrer
Darstellung wie die "Sonntagsschule." Nur ist die Technik noch nicht so ent¬
wickelt, der malerische Vortrag noch etwas härter und unsicherer. Derselben
Richtung gehört auch Franz von Felbinger an. Doch läßt leider das von ihm
gewählte Motiv nicht die gleiche künstlerische Befriedigung aufkommen, wie die
Firleschen Bilder. Sein Gemälde, welches den lakonischer Titel "Armut"
führt, läßt uus einen Blick in die kahle Stube eines Proletariers thun, der
mit vier Kindern ein kärgliches Mahl teilt. An dem armseligen Hausrat
wie an der dürftigen Bekleidung der Kinder merkt man, daß hier die sor¬
gende Hand der Mutter fehlt. Das graue Tageslicht hebt die Trostlosigkeit
des Gegenstandes nur noch greller hervor: hier ist kein Element, kein einziger
Zug, der versöhnen könnte. Das hier vorgeführte Elend wirkt nicht einmal
tragisch oder ergreifend, weil es uns in seiner ganzen prosaischen Nacktheit ent¬
gegentritt. Es bleibt nichts übrig als das schlechthin Widerwärtige, und das
wird auch der nachsichtigste Ästhetiker aus dem Bereiche der Kunst ausschließen
müssen.

Noch zwei andre Münchener Genremaler, die freilich in einer etwas tieferen
Tonart malen, haben ihre Aufgabe dahin erweitert, daß sie für ihre Darstellungen
naturgroße oder fast naturgroße Figuren gewühlt haben. Das Motiv des
einen, des Skandinaviers F. Smith, der sich, wie gewisse bräunliche Töne er¬
kennen lassen, nach Lindcnschmit gebildet zu haben scheint, ist ein oft behandeltes:
eine Anzahl von jungen Mädchen, Nonnen, alten Frauen und Greisen in einer
baierischen Dorfkirche. Man sieht mir einen Teil der Kirchenstühle an einer
Wand unterhalb der Kanzel, sodaß sich die Aufmerksamkeit des Beschauers aus¬
schließlich auf die Andächtigen konzentrirt. Man kann nicht sagen, daß der
Künstler sich Typen von besondrer Armut ausgewählt habe, und doch giebt das
Gefühl inbrünstiger Andacht, welches die Beter und Beterinnen erfüllt, einem
jeden Kopfe einen verklärenden, fast idealen Hauch. So geben Wahrheit und
Kraft, mit welchen diese Empfindung zum Ausdruck gebracht worden ist, den
gewöhnlichen Motive" einen neuen individuellen Reiz. Ganz originell in der
Wahl des Motivs, wenigstens für Deutschland, ist dagegen das Bild des zweiten


Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung.

wird. Doch wird auch dies geschehen, Sodalit die neue Technik erst die letzten
ihr noch anhaftenden Unvollkommenheiten überwunden haben wird. Auf den
ersten Bildern von Abbe hatten die Figuren in Innenräumen durch das kalte,
einfallende Licht ein Aussehen erhalten, als wären sie mit Mehl bestreut. Bei
Firle ist das harte Weiß bereits einem geschmeidigeren, kühlen Silberton gewichen.
Es ist leine Kleinigkeit, bei überwiegend lichten Tönen und bei einem gleichfalls,
wenn auch matt beleuchteten Hintergrunde die Figuren so plastisch zu gestalten,
daß sie als runde Körper den Raum zu füllen scheinen. Ein früheres, ebenfalls
auf der Ausstellung befindliches Bild von Firle, „ Morgenandacht in einem
holländischen Waisenhause," wo junge Mädchen vor der Vorsteherin ein geist¬
liches Lied singen, zeigt die gleichen Vorzüge feiner Beobachtung und wahrer
Darstellung wie die „Sonntagsschule." Nur ist die Technik noch nicht so ent¬
wickelt, der malerische Vortrag noch etwas härter und unsicherer. Derselben
Richtung gehört auch Franz von Felbinger an. Doch läßt leider das von ihm
gewählte Motiv nicht die gleiche künstlerische Befriedigung aufkommen, wie die
Firleschen Bilder. Sein Gemälde, welches den lakonischer Titel „Armut"
führt, läßt uus einen Blick in die kahle Stube eines Proletariers thun, der
mit vier Kindern ein kärgliches Mahl teilt. An dem armseligen Hausrat
wie an der dürftigen Bekleidung der Kinder merkt man, daß hier die sor¬
gende Hand der Mutter fehlt. Das graue Tageslicht hebt die Trostlosigkeit
des Gegenstandes nur noch greller hervor: hier ist kein Element, kein einziger
Zug, der versöhnen könnte. Das hier vorgeführte Elend wirkt nicht einmal
tragisch oder ergreifend, weil es uns in seiner ganzen prosaischen Nacktheit ent¬
gegentritt. Es bleibt nichts übrig als das schlechthin Widerwärtige, und das
wird auch der nachsichtigste Ästhetiker aus dem Bereiche der Kunst ausschließen
müssen.

Noch zwei andre Münchener Genremaler, die freilich in einer etwas tieferen
Tonart malen, haben ihre Aufgabe dahin erweitert, daß sie für ihre Darstellungen
naturgroße oder fast naturgroße Figuren gewühlt haben. Das Motiv des
einen, des Skandinaviers F. Smith, der sich, wie gewisse bräunliche Töne er¬
kennen lassen, nach Lindcnschmit gebildet zu haben scheint, ist ein oft behandeltes:
eine Anzahl von jungen Mädchen, Nonnen, alten Frauen und Greisen in einer
baierischen Dorfkirche. Man sieht mir einen Teil der Kirchenstühle an einer
Wand unterhalb der Kanzel, sodaß sich die Aufmerksamkeit des Beschauers aus¬
schließlich auf die Andächtigen konzentrirt. Man kann nicht sagen, daß der
Künstler sich Typen von besondrer Armut ausgewählt habe, und doch giebt das
Gefühl inbrünstiger Andacht, welches die Beter und Beterinnen erfüllt, einem
jeden Kopfe einen verklärenden, fast idealen Hauch. So geben Wahrheit und
Kraft, mit welchen diese Empfindung zum Ausdruck gebracht worden ist, den
gewöhnlichen Motive» einen neuen individuellen Reiz. Ganz originell in der
Wahl des Motivs, wenigstens für Deutschland, ist dagegen das Bild des zweiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/570>, abgerufen am 22.07.2024.