Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordnngarns. entspricht dem sogenannten Ringe, einem bald mehr viereckigen, bald runden, Am folgenden Tage setzte ich meine Reise nach Norden fort, das Waagthal Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordnngarns. entspricht dem sogenannten Ringe, einem bald mehr viereckigen, bald runden, Am folgenden Tage setzte ich meine Reise nach Norden fort, das Waagthal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199228"/> <fw type="header" place="top"> Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordnngarns.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1697" prev="#ID_1696"> entspricht dem sogenannten Ringe, einem bald mehr viereckigen, bald runden,<lb/> geräumigen Platze, manchmal von solchem Umfange, daß alle Verwendungen,<lb/> die wir unsern Plätzen — mehr Stationen für die Straßenzüge — zu geben<lb/> pflegen, dreimal darauf Raum fänden; den Ring umschließen die ansehnlichsten<lb/> Gebäude der Stadt, darunter meist der Gasthof, insgesamt mehrstöckig. Von<lb/> diesem Mittelpunkte laufen nach allen Seiten strahlenförmig die Straßen aus,<lb/> die im ganzen nur mit einstöckigen, unbedeutenden, weißgetünchten Häusern be¬<lb/> setzt sind. Man hat diese Banart wohl als eine eigentümlich deutsche hinstellen<lb/> wollen und beruft sich darauf, daß sie im ganzen nordöstlichen Deutschland ver¬<lb/> breitet ist, indes findet sie sich hier meines Wissens mir auf altem Slawen¬<lb/> boden und erinnert so auffallend an die bekannten Nundlingsdvrfer der Wenden,<lb/> daß ich mich zu der Annahme versucht fühle, daß diese Ninganlage unter den<lb/> Wenden, die viel früher Städte besaßen als ihre deutschen Nachbarn, entstanden<lb/> und von dem deutschen Bürgertnme der Ostlande eben nur aufgenommen sei.<lb/> Wir wissen nicht, wie die versunkene Wendenstadt Vineta gebaut war, aber ich<lb/> bin überzeugt, wenn ein zweiter Schliemann, ausgerüstet mit den Hilfsmitteln<lb/> des zwanzigsten Jahrhunderts, in das nasse Grab des Haffs hinabsteigt, so<lb/> wird er sein Taucherschiff auf einem Ringe verankern, der jenem von Pilsen<lb/> an Umfang nichts nachgeben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1698" next="#ID_1699"> Am folgenden Tage setzte ich meine Reise nach Norden fort, das Waagthal<lb/> hinauf, das jedoch erst gegen Trentschin hin den Charakter eines von Gebirgs-<lb/> hängen umschlossenen Thalspaltes anzunehmen beginnt. Ich hatte eine Fahr¬<lb/> karte bis Sillein genommen, dem nördlichen Endpunkte dieser Strecke, indes der<lb/> Anblick des Trentschiner Schlosses, das auf steilem Felsen unmittelbar über dem<lb/> Bahnhöfe aufsteigt und dessen hübsche Anlagen fast überschattet, fesselte mich<lb/> so gewaltig, daß ich die Fahrt unterbrach. Ich eilte schnell zu dem Gasthofe,<lb/> um meine Sachen abzulegen, und beschritt sofort den Fußpfad, der gleich hinter<lb/> den Häusern der gegenüberliegenden Straßenseite den hier zugänglicheren Berg<lb/> erklimmt. Die alte Beste des weiland König Zapolya ist gerade so weit zer¬<lb/> stört, um allen künstlerischen Anforderungen an eine schöne Ruine zu genügen,<lb/> und doch nicht zu sehr, um dem hochlöblichen Magistrate das Vergnügen zu<lb/> verderben, das Ganze unter Schloß und Riegel zu legen und die Schlüssel<lb/> einem Kastellan anzuvertrauen, der in einem kleine» Häuschen daneben auf der<lb/> Lauer liegt, übrigens ein so elend und kränklich aussehender Bursche, daß mau<lb/> mit frommer Ergebung seinen Schwall von Geschichtszahlen anhört und ihm mit<lb/> Vergnügen die gebührenden Zehner in die Hand drückt. Oben machte ich die<lb/> Bekanntschaft einer Gattung von Reisenden, wie sie selbst in unserm reisefertigen<lb/> Zeitalter nicht gerade häusig vorkommen mag: es war eine böhmische Dame<lb/> ungarischer Herkunft, in mittleren Jahren, aber noch wohl anzuschauen, die<lb/> ihrem Sohne, anscheinend einem Primaner, zuliebe eine Fußreise von Mähren her<lb/> über die Grenzgebirge hierher unternommen hatte, eine Reise im romantischsten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0508]
Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordnngarns.
