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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Hitrvwo fand bald das Benehmen des Fürsten gegen sich verändert, und um
sich zu rächen, suchte er Fühlung mit den Liberalen. Um sich den von ihm
dringend gewünschten Staatsrat einrichten zu lassen, berief Alexander I. den
Charkowcr Professur Driuow, einen Bulgaren, zu sich, aber die Sache zerschlug
sich, weil Drinvw einen nnr wählbaren, der Fürst dagegen einen wenigstens zu
einem Drittel der Mitglieder von ihm zu ernennenden Staatsrat wollte, und
Drinow beeilte sich, wieder heimznreisen, worauf der Fürst am 2l>, September
dnrch Ukas die Bildung eines Staatsrates anordnete und von den zwölf be¬
ständigen Mitgliedern desselben vier selbst ernannte. Die übrigen sollten von
eigens hierzu gewählten Delegirten nach Stimmenmehrheit aus gewesenen
Ministern und diplomatischen Agenten, sowie ans dem Kreise der obersten
Beamten der Justiz und der Verwaltung gewählt werden, und außerdem sollten
die aktiven Minister, so oft es sich um Fragen ihres Faches handelte, ein Bischof,
ein Mufti und ein Rabbiner in der Körperschaft beratende Stimme haben. Die
Wahlen für den Staatsrat fanden, nachdem man die meist liberalen Beamten
bedeutet hatte, nicht für dieselben zu agitiren, am 13. November statt und ergaben,
was die Regierung damit beabsichtigt hatte. Drinow sollte die Präsidentschaft
im neuen Staatsrate übernehmen, weigerte sich jedoch mit der Behauptung, die
Wahlen seien ungesetzmäßig gewesen. Balabanow, damals diplomatischer Agent
Bulgariens in Konstantinopel, lehnte, obwohl den Konservativen geneigt und An¬
hänger der Idee eines Staatsrates, gleichfalls ab, indem er zugleich erklärte, das
Fürstentum könne der Anarchie "ur dann entgehen, wenn folgende Bedingungen
angenommen würden: 1. Vereinigung beider Parteien auf Grundlage der
Wiederherstellung der Verfassung; 2. Bildung eines neuen Ministeriums unter
Drinows Leitung; 3. Einberufung des Sobrnnje binnen vier Monaten, damit
es über die als notwendig betrachteten Abänderungen der Verfassung berate;
4. Einrichtung eines ernstlich gemeinten Staatsrates mit der Hauptaufgabe,
Gesetzvorschläge für die Volksvertretung auszuarbeiten; 6. Wiederherstellung der
Preßfreiheit und des Versammlnngsrechtes. Der frühere Minister Jkonomow
zeigte sich williger, die Leitung des Staatsrates zu übernehmen, und Grekow
wurde Vizepräsident. Als die neue Körperschaft auf den 11. Januar 1632
einberufe" worden war, erhielt Neulingen infolge einer Intrigue Natschowitschs,
der mit Grekow und Stoilow von Anfang an Vertrauensmann des Fürsten
gewesen war, seine Entlassung, und Natschowitsch wurde Präsident des neu-
gebildeten Kabinets, Grekow Minister der Justiz. Ihre Ernennung rief fast
allenthalben Entrüstung hervor, da sie als leitende Geister der absolutistischen
Partei galten. Balabanow versöhnte sich mit Zankow und entwarf mit ihm
für die Liberale" ein gemäßigtes Programm, in das seine obengenannten Be¬
dingungen aufgenommen wurden, und dem sich auch viele Konservative anschlössen-
In einer großen Anzahl von Städten fanden Versammlungen statt, welche zu¬
stimmende Adressen beschlossen. Infolgedessen ergingen Ukase, welche das Ver-


Hitrvwo fand bald das Benehmen des Fürsten gegen sich verändert, und um
sich zu rächen, suchte er Fühlung mit den Liberalen. Um sich den von ihm
dringend gewünschten Staatsrat einrichten zu lassen, berief Alexander I. den
Charkowcr Professur Driuow, einen Bulgaren, zu sich, aber die Sache zerschlug
sich, weil Drinvw einen nnr wählbaren, der Fürst dagegen einen wenigstens zu
einem Drittel der Mitglieder von ihm zu ernennenden Staatsrat wollte, und
Drinow beeilte sich, wieder heimznreisen, worauf der Fürst am 2l>, September
dnrch Ukas die Bildung eines Staatsrates anordnete und von den zwölf be¬
ständigen Mitgliedern desselben vier selbst ernannte. Die übrigen sollten von
eigens hierzu gewählten Delegirten nach Stimmenmehrheit aus gewesenen
Ministern und diplomatischen Agenten, sowie ans dem Kreise der obersten
Beamten der Justiz und der Verwaltung gewählt werden, und außerdem sollten
die aktiven Minister, so oft es sich um Fragen ihres Faches handelte, ein Bischof,
ein Mufti und ein Rabbiner in der Körperschaft beratende Stimme haben. Die
Wahlen für den Staatsrat fanden, nachdem man die meist liberalen Beamten
bedeutet hatte, nicht für dieselben zu agitiren, am 13. November statt und ergaben,
was die Regierung damit beabsichtigt hatte. Drinow sollte die Präsidentschaft
im neuen Staatsrate übernehmen, weigerte sich jedoch mit der Behauptung, die
Wahlen seien ungesetzmäßig gewesen. Balabanow, damals diplomatischer Agent
Bulgariens in Konstantinopel, lehnte, obwohl den Konservativen geneigt und An¬
hänger der Idee eines Staatsrates, gleichfalls ab, indem er zugleich erklärte, das
Fürstentum könne der Anarchie »ur dann entgehen, wenn folgende Bedingungen
angenommen würden: 1. Vereinigung beider Parteien auf Grundlage der
Wiederherstellung der Verfassung; 2. Bildung eines neuen Ministeriums unter
Drinows Leitung; 3. Einberufung des Sobrnnje binnen vier Monaten, damit
es über die als notwendig betrachteten Abänderungen der Verfassung berate;
4. Einrichtung eines ernstlich gemeinten Staatsrates mit der Hauptaufgabe,
Gesetzvorschläge für die Volksvertretung auszuarbeiten; 6. Wiederherstellung der
Preßfreiheit und des Versammlnngsrechtes. Der frühere Minister Jkonomow
zeigte sich williger, die Leitung des Staatsrates zu übernehmen, und Grekow
wurde Vizepräsident. Als die neue Körperschaft auf den 11. Januar 1632
einberufe» worden war, erhielt Neulingen infolge einer Intrigue Natschowitschs,
der mit Grekow und Stoilow von Anfang an Vertrauensmann des Fürsten
gewesen war, seine Entlassung, und Natschowitsch wurde Präsident des neu-
gebildeten Kabinets, Grekow Minister der Justiz. Ihre Ernennung rief fast
allenthalben Entrüstung hervor, da sie als leitende Geister der absolutistischen
Partei galten. Balabanow versöhnte sich mit Zankow und entwarf mit ihm
für die Liberale« ein gemäßigtes Programm, in das seine obengenannten Be¬
dingungen aufgenommen wurden, und dem sich auch viele Konservative anschlössen-
In einer großen Anzahl von Städten fanden Versammlungen statt, welche zu¬
stimmende Adressen beschlossen. Infolgedessen ergingen Ukase, welche das Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/538>, abgerufen am 22.07.2024.