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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Tcindliga und ihre Bestrebungen.

Der Bauernstand ist in Frankreich sehr verschuldet, und zwar in fort¬
schreitendem Maße. Die ländlichen Hypotheken sind von 8853 Millionen im
Jahre 1820 auf 14 500 Millionen im Jahre 1885 gestiegen. Aber die
Hypotheken allein geben keinen Maßstab für die Verschuldung des Grund und
Bodens, weil die Errichtung derselben überaus kostspielig ist, und weil sie in¬
folge des Systems der gesetzlichen und stillschweigenden Hypotheken des "üoäo
vivit nur bedingte Sicherheit bieten und deshalb nur ungern zur Beschaffung
des Kredits benutzt werden. Mit der Verschuldung scheint die Tendenz zum
Großbesitz zu wachsen, was man aus der fortschreitenden Verwandlung von
Ackerland in Weide schließen kann. Auf alle Fälle bildet Frankreich nicht das
behauptete Extrem der Parzellirung; wir werden es vielmehr in Deutschland
selbst finden.

Wen" ein würtembergischer Mann von seinen "Gütern" spricht, zwanzig
bis dreißig an der Zahl, die zusammen nicht mehr als zwei bis drei Morgen
messen und in mehreren Gemarkungen zerstreut liegen,'") so mag dies das Bild
einer Parzellirung geben, die kaum weiter getrieben werden kann. Gleichwohl
widerstreben diese Leute jedem Versuche einer Zusammenlegung oder Grenz¬
ziehung gegen weitere Teilung aufs lebhafteste. Auch in Baden, in der Rhein-
provinz, in Nassau und Hessen ist die Zersplitterung des Bodeus sehr beträcht¬
lich. Ebenso im baierischen Franken. In Unterfranken kamen im Jahre 1880
Parzellen im Anschlage bis zu fünfzehn Kreuzer herab zur Versteigerung!

Kaum geringere Bodcnteilung findet sich in den oberschlesischen Kreisen
Pleß, Rybnik, Lublinitz, teilweise auch in Tost-Gleiwitz, Ratibor und Kösel,
und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft der größten Latifundien. Aber während
die westdeutschen "Güterbesitzer" bei ihrer Parzellenwirtschaft gedeihen, sind die
Schlesier mit ihren Landsplilteru typische Beispiele des Elends. Mit Aus¬
nahme von Ost- und Westpreußen, Pose", Neuvorpommern, Mecklenburg und
Lauenburg, wo Großbesitz entschieden überwiegt, finden wir im übrigen Deutsch¬
land größere, mittlere und kleinere oder kleinste Güter gemengt, nachbarlich oder
nicht fern von einander liegend. Je nach der Sinnesart und Dichtigkeit der
Bevölkerung, der Natur des Bodens, des Klimas und sonstiger Umstände be¬
weisen die Güter jeder Größe -- die Latifundien wohl ausgenommen -- ihre
Überlegenheit in den Knlturerfvlgen vor andern.

Es dürfte hiernach kaum möglich sein, eine bestimmte Normalgröße für
landwirtschaftliche Güter aufzustellen, vielmehr wird mau anerkennen müssen,
daß je nach den in Betracht kommenden Verhältnissen Güter verschiedener Größe
sowohl den Bedürfnissen der Wirte als dem allgemeinen Interesse entsprechen
werden. Unbestreitbar dürfte nur die Schädlichkeit beider Extreme sein. Die
äußerste Zersplitterung wird kaum da, wo die Kultur vou Haudelsgewüchsen



Berge, v, Minskowsti, Dus Erbrecht und die GrnndeiIcntumsvcrwilung in Deutschland.
Die deutsche Tcindliga und ihre Bestrebungen.

Der Bauernstand ist in Frankreich sehr verschuldet, und zwar in fort¬
schreitendem Maße. Die ländlichen Hypotheken sind von 8853 Millionen im
Jahre 1820 auf 14 500 Millionen im Jahre 1885 gestiegen. Aber die
Hypotheken allein geben keinen Maßstab für die Verschuldung des Grund und
Bodens, weil die Errichtung derselben überaus kostspielig ist, und weil sie in¬
folge des Systems der gesetzlichen und stillschweigenden Hypotheken des «üoäo
vivit nur bedingte Sicherheit bieten und deshalb nur ungern zur Beschaffung
des Kredits benutzt werden. Mit der Verschuldung scheint die Tendenz zum
Großbesitz zu wachsen, was man aus der fortschreitenden Verwandlung von
Ackerland in Weide schließen kann. Auf alle Fälle bildet Frankreich nicht das
behauptete Extrem der Parzellirung; wir werden es vielmehr in Deutschland
selbst finden.

Wen» ein würtembergischer Mann von seinen „Gütern" spricht, zwanzig
bis dreißig an der Zahl, die zusammen nicht mehr als zwei bis drei Morgen
messen und in mehreren Gemarkungen zerstreut liegen,'") so mag dies das Bild
einer Parzellirung geben, die kaum weiter getrieben werden kann. Gleichwohl
widerstreben diese Leute jedem Versuche einer Zusammenlegung oder Grenz¬
ziehung gegen weitere Teilung aufs lebhafteste. Auch in Baden, in der Rhein-
provinz, in Nassau und Hessen ist die Zersplitterung des Bodeus sehr beträcht¬
lich. Ebenso im baierischen Franken. In Unterfranken kamen im Jahre 1880
Parzellen im Anschlage bis zu fünfzehn Kreuzer herab zur Versteigerung!

