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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Majorate sind und die jüngern Söhne außer ein paar Stucken Vieh keinen An¬
spruch auf Abfindung haben. Übrigens ist dies das emsige sichere Zeugnis über
ein jüngeres Vorkommen der Hausgenossenschaft in germanischen Landen, das
ich habe auffinden können, denn das patriarchalische Regiment des Vaters über
eine Reihe von verheirateten, mit ihm zusammenlebenden Söhnen, wie es sich
in den Gebirgen Norwegens noch bis in die neueste Zeit nachweisen läßt, ge¬
hört streng genommen nicht hierher, wenn auch solche Gewohnheiten dem Geiste
der Hausgenossenschaft sehr nahe stehen und im wirklichen Leben leicht in letztere
übergehen können. Für Deutschland aber liegen derartige Zustände in mehliger
Ferne, und wir dürfen dem Zufalle umso dankbarer sein, daß in einer Vor¬
zeit, in der die Hausgenossenschaft ohne Zweifel bei uns noch im Schwange
war, eine Anzahl Bauerschaften in eine öde, verlassene Gegend Ungarns ge¬
worfen worden ist, wo sie, inmitten einer fremdartigen Bevölkerung, miauge¬
fochten von den Fortschritten der Kultur, jene uralten Einrichtungen bis nuf
unsre Tage rein erhalten konnten. Daß Schwicker in seinem bekannten Werke
über die Deutschen in Ungarn dieser Besonderheiten keine Erwähnung thut, ist
weniger befremdlich, als daß sein Hauptgewährsmann für die nordwestungarischen
Deutschen, der Wiener Professor Schröer, der sich zur Untersuchung der Mund¬
art in den deutschen Dörfern aufgehalten hat, nichts davon weiß, obgleich da¬
mals, in den fünfziger Jahren, die Hausgenossenschaft daselbst noch nicht, wie
heute, abgestorben war, sondern in vollem, blühendem Leben stand -- schwer be¬
greiflich, da noch heute ein Blick auf diese riesigen, offenbar nicht für eine
Familie zugeschnittenen Geschlechtshäuser genügt, auf das Außerordentliche der
Verhältnisse aufmerksam zu machen.

Meiner Absicht, Krickerhäu zu besuchen, stellten sich in den nächstfolgenden
Jahren Hindernisse in den Weg. Mittlerweile schrieb ich an Wvland, kündigte
ihm meine Absicht an, einige Zeit bei ihm zuzubringen, und bat um einige
weitere Nachrichten, die er mir bereitwillig übermittelte und von denen mich am
meisten die Mitteilung interessirte, daß die berührten Lebensgewohnheiten sich
nicht nur in Krickerhün, sondern Ar allen deutschen Dörfern gefunden hätten.

Endlich, im Anfang August v. I., verließ ich Wien, um mich geradeswegs
an Ort und Stelle zu begeben. Ein Mvrgenzng brachte mich nach Preßburg,
Mo ich nur so lange verweilte, um zu Mittag zu essen und den seiner Aussicht
halber berühmten Schloßberg zu besteigen, dann fuhr ich noch denselben Nach¬
mittag weiter nach Tyrnau, mitten in das Gebiet der Slovaken hinein, die den
ganzen Nordwesten Ungarns bewohnen.

Die Anlage des alten deutschen Städtchens Tyrnau kann als Muster gelten
für die meisten deutschen Stadtgründnngen in Nordnngarn überhaupt. Mau
kann sie mit einer jener langbeinigen Spinnen vergleichen, die unsre Kinder
^ ich bin kein Naturforscher -- mit dem Namen Käkebein bezeichnen. Der
Körper des Tieres, der den Kern der Stadt und der Bürgerschaft darstellt,


Majorate sind und die jüngern Söhne außer ein paar Stucken Vieh keinen An¬
spruch auf Abfindung haben. Übrigens ist dies das emsige sichere Zeugnis über
ein jüngeres Vorkommen der Hausgenossenschaft in germanischen Landen, das
ich habe auffinden können, denn das patriarchalische Regiment des Vaters über
eine Reihe von verheirateten, mit ihm zusammenlebenden Söhnen, wie es sich
in den Gebirgen Norwegens noch bis in die neueste Zeit nachweisen läßt, ge¬
hört streng genommen nicht hierher, wenn auch solche Gewohnheiten dem Geiste
der Hausgenossenschaft sehr nahe stehen und im wirklichen Leben leicht in letztere
übergehen können. Für Deutschland aber liegen derartige Zustände in mehliger
Ferne, und wir dürfen dem Zufalle umso dankbarer sein, daß in einer Vor¬
zeit, in der die Hausgenossenschaft ohne Zweifel bei uns noch im Schwange
war, eine Anzahl Bauerschaften in eine öde, verlassene Gegend Ungarns ge¬
worfen worden ist, wo sie, inmitten einer fremdartigen Bevölkerung, miauge¬
fochten von den Fortschritten der Kultur, jene uralten Einrichtungen bis nuf
unsre Tage rein erhalten konnten. Daß Schwicker in seinem bekannten Werke
über die Deutschen in Ungarn dieser Besonderheiten keine Erwähnung thut, ist
weniger befremdlich, als daß sein Hauptgewährsmann für die nordwestungarischen
Deutschen, der Wiener Professor Schröer, der sich zur Untersuchung der Mund¬
art in den deutschen Dörfern aufgehalten hat, nichts davon weiß, obgleich da¬
mals, in den fünfziger Jahren, die Hausgenossenschaft daselbst noch nicht, wie
heute, abgestorben war, sondern in vollem, blühendem Leben stand — schwer be¬
greiflich, da noch heute ein Blick auf diese riesigen, offenbar nicht für eine
Familie zugeschnittenen Geschlechtshäuser genügt, auf das Außerordentliche der
Verhältnisse aufmerksam zu machen.