entspricht dem sogenannten Ringe, einem bald mehr viereckigen, bald runden,
geräumigen Platze, manchmal von solchem Umfange, daß alle Verwendungen,
die wir unsern Plätzen — mehr Stationen für die Straßenzüge — zu geben
pflegen, dreimal darauf Raum fänden; den Ring umschließen die ansehnlichsten
Gebäude der Stadt, darunter meist der Gasthof, insgesamt mehrstöckig. Von
diesem Mittelpunkte laufen nach allen Seiten strahlenförmig die Straßen aus,
die im ganzen nur mit einstöckigen, unbedeutenden, weißgetünchten Häusern be¬
setzt sind. Man hat diese Banart wohl als eine eigentümlich deutsche hinstellen
wollen und beruft sich darauf, daß sie im ganzen nordöstlichen Deutschland ver¬
breitet ist, indes findet sie sich hier meines Wissens mir auf altem Slawen¬
boden und erinnert so auffallend an die bekannten Nundlingsdvrfer der Wenden,
daß ich mich zu der Annahme versucht fühle, daß diese Ninganlage unter den
Wenden, die viel früher Städte besaßen als ihre deutschen Nachbarn, entstanden
und von dem deutschen Bürgertnme der Ostlande eben nur aufgenommen sei.
Wir wissen nicht, wie die versunkene Wendenstadt Vineta gebaut war, aber ich
bin überzeugt, wenn ein zweiter Schliemann, ausgerüstet mit den Hilfsmitteln
des zwanzigsten Jahrhunderts, in das nasse Grab des Haffs hinabsteigt, so
wird er sein Taucherschiff auf einem Ringe verankern, der jenem von Pilsen
an Umfang nichts nachgeben wird.
Am folgenden Tage setzte ich meine Reise nach Norden fort, das Waagthal
hinauf, das jedoch erst gegen Trentschin hin den Charakter eines von Gebirgs-
hängen umschlossenen Thalspaltes anzunehmen beginnt. Ich hatte eine Fahr¬
karte bis Sillein genommen, dem nördlichen Endpunkte dieser Strecke, indes der
Anblick des Trentschiner Schlosses, das auf steilem Felsen unmittelbar über dem
Bahnhöfe aufsteigt und dessen hübsche Anlagen fast überschattet, fesselte mich
so gewaltig, daß ich die Fahrt unterbrach. Ich eilte schnell zu dem Gasthofe,
um meine Sachen abzulegen, und beschritt sofort den Fußpfad, der gleich hinter
den Häusern der gegenüberliegenden Straßenseite den hier zugänglicheren Berg
erklimmt. Die alte Beste des weiland König Zapolya ist gerade so weit zer¬
stört, um allen künstlerischen Anforderungen an eine schöne Ruine zu genügen,
und doch nicht zu sehr, um dem hochlöblichen Magistrate das Vergnügen zu
verderben, das Ganze unter Schloß und Riegel zu legen und die Schlüssel
einem Kastellan anzuvertrauen, der in einem kleine» Häuschen daneben auf der
Lauer liegt, übrigens ein so elend und kränklich aussehender Bursche, daß mau
mit frommer Ergebung seinen Schwall von Geschichtszahlen anhört und ihm mit
Vergnügen die gebührenden Zehner in die Hand drückt. Oben machte ich die
Bekanntschaft einer Gattung von Reisenden, wie sie selbst in unserm reisefertigen
Zeitalter nicht gerade häusig vorkommen mag: es war eine böhmische Dame
ungarischer Herkunft, in mittleren Jahren, aber noch wohl anzuschauen, die
ihrem Sohne, anscheinend einem Primaner, zuliebe eine Fußreise von Mähren her
über die Grenzgebirge hierher unternommen hatte, eine Reise im romantischsten
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