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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

Bewerber um diese Stellen heranziehen sollen, nicht aber, wie vielfach geschah,
schiffbrüchige Existenzen und solche, denen Gönner trotz ihrer Unfähigkeit eine
gute Versorgung verschaffen wollten. Die Folge war, daß die Billgaren,
welche jene untauglichen Fremden mit ihrem Gelde besolden mußten, verdrießlich
wurden, zumal die Vergeudung dieser Gehälter, deren sich viele der Betreffenden
schuldig machten, stark gegen die sparsamen Gewohnheiten des Landes verstieß.
Zudem geberdete sich der hierher versetzte Russe beinahe niemals als wohl¬
wollender Vormund, sondern meist als harter und hochmütiger Gebieter. Ein
vstrumelischer Prcifekt wurde, wie Huhn erzählt, von einem russischen Konsul
wiederholt in Gesellschaft darauf hingewiesen, daß er seine Stelle der Gnade
Rußlands verdanke, daß er die Pflicht habe, sich als dessen Prcifekt zu be¬
trachten, und daß die Russen nicht bloß zu Besuch im Lande, sondern hier ganz
M Hause seien. Man wird zugeben, daß dies die anfänglich vvrhcindne Liebe
und Dankbarkeit für die "Befreier" nicht stärken konnte, sondern vielmehr den
Wunsch hervorrufen mußte, bald auch von ihnen befreit zu werden.

Betrachten wir die beiden bulgarischen Zwillingsbrüder einzeln, so herrschte
in Bulgarien, nachdem der Fürst Tscherlaskh, der zuerst mit der Umwandlung
der Verwaltung nach russischem Muster beauftragt war, gestorben, als General¬
gouvemeur der Fürst Dvndukow-Korsakow. Derselbe erwarb sich mancherlei
Verdienste um das Laud. Mit der verrotteten türkischen Wirtschaft wurde
möglichst aufgeräumt, die Städte gewannen ein besseres Aussehen, es entstanden
Schulen und Druckereien, man begann mit dem Baue neuer Straßen und Wege.
Aber alle diese Wohlthaten wurden dadurch aufgewogen, daß er den Bulgaren
eine Verfassung nach dem Vorbilde der serbischen gab, welche den unbeschränk¬
tsten Parlamentarismus einführte. Natürlich handelte er damit im Auftrage
seiner Negierung, und ebenso natürlich hegte weder diese noch er selbst den
Aberglauben unsrer Liberalen, Verfassungen dieser Art seien ein Segen auch
für barbarische Völker. Vielmehr dachte man vermutlich an die Möglichkeit,
daß sich einmal zwischen Nußland und dem Fürsten, den Bulgarien erhalten
!ville, Meinungsverschiedenheiten rend Streitigkeiten erhoben, für welchen Fall
man das Parlament gegen ihn ausspielen zu können hoffte. Auch mag der
Gedanke vorgeschwebt haben, das Land durch die Bestrebungen von Parteien
und deren wechselnde Herrschaft in Unruhe und Verwirrung zu stürzen und so
endlich einen unleidlichen Zustand herbeizuführen, bei dem ein russisches Ein¬
schreite" als Notwendigkeit und als Erlösung erscheinen mußte. Ähnlich wurde
Ostrumelieu Verfahren, für welches Vertreter der Großmächte in Philippvpcl
"organisches Statut" anfertigten, das mit den weitgehenden Rechten, die
darin der Volksvertretung eingeräumt waren, ganz dazu angethan war, dem
türkischen Geueralgouverueur das Regieren unmöglich zu machen, wenn er sich
daran erinnerte, daß er ein Beamter des Sultans war.

Im Februar 18?9 versammelten sich zu Tirnvwo die Abgeordneten But-


Bulgarien und sein Fürst.

Bewerber um diese Stellen heranziehen sollen, nicht aber, wie vielfach geschah,
schiffbrüchige Existenzen und solche, denen Gönner trotz ihrer Unfähigkeit eine
gute Versorgung verschaffen wollten. Die Folge war, daß die Billgaren,
welche jene untauglichen Fremden mit ihrem Gelde besolden mußten, verdrießlich
wurden, zumal die Vergeudung dieser Gehälter, deren sich viele der Betreffenden
schuldig machten, stark gegen die sparsamen Gewohnheiten des Landes verstieß.
Zudem geberdete sich der hierher versetzte Russe beinahe niemals als wohl¬
wollender Vormund, sondern meist als harter und hochmütiger Gebieter. Ein
vstrumelischer Prcifekt wurde, wie Huhn erzählt, von einem russischen Konsul
wiederholt in Gesellschaft darauf hingewiesen, daß er seine Stelle der Gnade
Rußlands verdanke, daß er die Pflicht habe, sich als dessen Prcifekt zu be¬
trachten, und daß die Russen nicht bloß zu Besuch im Lande, sondern hier ganz
M Hause seien. Man wird zugeben, daß dies die anfänglich vvrhcindne Liebe
und Dankbarkeit für die „Befreier" nicht stärken konnte, sondern vielmehr den
Wunsch hervorrufen mußte, bald auch von ihnen befreit zu werden.

