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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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zog. Diese Maßregel bewog den Fürsten und seine Umgebung, sich durch ein
Kompromiß mit den Liberalen gegen die Russen zu vereinigen. Zcmkow gab
im Namen seiner Partei die Agitation für die Verfassung von Tirnowo und
den Widerstand gegen das Wahlgesetz von 1882 auf, die Konservativen ver¬
sprachen ihren Beistand zur Erlangung einer auch den Gegnern genehmen neuen
Konstitution, und es sollte ein gemischtes Kabinet gebildet werden, zu dessen
Präsidenten Grei'vo bestimmt war. Als der Fürst aber die russischen Generale
rufen ließ und Sobolew aufforderte, seine Entlassung zu nehmen, da er sein
Vertrauen nicht mehr besitze, erwiederte ihm dieser unter Vorzeigung eines
kaiserlichen Schreibens, sein Gebieter sei der Zar, und dieser befehle ihm, auf
seinem Posten zu bleiben. Gleiches erklärte Kaulbars. Der Fürst antwortete
ihnen, Minister in Bulgarien möchten sie bleiben, aber seine Minister seien sie
nicht mehr. Die beiden Nüssen meldeten Jonin diesen Vorgang, und dieser be¬
eilte sich, dem Fürsten "als Stellvertreter Seiner Majestät des Kaisers" ein
Ultimatum vorzulegen, welches folgende Punkte enthielt: 1. Die bevorstehende
Session des Sobranje wird in eine außerordentliche verwandelt. 2. Der Fürst
verzichtet durch ein Manifest auf die ihm zu Swistow übertragenen Befugnisse.
3. Eine Kommission wird zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung nieder¬
gesetzt. 4. Die Generale Sobolew und Kaulbars bleiben bis zum Zusammen^
tritt des Golemo Sobranje auf ihrem Posten. Alexander I. protestirte gegen
dieses diktatorische Auftreten, erklärte, seine Entschlüsse hätten von ihm selbst
auszugehen, und weigerte sich, das Ultimatum zu befolgen. Jonin entgegnete
hochmütig, er dürfe keine eigne Politik haben, er sei damit bisher nur das
Werkzeug schlechter Leute gewesen, und Nußland, dem er alles verdanke, lasse
sich von ihm nicht ungestraft Trotz bieten, worauf er schloß, bei weiteren Wider¬
streben sei er bevollmächtigt, ein kaiserliches Manifest zu veröffentlichen, welches
die Absetzung des Fürsten ausspreche und Sobolew zum provisorischen Regenten
ernenne; der General Kaulbars stehe ihm dabei mit der Armee zur Verfügung.

Dem Fürsten blieb, wenn er nicht freiwillig abdanken wollte, nichts andres
übrig als sich zu fügen und dies in einem Manifeste auszusprechen, welches
schon am nächsten Tage (11. September 1883) veröffentlicht wurde. Aber
Sobolew suchte jetzt Zankow zu bewegen, die Absetzung des Fürsten dnrch das
Sobranje zu veranlassen, und dieser versprach das. Indes ließ er sich später
durch Grekow überzeuge", daß damit nur die Abhängigkeit von Rußland ver¬
stärkt werden und der Liberalismus schweren Schaden erleiden werde. Besser
sei im patriotischen Interesse und gegen die russische Bevormundung ein enger
Bund zwischen den Liberalen und Konservativen, der seinen Ausdruck in einem
Koalitionsministerium finden solle. Zankow schlug ein, und man einigte sich
über die Liste eines neuen Kabinets, in welchem Zankow den Vorsitz und das
Innere, Natschowitsch die Finanzen, Stvilow die Justiz, Balabcmow das Äußere,
Jwnomvw die öffentlichen Arbeiten und Maikow den Unterricht leiten sollte.


zog. Diese Maßregel bewog den Fürsten und seine Umgebung, sich durch ein
Kompromiß mit den Liberalen gegen die Russen zu vereinigen. Zcmkow gab
im Namen seiner Partei die Agitation für die Verfassung von Tirnowo und
den Widerstand gegen das Wahlgesetz von 1882 auf, die Konservativen ver¬
sprachen ihren Beistand zur Erlangung einer auch den Gegnern genehmen neuen
Konstitution, und es sollte ein gemischtes Kabinet gebildet werden, zu dessen
Präsidenten Grei'vo bestimmt war. Als der Fürst aber die russischen Generale
rufen ließ und Sobolew aufforderte, seine Entlassung zu nehmen, da er sein
Vertrauen nicht mehr besitze, erwiederte ihm dieser unter Vorzeigung eines
kaiserlichen Schreibens, sein Gebieter sei der Zar, und dieser befehle ihm, auf
seinem Posten zu bleiben. Gleiches erklärte Kaulbars. Der Fürst antwortete
ihnen, Minister in Bulgarien möchten sie bleiben, aber seine Minister seien sie
nicht mehr. Die beiden Nüssen meldeten Jonin diesen Vorgang, und dieser be¬
eilte sich, dem Fürsten „als Stellvertreter Seiner Majestät des Kaisers" ein
Ultimatum vorzulegen, welches folgende Punkte enthielt: 1. Die bevorstehende
Session des Sobranje wird in eine außerordentliche verwandelt. 2. Der Fürst
verzichtet durch ein Manifest auf die ihm zu Swistow übertragenen Befugnisse.
3. Eine Kommission wird zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung nieder¬
gesetzt. 4. Die Generale Sobolew und Kaulbars bleiben bis zum Zusammen^
tritt des Golemo Sobranje auf ihrem Posten. Alexander I. protestirte gegen
dieses diktatorische Auftreten, erklärte, seine Entschlüsse hätten von ihm selbst
auszugehen, und weigerte sich, das Ultimatum zu befolgen. Jonin entgegnete
hochmütig, er dürfe keine eigne Politik haben, er sei damit bisher nur das
Werkzeug schlechter Leute gewesen, und Nußland, dem er alles verdanke, lasse
sich von ihm nicht ungestraft Trotz bieten, worauf er schloß, bei weiteren Wider¬
streben sei er bevollmächtigt, ein kaiserliches Manifest zu veröffentlichen, welches
die Absetzung des Fürsten ausspreche und Sobolew zum provisorischen Regenten
ernenne; der General Kaulbars stehe ihm dabei mit der Armee zur Verfügung.

Dem Fürsten blieb, wenn er nicht freiwillig abdanken wollte, nichts andres
übrig als sich zu fügen und dies in einem Manifeste auszusprechen, welches
schon am nächsten Tage (11. September 1883) veröffentlicht wurde. Aber
Sobolew suchte jetzt Zankow zu bewegen, die Absetzung des Fürsten dnrch das
Sobranje zu veranlassen, und dieser versprach das. Indes ließ er sich später
durch Grekow überzeuge«, daß damit nur die Abhängigkeit von Rußland ver¬
stärkt werden und der Liberalismus schweren Schaden erleiden werde. Besser
sei im patriotischen Interesse und gegen die russische Bevormundung ein enger
Bund zwischen den Liberalen und Konservativen, der seinen Ausdruck in einem
Koalitionsministerium finden solle. Zankow schlug ein, und man einigte sich
über die Liste eines neuen Kabinets, in welchem Zankow den Vorsitz und das
Innere, Natschowitsch die Finanzen, Stvilow die Justiz, Balabcmow das Äußere,
Jwnomvw die öffentlichen Arbeiten und Maikow den Unterricht leiten sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/542>, abgerufen am 25.08.2024.