Meiner Absicht, Krickerhäu zu besuchen, stellten sich in den nächstfolgenden
Jahren Hindernisse in den Weg. Mittlerweile schrieb ich an Wvland, kündigte
ihm meine Absicht an, einige Zeit bei ihm zuzubringen, und bat um einige
weitere Nachrichten, die er mir bereitwillig übermittelte und von denen mich am
meisten die Mitteilung interessirte, daß die berührten Lebensgewohnheiten sich
nicht nur in Krickerhün, sondern Ar allen deutschen Dörfern gefunden hätten.

Endlich, im Anfang August v. I., verließ ich Wien, um mich geradeswegs
an Ort und Stelle zu begeben. Ein Mvrgenzng brachte mich nach Preßburg,
Mo ich nur so lange verweilte, um zu Mittag zu essen und den seiner Aussicht
halber berühmten Schloßberg zu besteigen, dann fuhr ich noch denselben Nach¬
mittag weiter nach Tyrnau, mitten in das Gebiet der Slovaken hinein, die den
ganzen Nordwesten Ungarns bewohnen.

Die Anlage des alten deutschen Städtchens Tyrnau kann als Muster gelten
für die meisten deutschen Stadtgründnngen in Nordnngarn überhaupt. Mau
kann sie mit einer jener langbeinigen Spinnen vergleichen, die unsre Kinder
^ ich bin kein Naturforscher — mit dem Namen Käkebein bezeichnen. Der
Körper des Tieres, der den Kern der Stadt und der Bürgerschaft darstellt,


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[0507] Majorate sind und die jüngern Söhne außer ein paar Stucken Vieh keinen An¬ spruch auf Abfindung haben. Übrigens ist dies das emsige sichere Zeugnis über ein jüngeres Vorkommen der Hausgenossenschaft in germanischen Landen, das ich habe auffinden können, denn das patriarchalische Regiment des Vaters über eine Reihe von verheirateten, mit ihm zusammenlebenden Söhnen, wie es sich in den Gebirgen Norwegens noch bis in die neueste Zeit nachweisen läßt, ge¬ hört streng genommen nicht hierher, wenn auch solche Gewohnheiten dem Geiste der Hausgenossenschaft sehr nahe stehen und im wirklichen Leben leicht in letztere übergehen können. Für Deutschland aber liegen derartige Zustände in mehliger Ferne, und wir dürfen dem Zufalle umso dankbarer sein, daß in einer Vor¬ zeit, in der die Hausgenossenschaft ohne Zweifel bei uns noch im Schwange war, eine Anzahl Bauerschaften in eine öde, verlassene Gegend Ungarns ge¬ worfen worden ist, wo sie, inmitten einer fremdartigen Bevölkerung, miauge¬ fochten von den Fortschritten der Kultur, jene uralten Einrichtungen bis nuf unsre Tage rein erhalten konnten. Daß Schwicker in seinem bekannten Werke über die Deutschen in Ungarn dieser Besonderheiten keine Erwähnung thut, ist weniger befremdlich, als daß sein Hauptgewährsmann für die nordwestungarischen Deutschen, der Wiener Professor Schröer, der sich zur Untersuchung der Mund¬ art in den deutschen Dörfern aufgehalten hat, nichts davon weiß, obgleich da¬ mals, in den fünfziger Jahren, die Hausgenossenschaft daselbst noch nicht, wie heute, abgestorben war, sondern in vollem, blühendem Leben stand — schwer be¬ greiflich, da noch heute ein Blick auf diese riesigen, offenbar nicht für eine Familie zugeschnittenen Geschlechtshäuser genügt, auf das Außerordentliche der Verhältnisse aufmerksam zu machen. Meiner Absicht, Krickerhäu zu besuchen, stellten sich in den nächstfolgenden Jahren Hindernisse in den Weg. Mittlerweile schrieb ich an Wvland, kündigte ihm meine Absicht an, einige Zeit bei ihm zuzubringen, und bat um einige weitere Nachrichten, die er mir bereitwillig übermittelte und von denen mich am meisten die Mitteilung interessirte, daß die berührten Lebensgewohnheiten sich nicht nur in Krickerhün, sondern Ar allen deutschen Dörfern gefunden hätten. Endlich, im Anfang August v. I., verließ ich Wien, um mich geradeswegs an Ort und Stelle zu begeben. Ein Mvrgenzng brachte mich nach Preßburg, Mo ich nur so lange verweilte, um zu Mittag zu essen und den seiner Aussicht halber berühmten Schloßberg zu besteigen, dann fuhr ich noch denselben Nach¬ mittag weiter nach Tyrnau, mitten in das Gebiet der Slovaken hinein, die den ganzen Nordwesten Ungarns bewohnen. Die Anlage des alten deutschen Städtchens Tyrnau kann als Muster gelten für die meisten deutschen Stadtgründnngen in Nordnngarn überhaupt. Mau kann sie mit einer jener langbeinigen Spinnen vergleichen, die unsre Kinder ^ ich bin kein Naturforscher — mit dem Namen Käkebein bezeichnen. Der Körper des Tieres, der den Kern der Stadt und der Bürgerschaft darstellt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/507>, abgerufen am 22.07.2024.