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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Aunstausstellung.

an Frans Hals, van der Halse und Terborch erinnern. Wie wenig auch eine
solche Schöpfung wegen ihres Mangels an Originalität bedeutet, so hat sie doch
unter dem Gesichtspunkte der koloristischen Fortbildung ihren Wert. Sie steht
gewissermaßen auch am Anfange eines neuen Weges, der zu verschiednen Zielen
geführt hat. Edmund Harburger, welcher dem großen Publikum als der
künstlerisch gediegenste unter den Zeichnern der "Fliegenden Blätter" bekannt
ist, hat sich nach dem Vorbilde Brvuwers und Ostades eine flüssige, lcisircndc
Technik angeeignet, die eine saftige, fast durchsichtige Färbung in den Dienst
einer scharfen Charakteristik stellt. Er hat dabei nichts Alteitümelndes an sich,
sondern er greift seine Stoffe aus dem modernen Leben heraus, meist aus dem
der Münchener Kleinbürger, seltener aus dem der Gebirgsleute. Dramatische
Szenen wie Vrouwer liebt er nicht. Er hält sich mehr um die stille Beschau¬
lichkeit und Behaglichkeit Ostades, wie man an den beiden alten Herren beim Kruge
Bier, den "Gemütlichen," und an der im Svrgenstnhle über der Vergangenheit
sinnenden Greisin auf unsrer Ausstellung sieht. Das moderne Element, welches
Harburger hiuzubringt, liegt nicht allein im Stoffe, sondern in der feinen Be¬
leuchtung der Juuenrciume, in der Individualisirung, Beseelung und Mannich-
faltigkeit der Köpfe. Auf letztere Fähigkeit legen wir ein ganz besondres
Gewicht. Denn wie hoch wir auch die Vorzüge der niederländischen Sitten-
maler schätzen müssen -- in Bezug auf Tiefe der Charakteristik und Mannich-
faltigkeit der Typen haben sie einer weitern Entwicklung der Genremalerei noch
einen großen Spielraum gelassen. Bei Pieter de Hvvch sowohl wie beim
Deister Jan van der Meer kommt das Seelenleben der Figuren, welche in die
Pitane beleuchteten Innenräume hineingesetzt sind, in den Köpfen nicht zum
Durchbruch. Auch bei den Gesellschaftsmalern, wie Dirk Hals, Palamedes,
Pieter Codde geht die Charakteristik über allgemeine, wenn auch geistreiche An¬
deutungen nicht hinaus, und selbst ein Terborch erreicht in seinen Genrefigureu
die Tiefe und Lebendigkeit nicht, durch welche sich seine Bildnisse auszeichnen.
Hier war also ein Punkt gegeben, wo ein moderner, durch das Studium der
Niederländer großgezogener Genremaler einsetzen konnte, und dies hat mit dem
bis jetzt bedeutendsten Erfolge Claus Meder, ein Schüler von Löfftz, gethan.
In der Wahl seiner Motive bewegt er sich auf der vou den alten Meistern
geöffneten Bahn, indem er holländische Bürger des siebzehnten Jahrhunderts,
vornehme und geringe, entweder bei der Mahlzeit mit ihren Ehehälften und
beim Genuß der Tabakspfeife in ihrem eignen Heim, oder trinkend, rauchend,
spielend und politisirend in dunstiger Wirtshausstube schildert. Welche Unvoll-
kommenheiten unser durch kaum übersehbare" Galeriebesitz geschultes Auge an
den Gemälden der alten Meister noch zu entdecken vermag, sie gleicht Claus
Meyer durch die Virtuosität seiner Darstellnngskunst ans, die in Zeichnung,
Plastischer Formengebung und Kolorit gleichmäßig hoch ausgebildet ist. Seine
vor drei Jahren gemalten "Raucher" wie die "Würflcr" der gegenwärtigen


Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Aunstausstellung.