Kaum geringere Bodcnteilung findet sich in den oberschlesischen Kreisen
Pleß, Rybnik, Lublinitz, teilweise auch in Tost-Gleiwitz, Ratibor und Kösel,
und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft der größten Latifundien. Aber während
die westdeutschen „Güterbesitzer" bei ihrer Parzellenwirtschaft gedeihen, sind die
Schlesier mit ihren Landsplilteru typische Beispiele des Elends. Mit Aus¬
nahme von Ost- und Westpreußen, Pose», Neuvorpommern, Mecklenburg und
Lauenburg, wo Großbesitz entschieden überwiegt, finden wir im übrigen Deutsch¬
land größere, mittlere und kleinere oder kleinste Güter gemengt, nachbarlich oder
nicht fern von einander liegend. Je nach der Sinnesart und Dichtigkeit der
Bevölkerung, der Natur des Bodens, des Klimas und sonstiger Umstände be¬
weisen die Güter jeder Größe — die Latifundien wohl ausgenommen — ihre
Überlegenheit in den Knlturerfvlgen vor andern.

Es dürfte hiernach kaum möglich sein, eine bestimmte Normalgröße für
landwirtschaftliche Güter aufzustellen, vielmehr wird mau anerkennen müssen,
daß je nach den in Betracht kommenden Verhältnissen Güter verschiedener Größe
sowohl den Bedürfnissen der Wirte als dem allgemeinen Interesse entsprechen
werden. Unbestreitbar dürfte nur die Schädlichkeit beider Extreme sein. Die
äußerste Zersplitterung wird kaum da, wo die Kultur vou Haudelsgewüchsen



Berge, v, Minskowsti, Dus Erbrecht und die GrnndeiIcntumsvcrwilung in Deutschland.
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[0550] Die deutsche Tcindliga und ihre Bestrebungen. Der Bauernstand ist in Frankreich sehr verschuldet, und zwar in fort¬ schreitendem Maße. Die ländlichen Hypotheken sind von 8853 Millionen im Jahre 1820 auf 14 500 Millionen im Jahre 1885 gestiegen. Aber die Hypotheken allein geben keinen Maßstab für die Verschuldung des Grund und Bodens, weil die Errichtung derselben überaus kostspielig ist, und weil sie in¬ folge des Systems der gesetzlichen und stillschweigenden Hypotheken des «üoäo vivit nur bedingte Sicherheit bieten und deshalb nur ungern zur Beschaffung des Kredits benutzt werden. Mit der Verschuldung scheint die Tendenz zum Großbesitz zu wachsen, was man aus der fortschreitenden Verwandlung von Ackerland in Weide schließen kann. Auf alle Fälle bildet Frankreich nicht das behauptete Extrem der Parzellirung; wir werden es vielmehr in Deutschland selbst finden. Wen» ein würtembergischer Mann von seinen „Gütern" spricht, zwanzig bis dreißig an der Zahl, die zusammen nicht mehr als zwei bis drei Morgen messen und in mehreren Gemarkungen zerstreut liegen,'") so mag dies das Bild einer Parzellirung geben, die kaum weiter getrieben werden kann. Gleichwohl widerstreben diese Leute jedem Versuche einer Zusammenlegung oder Grenz¬ ziehung gegen weitere Teilung aufs lebhafteste. Auch in Baden, in der Rhein- provinz, in Nassau und Hessen ist die Zersplitterung des Bodeus sehr beträcht¬ lich. Ebenso im baierischen Franken. In Unterfranken kamen im Jahre 1880 Parzellen im Anschlage bis zu fünfzehn Kreuzer herab zur Versteigerung! Kaum geringere Bodcnteilung findet sich in den oberschlesischen Kreisen Pleß, Rybnik, Lublinitz, teilweise auch in Tost-Gleiwitz, Ratibor und Kösel, und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft der größten Latifundien. Aber während die westdeutschen „Güterbesitzer" bei ihrer Parzellenwirtschaft gedeihen, sind die Schlesier mit ihren Landsplilteru typische Beispiele des Elends. Mit Aus¬ nahme von Ost- und Westpreußen, Pose», Neuvorpommern, Mecklenburg und Lauenburg, wo Großbesitz entschieden überwiegt, finden wir im übrigen Deutsch¬ land größere, mittlere und kleinere oder kleinste Güter gemengt, nachbarlich oder nicht fern von einander liegend. Je nach der Sinnesart und Dichtigkeit der Bevölkerung, der Natur des Bodens, des Klimas und sonstiger Umstände be¬ weisen die Güter jeder Größe — die Latifundien wohl ausgenommen — ihre Überlegenheit in den Knlturerfvlgen vor andern. Es dürfte hiernach kaum möglich sein, eine bestimmte Normalgröße für landwirtschaftliche Güter aufzustellen, vielmehr wird mau anerkennen müssen, daß je nach den in Betracht kommenden Verhältnissen Güter verschiedener Größe sowohl den Bedürfnissen der Wirte als dem allgemeinen Interesse entsprechen werden. Unbestreitbar dürfte nur die Schädlichkeit beider Extreme sein. Die äußerste Zersplitterung wird kaum da, wo die Kultur vou Haudelsgewüchsen Berge, v, Minskowsti, Dus Erbrecht und die GrnndeiIcntumsvcrwilung in Deutschland.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/550>, abgerufen am 22.07.2024.