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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

Der Fürst erklärte sich andern Tags (17. September) mit dieser Abmachung
vollkommen einverstanden. Am 18. wurde im Sobranje eine Beantwortung
der Thronrede verlesen, in welcher "die Vertreter des Volkes, ohne Unterschied
der Parteien, beseelt von grenzenloser Ergebenheit gegen den Thron" um Wieder¬
herstellung der Verfassung von Tirnowv und gleichzeitig um Angabe der Punkte
derselben baten, welche geändert werden sollten -- Änderungen, welche das So¬
branje, wen" seine außerordentliche Session in eine gewöhnliche gesetzgebende
verwandelt würde, bewirken könne. Sobolcw, der zugegen war, traute seinen
Ohren nicht. Verblüfft blickte er ans Zantow, der sich erhob, um -- dem Fürsten
seine Ergebenheit auszusprechen und diese Beantwortung der Thronrede voll¬
kommen zu billigen. Zornig stürmte Sobvlew davon, um ohne Verzug seine
Entlassung zu fordern, ein Schritt, dem Kaulbars sich anschloß und dem die
russische Regierung, da nach der Einigung der Parteien das Verbleiben der beiden
Generale keinen Zweck mehr hatte, telegraphisch ihre Zustimmung erteilte. Die
Bulgaren sahen sie gern abziehen, und nur einige Radikale gaben ihnen vor
der Abreise ein Abschicdsessen. Am 19. September stellte ein fürstliches Mani¬
fest die Verfassung von Tirnowv wieder her und betraute das gegenwärtige
Sobranje mit der Revision derselben. Das Koalitionsministerium kam in der
angegebenen Weise zustande. Kriegsminister sollte nach dem Wunsche des Fürsten
der ihm befreundete russische General Ljessvwvi werden, aber Jonin that da¬
gegen Einspruch, nud so wurde der russische Oberst Rediger provisorisch mit der
Leitung des betreffenden Departements betraut. Zugleich aber bewog der Fürst
das Svbrcinje, dasselbe in eine militärische und eine ökonomische Abteilung zu
spalten, deren Vorsteher Bulgaren oder Russen, aber unter allen Umständen
dem Fürsten und der Landesvertretung verantwortlich sein sollten. Dies ver¬
stimmte in Petersburg noch mehr, und Ljessvwvi sowie der Kapitän Poljzikow,
ebenfalls bei Fürst Alexander sehr gut angeschrieben, bekamen vom Zaren den
Befehl, Bulgarien sofort zu verlassen. Rcdiger sandte denselben, ohne dem Fürsten
davon Mitteilung zu machen, den Betreffenden zu, und bekam dafür von jenem
mit einem Verweise seine Entlassung und den Obersten Kotelnilow zum Nach-
folger. Gleichzeitig entließ der Fürst drei russische Militärs aus seinem Ge¬
folge und befahl den sechsunddreißig im russischen Heere dienenden bulgarischen
Offizieren, sich zur Heimreise bereit zu machen. Der Zar seinerseits sprach
Sobvlew und Kaulbars seine Befriedigung über die Art und Weise aus, in
der sie ihre Aufgabe in Bulgarien erfüllt hatten. Hierdurch beunruhigt, sandte
der Fürst den Minister Valabcmow nach Petersburg, um Alexander III. zu be¬
schwichtigen, nud es kam zu einer Verständigung, nach welcher künftig der bul¬
garische Kriegsminister im Einvernehmen mit dem Zaren vom Fürsten ernannt
und wie die andern russischen Offiziere in militärischen und Budgetfragen der
Verfassung und den Gesetzen des Fürstentums unterworfen, gleichzeitig aber
als Unterthan Rußlands von dessen Vertreter in Sofia abhängig sein sollte.


Bulgarien und sein Fürst.