an Frans Hals, van der Halse und Terborch erinnern. Wie wenig auch eine
solche Schöpfung wegen ihres Mangels an Originalität bedeutet, so hat sie doch
unter dem Gesichtspunkte der koloristischen Fortbildung ihren Wert. Sie steht
gewissermaßen auch am Anfange eines neuen Weges, der zu verschiednen Zielen
geführt hat. Edmund Harburger, welcher dem großen Publikum als der
künstlerisch gediegenste unter den Zeichnern der „Fliegenden Blätter" bekannt
ist, hat sich nach dem Vorbilde Brvuwers und Ostades eine flüssige, lcisircndc
Technik angeeignet, die eine saftige, fast durchsichtige Färbung in den Dienst
einer scharfen Charakteristik stellt. Er hat dabei nichts Alteitümelndes an sich,
sondern er greift seine Stoffe aus dem modernen Leben heraus, meist aus dem
der Münchener Kleinbürger, seltener aus dem der Gebirgsleute. Dramatische
Szenen wie Vrouwer liebt er nicht. Er hält sich mehr um die stille Beschau¬
lichkeit und Behaglichkeit Ostades, wie man an den beiden alten Herren beim Kruge
Bier, den „Gemütlichen," und an der im Svrgenstnhle über der Vergangenheit
sinnenden Greisin auf unsrer Ausstellung sieht. Das moderne Element, welches
Harburger hiuzubringt, liegt nicht allein im Stoffe, sondern in der feinen Be¬
leuchtung der Juuenrciume, in der Individualisirung, Beseelung und Mannich-
faltigkeit der Köpfe. Auf letztere Fähigkeit legen wir ein ganz besondres
Gewicht. Denn wie hoch wir auch die Vorzüge der niederländischen Sitten-
maler schätzen müssen — in Bezug auf Tiefe der Charakteristik und Mannich-
faltigkeit der Typen haben sie einer weitern Entwicklung der Genremalerei noch
einen großen Spielraum gelassen. Bei Pieter de Hvvch sowohl wie beim
Deister Jan van der Meer kommt das Seelenleben der Figuren, welche in die
Pitane beleuchteten Innenräume hineingesetzt sind, in den Köpfen nicht zum
Durchbruch. Auch bei den Gesellschaftsmalern, wie Dirk Hals, Palamedes,
Pieter Codde geht die Charakteristik über allgemeine, wenn auch geistreiche An¬
deutungen nicht hinaus, und selbst ein Terborch erreicht in seinen Genrefigureu
die Tiefe und Lebendigkeit nicht, durch welche sich seine Bildnisse auszeichnen.
Hier war also ein Punkt gegeben, wo ein moderner, durch das Studium der
Niederländer großgezogener Genremaler einsetzen konnte, und dies hat mit dem
bis jetzt bedeutendsten Erfolge Claus Meder, ein Schüler von Löfftz, gethan.
In der Wahl seiner Motive bewegt er sich auf der vou den alten Meistern
geöffneten Bahn, indem er holländische Bürger des siebzehnten Jahrhunderts,
vornehme und geringe, entweder bei der Mahlzeit mit ihren Ehehälften und
beim Genuß der Tabakspfeife in ihrem eignen Heim, oder trinkend, rauchend,
spielend und politisirend in dunstiger Wirtshausstube schildert. Welche Unvoll-
kommenheiten unser durch kaum übersehbare» Galeriebesitz geschultes Auge an
den Gemälden der alten Meister noch zu entdecken vermag, sie gleicht Claus
Meyer durch die Virtuosität seiner Darstellnngskunst ans, die in Zeichnung,
Plastischer Formengebung und Kolorit gleichmäßig hoch ausgebildet ist. Seine
vor drei Jahren gemalten „Raucher" wie die „Würflcr" der gegenwärtigen


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[0567] Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Aunstausstellung. an Frans Hals, van der Halse und Terborch erinnern. Wie wenig auch eine solche Schöpfung wegen ihres Mangels an Originalität bedeutet, so hat sie doch unter dem Gesichtspunkte der koloristischen Fortbildung ihren Wert. Sie steht gewissermaßen auch am Anfange eines neuen Weges, der zu verschiednen Zielen geführt hat. Edmund Harburger, welcher dem großen Publikum als der künstlerisch gediegenste unter den Zeichnern der „Fliegenden Blätter" bekannt ist, hat sich nach dem Vorbilde Brvuwers und Ostades eine flüssige, lcisircndc Technik angeeignet, die eine saftige, fast durchsichtige Färbung in den Dienst einer scharfen Charakteristik stellt. Er hat dabei nichts Alteitümelndes an sich, sondern er greift seine Stoffe aus dem modernen Leben heraus, meist aus dem der Münchener Kleinbürger, seltener aus dem der Gebirgsleute. Dramatische Szenen wie Vrouwer liebt er nicht. Er hält sich mehr um die stille Beschau¬ lichkeit und Behaglichkeit Ostades, wie man an den beiden alten Herren beim Kruge Bier, den „Gemütlichen," und an der im Svrgenstnhle über der Vergangenheit sinnenden Greisin auf unsrer Ausstellung sieht. Das moderne Element, welches Harburger hiuzubringt, liegt nicht allein im Stoffe, sondern in der feinen Be¬ leuchtung der Juuenrciume, in der Individualisirung, Beseelung und Mannich- faltigkeit der Köpfe. Auf letztere Fähigkeit legen wir ein ganz besondres Gewicht. Denn wie hoch wir auch die Vorzüge der niederländischen Sitten- maler schätzen müssen — in Bezug auf Tiefe der Charakteristik und Mannich- faltigkeit der Typen haben sie einer weitern Entwicklung der Genremalerei noch einen großen Spielraum gelassen. Bei Pieter de Hvvch sowohl wie beim Deister Jan van der Meer kommt das Seelenleben der Figuren, welche in die Pitane beleuchteten Innenräume hineingesetzt sind, in den Köpfen nicht zum Durchbruch. Auch bei den Gesellschaftsmalern, wie Dirk Hals, Palamedes, Pieter Codde geht die Charakteristik über allgemeine, wenn auch geistreiche An¬ deutungen nicht hinaus, und selbst ein Terborch erreicht in seinen Genrefigureu die Tiefe und Lebendigkeit nicht, durch welche sich seine Bildnisse auszeichnen. Hier war also ein Punkt gegeben, wo ein moderner, durch das Studium der Niederländer großgezogener Genremaler einsetzen konnte, und dies hat mit dem bis jetzt bedeutendsten Erfolge Claus Meder, ein Schüler von Löfftz, gethan. In der Wahl seiner Motive bewegt er sich auf der vou den alten Meistern geöffneten Bahn, indem er holländische Bürger des siebzehnten Jahrhunderts, vornehme und geringe, entweder bei der Mahlzeit mit ihren Ehehälften und beim Genuß der Tabakspfeife in ihrem eignen Heim, oder trinkend, rauchend, spielend und politisirend in dunstiger Wirtshausstube schildert. Welche Unvoll- kommenheiten unser durch kaum übersehbare» Galeriebesitz geschultes Auge an den Gemälden der alten Meister noch zu entdecken vermag, sie gleicht Claus Meyer durch die Virtuosität seiner Darstellnngskunst ans, die in Zeichnung, Plastischer Formengebung und Kolorit gleichmäßig hoch ausgebildet ist. Seine vor drei Jahren gemalten „Raucher" wie die „Würflcr" der gegenwärtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/567>, abgerufen am 22.07.2024.