Betrachten wir die beiden bulgarischen Zwillingsbrüder einzeln, so herrschte
in Bulgarien, nachdem der Fürst Tscherlaskh, der zuerst mit der Umwandlung
der Verwaltung nach russischem Muster beauftragt war, gestorben, als General¬
gouvemeur der Fürst Dvndukow-Korsakow. Derselbe erwarb sich mancherlei
Verdienste um das Laud. Mit der verrotteten türkischen Wirtschaft wurde
möglichst aufgeräumt, die Städte gewannen ein besseres Aussehen, es entstanden
Schulen und Druckereien, man begann mit dem Baue neuer Straßen und Wege.
Aber alle diese Wohlthaten wurden dadurch aufgewogen, daß er den Bulgaren
eine Verfassung nach dem Vorbilde der serbischen gab, welche den unbeschränk¬
tsten Parlamentarismus einführte. Natürlich handelte er damit im Auftrage
seiner Negierung, und ebenso natürlich hegte weder diese noch er selbst den
Aberglauben unsrer Liberalen, Verfassungen dieser Art seien ein Segen auch
für barbarische Völker. Vielmehr dachte man vermutlich an die Möglichkeit,
daß sich einmal zwischen Nußland und dem Fürsten, den Bulgarien erhalten
!ville, Meinungsverschiedenheiten rend Streitigkeiten erhoben, für welchen Fall
man das Parlament gegen ihn ausspielen zu können hoffte. Auch mag der
Gedanke vorgeschwebt haben, das Land durch die Bestrebungen von Parteien
und deren wechselnde Herrschaft in Unruhe und Verwirrung zu stürzen und so
endlich einen unleidlichen Zustand herbeizuführen, bei dem ein russisches Ein¬
schreite« als Notwendigkeit und als Erlösung erscheinen mußte. Ähnlich wurde
Ostrumelieu Verfahren, für welches Vertreter der Großmächte in Philippvpcl
„organisches Statut" anfertigten, das mit den weitgehenden Rechten, die
darin der Volksvertretung eingeräumt waren, ganz dazu angethan war, dem
türkischen Geueralgouverueur das Regieren unmöglich zu machen, wenn er sich
daran erinnerte, daß er ein Beamter des Sultans war.

Im Februar 18?9 versammelten sich zu Tirnvwo die Abgeordneten But-


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[0491] Bulgarien und sein Fürst. Bewerber um diese Stellen heranziehen sollen, nicht aber, wie vielfach geschah, schiffbrüchige Existenzen und solche, denen Gönner trotz ihrer Unfähigkeit eine gute Versorgung verschaffen wollten. Die Folge war, daß die Billgaren, welche jene untauglichen Fremden mit ihrem Gelde besolden mußten, verdrießlich wurden, zumal die Vergeudung dieser Gehälter, deren sich viele der Betreffenden schuldig machten, stark gegen die sparsamen Gewohnheiten des Landes verstieß. Zudem geberdete sich der hierher versetzte Russe beinahe niemals als wohl¬ wollender Vormund, sondern meist als harter und hochmütiger Gebieter. Ein vstrumelischer Prcifekt wurde, wie Huhn erzählt, von einem russischen Konsul wiederholt in Gesellschaft darauf hingewiesen, daß er seine Stelle der Gnade Rußlands verdanke, daß er die Pflicht habe, sich als dessen Prcifekt zu be¬ trachten, und daß die Russen nicht bloß zu Besuch im Lande, sondern hier ganz M Hause seien. Man wird zugeben, daß dies die anfänglich vvrhcindne Liebe und Dankbarkeit für die „Befreier" nicht stärken konnte, sondern vielmehr den Wunsch hervorrufen mußte, bald auch von ihnen befreit zu werden. Betrachten wir die beiden bulgarischen Zwillingsbrüder einzeln, so herrschte in Bulgarien, nachdem der Fürst Tscherlaskh, der zuerst mit der Umwandlung der Verwaltung nach russischem Muster beauftragt war, gestorben, als General¬ gouvemeur der Fürst Dvndukow-Korsakow. Derselbe erwarb sich mancherlei Verdienste um das Laud. Mit der verrotteten türkischen Wirtschaft wurde möglichst aufgeräumt, die Städte gewannen ein besseres Aussehen, es entstanden Schulen und Druckereien, man begann mit dem Baue neuer Straßen und Wege. Aber alle diese Wohlthaten wurden dadurch aufgewogen, daß er den Bulgaren eine Verfassung nach dem Vorbilde der serbischen gab, welche den unbeschränk¬ tsten Parlamentarismus einführte. Natürlich handelte er damit im Auftrage seiner Negierung, und ebenso natürlich hegte weder diese noch er selbst den Aberglauben unsrer Liberalen, Verfassungen dieser Art seien ein Segen auch für barbarische Völker. Vielmehr dachte man vermutlich an die Möglichkeit, daß sich einmal zwischen Nußland und dem Fürsten, den Bulgarien erhalten !ville, Meinungsverschiedenheiten rend Streitigkeiten erhoben, für welchen Fall man das Parlament gegen ihn ausspielen zu können hoffte. Auch mag der Gedanke vorgeschwebt haben, das Land durch die Bestrebungen von Parteien und deren wechselnde Herrschaft in Unruhe und Verwirrung zu stürzen und so endlich einen unleidlichen Zustand herbeizuführen, bei dem ein russisches Ein¬ schreite« als Notwendigkeit und als Erlösung erscheinen mußte. Ähnlich wurde Ostrumelieu Verfahren, für welches Vertreter der Großmächte in Philippvpcl „organisches Statut" anfertigten, das mit den weitgehenden Rechten, die darin der Volksvertretung eingeräumt waren, ganz dazu angethan war, dem türkischen Geueralgouverueur das Regieren unmöglich zu machen, wenn er sich daran erinnerte, daß er ein Beamter des Sultans war. Im Februar 18?9 versammelten sich zu Tirnvwo die Abgeordneten But-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/491>, abgerufen am 25.08.2024.