Der Fürst erklärte sich andern Tags (17. September) mit dieser Abmachung
vollkommen einverstanden. Am 18. wurde im Sobranje eine Beantwortung
der Thronrede verlesen, in welcher „die Vertreter des Volkes, ohne Unterschied
der Parteien, beseelt von grenzenloser Ergebenheit gegen den Thron" um Wieder¬
herstellung der Verfassung von Tirnowv und gleichzeitig um Angabe der Punkte
derselben baten, welche geändert werden sollten — Änderungen, welche das So¬
branje, wen» seine außerordentliche Session in eine gewöhnliche gesetzgebende
verwandelt würde, bewirken könne. Sobolcw, der zugegen war, traute seinen
Ohren nicht. Verblüfft blickte er ans Zantow, der sich erhob, um — dem Fürsten
seine Ergebenheit auszusprechen und diese Beantwortung der Thronrede voll¬
kommen zu billigen. Zornig stürmte Sobvlew davon, um ohne Verzug seine
Entlassung zu fordern, ein Schritt, dem Kaulbars sich anschloß und dem die
russische Regierung, da nach der Einigung der Parteien das Verbleiben der beiden
Generale keinen Zweck mehr hatte, telegraphisch ihre Zustimmung erteilte. Die
Bulgaren sahen sie gern abziehen, und nur einige Radikale gaben ihnen vor
der Abreise ein Abschicdsessen. Am 19. September stellte ein fürstliches Mani¬
fest die Verfassung von Tirnowv wieder her und betraute das gegenwärtige
Sobranje mit der Revision derselben. Das Koalitionsministerium kam in der
angegebenen Weise zustande. Kriegsminister sollte nach dem Wunsche des Fürsten
der ihm befreundete russische General Ljessvwvi werden, aber Jonin that da¬
gegen Einspruch, nud so wurde der russische Oberst Rediger provisorisch mit der
Leitung des betreffenden Departements betraut. Zugleich aber bewog der Fürst
das Svbrcinje, dasselbe in eine militärische und eine ökonomische Abteilung zu
spalten, deren Vorsteher Bulgaren oder Russen, aber unter allen Umständen
dem Fürsten und der Landesvertretung verantwortlich sein sollten. Dies ver¬
stimmte in Petersburg noch mehr, und Ljessvwvi sowie der Kapitän Poljzikow,
ebenfalls bei Fürst Alexander sehr gut angeschrieben, bekamen vom Zaren den
Befehl, Bulgarien sofort zu verlassen. Rcdiger sandte denselben, ohne dem Fürsten
davon Mitteilung zu machen, den Betreffenden zu, und bekam dafür von jenem
mit einem Verweise seine Entlassung und den Obersten Kotelnilow zum Nach-
folger. Gleichzeitig entließ der Fürst drei russische Militärs aus seinem Ge¬
folge und befahl den sechsunddreißig im russischen Heere dienenden bulgarischen
Offizieren, sich zur Heimreise bereit zu machen. Der Zar seinerseits sprach
Sobvlew und Kaulbars seine Befriedigung über die Art und Weise aus, in
der sie ihre Aufgabe in Bulgarien erfüllt hatten. Hierdurch beunruhigt, sandte
der Fürst den Minister Valabcmow nach Petersburg, um Alexander III. zu be¬
schwichtigen, nud es kam zu einer Verständigung, nach welcher künftig der bul¬
garische Kriegsminister im Einvernehmen mit dem Zaren vom Fürsten ernannt
und wie die andern russischen Offiziere in militärischen und Budgetfragen der
Verfassung und den Gesetzen des Fürstentums unterworfen, gleichzeitig aber
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[0543] Bulgarien und sein Fürst. Der Fürst erklärte sich andern Tags (17. September) mit dieser Abmachung vollkommen einverstanden. Am 18. wurde im Sobranje eine Beantwortung der Thronrede verlesen, in welcher „die Vertreter des Volkes, ohne Unterschied der Parteien, beseelt von grenzenloser Ergebenheit gegen den Thron" um Wieder¬ herstellung der Verfassung von Tirnowv und gleichzeitig um Angabe der Punkte derselben baten, welche geändert werden sollten — Änderungen, welche das So¬ branje, wen» seine außerordentliche Session in eine gewöhnliche gesetzgebende verwandelt würde, bewirken könne. Sobolcw, der zugegen war, traute seinen Ohren nicht. Verblüfft blickte er ans Zantow, der sich erhob, um — dem Fürsten seine Ergebenheit auszusprechen und diese Beantwortung der Thronrede voll¬ kommen zu billigen. Zornig stürmte Sobvlew davon, um ohne Verzug seine Entlassung zu fordern, ein Schritt, dem Kaulbars sich anschloß und dem die russische Regierung, da nach der Einigung der Parteien das Verbleiben der beiden Generale keinen Zweck mehr hatte, telegraphisch ihre Zustimmung erteilte. Die Bulgaren sahen sie gern abziehen, und nur einige Radikale gaben ihnen vor der Abreise ein Abschicdsessen. Am 19. September stellte ein fürstliches Mani¬ fest die Verfassung von Tirnowv wieder her und betraute das gegenwärtige Sobranje mit der Revision derselben. Das Koalitionsministerium kam in der angegebenen Weise zustande. Kriegsminister sollte nach dem Wunsche des Fürsten der ihm befreundete russische General Ljessvwvi werden, aber Jonin that da¬ gegen Einspruch, nud so wurde der russische Oberst Rediger provisorisch mit der Leitung des betreffenden Departements betraut. Zugleich aber bewog der Fürst das Svbrcinje, dasselbe in eine militärische und eine ökonomische Abteilung zu spalten, deren Vorsteher Bulgaren oder Russen, aber unter allen Umständen dem Fürsten und der Landesvertretung verantwortlich sein sollten. Dies ver¬ stimmte in Petersburg noch mehr, und Ljessvwvi sowie der Kapitän Poljzikow, ebenfalls bei Fürst Alexander sehr gut angeschrieben, bekamen vom Zaren den Befehl, Bulgarien sofort zu verlassen. Rcdiger sandte denselben, ohne dem Fürsten davon Mitteilung zu machen, den Betreffenden zu, und bekam dafür von jenem mit einem Verweise seine Entlassung und den Obersten Kotelnilow zum Nach- folger. Gleichzeitig entließ der Fürst drei russische Militärs aus seinem Ge¬ folge und befahl den sechsunddreißig im russischen Heere dienenden bulgarischen Offizieren, sich zur Heimreise bereit zu machen. Der Zar seinerseits sprach Sobvlew und Kaulbars seine Befriedigung über die Art und Weise aus, in der sie ihre Aufgabe in Bulgarien erfüllt hatten. Hierdurch beunruhigt, sandte der Fürst den Minister Valabcmow nach Petersburg, um Alexander III. zu be¬ schwichtigen, nud es kam zu einer Verständigung, nach welcher künftig der bul¬ garische Kriegsminister im Einvernehmen mit dem Zaren vom Fürsten ernannt und wie die andern russischen Offiziere in militärischen und Budgetfragen der Verfassung und den Gesetzen des Fürstentums unterworfen, gleichzeitig aber als Unterthan Rußlands von dessen Vertreter in Sofia abhängig sein sollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/543>, abgerufen am 22.07.2024.