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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Ans dor Chronik derer von Riffelshcmsen.

schien ihm mit Dalda ein Stück des alten, schmerzlich vermißten Weltlebens
zurückgekehrt. Er atmete in der ihm zusagenden Lust.

Therese bemerkte diese Einwirkung mit einer Freude, die sie nicht zu ver¬
bergen suchte. Es strahlte so viel Freundlichkeit aus ihren Augen, wenn sie sich
zu dem Grafen wandte, daß er es garnicht begriff.

Man hatte sich vor dem Abendessen im Saale versammelt. Georg Niffels-
hausen führte seine Freundin, Fräulein Dnsele, nach einem kleinen Sofa in der
Fensternische. Er begann damit, ihr ungewöhnlich lebhaft von den Guts¬
angelegenheiten zu erzählen, versank aber plötzlich in Schweigen und schaute nach
dem Fcuerplatz, wo Da'ita einen andächtigen Zuhörcrkreis um sich versammelte.
Therese, Cäcilie, die kleine Französin und Herr Trakelberg saßen dort, während
Bohemnnd mit dem Oberförster lebhaft redend auf und ab ging.

Wissen Sie, von was Danda spricht? fragte Georg seine Freundin. Von
der merkwürdigen Macht irgendeines Dinges, das garnicht existirt. Und bitte,
sehen Sie einmal hin, Frünlein Dusele, sehen Sie diese erregten Gesichter! Ich
sage Ihnen: alle diese sonst so vernünftigen Leute glauben ihm.

Fräulein Karoline lächelte. Ich kenne den Grafen, sagte sie. Sie kannte
wirklich alle Welt.

Aber auch der Oberförster und der Hofmarschall ließen ihr Gespräch fallen,
um sich dem Hörerkreis am Feuer anzuschließen.

Es ist eine alte Sache, die ich eben berichtete, erklärte der Graf; es lebt
wohl noch hier und dort ein Mensch, von dem die Leute sagen, er habe den
Unglückston gehört. Er gebe dem Gesicht einen ganz besondern Ausdruck, be¬
haupten sie, und man könne einen solchen Menschen nicht ansehen, ohne das
tiefste Mitgefühl mit ihm zu haben, man möge wollen oder nicht. Ich muß
an diese Sage denken, wenn ich in dunkle Augen sehe, die immer tiefer zu
werden scheinen, je mehr man sich in sie versenkt. Sie haben etwas unheimlich
anziehendes, solche Augen, als ob ihre Besitzer durch den Trcmertou der Natur
gebannt worden seien. ,

Therese schaute suchend nach der Fensternische. Georg klopfte leise mit
dem Krückstock auf den Boden. Er sah nervös aus.

Unser Nachbar liebt die Musik, sagte jetzt der Hofmarschall, spielst du nicht
ein wenig. Therese?

Sie erhob sich augenblicklich und ging an den alten Flügel, der einen
schwachen und weichen Ton hatte. Es war ein einschmeichelndes In¬
strument.

Als Therese spielte, stand der Graf hinter ihr. Er hatte sich den ersten
Teil der Mondscheinsonate ausgebeten, stützte die eine Hand ans die Lehne des
Stuhles und bedeckte mit der andern die Augen. Die Musik zog durch den
Saal wie ein Traum, jeder Ton klar, aber leise, daß Klang und Schall nicht
mehr zu sein schien, und die ernste Stimme so sanft, sie begehrte nichts, sie


Ans dor Chronik derer von Riffelshcmsen.

schien ihm mit Dalda ein Stück des alten, schmerzlich vermißten Weltlebens
zurückgekehrt. Er atmete in der ihm zusagenden Lust.

Therese bemerkte diese Einwirkung mit einer Freude, die sie nicht zu ver¬
bergen suchte. Es strahlte so viel Freundlichkeit aus ihren Augen, wenn sie sich
zu dem Grafen wandte, daß er es garnicht begriff.

Man hatte sich vor dem Abendessen im Saale versammelt. Georg Niffels-
hausen führte seine Freundin, Fräulein Dnsele, nach einem kleinen Sofa in der
Fensternische. Er begann damit, ihr ungewöhnlich lebhaft von den Guts¬
angelegenheiten zu erzählen, versank aber plötzlich in Schweigen und schaute nach
dem Fcuerplatz, wo Da'ita einen andächtigen Zuhörcrkreis um sich versammelte.
Therese, Cäcilie, die kleine Französin und Herr Trakelberg saßen dort, während
Bohemnnd mit dem Oberförster lebhaft redend auf und ab ging.

Wissen Sie, von was Danda spricht? fragte Georg seine Freundin. Von
der merkwürdigen Macht irgendeines Dinges, das garnicht existirt. Und bitte,
sehen Sie einmal hin, Frünlein Dusele, sehen Sie diese erregten Gesichter! Ich
sage Ihnen: alle diese sonst so vernünftigen Leute glauben ihm.

Fräulein Karoline lächelte. Ich kenne den Grafen, sagte sie. Sie kannte
wirklich alle Welt.

Aber auch der Oberförster und der Hofmarschall ließen ihr Gespräch fallen,
um sich dem Hörerkreis am Feuer anzuschließen.

Es ist eine alte Sache, die ich eben berichtete, erklärte der Graf; es lebt
wohl noch hier und dort ein Mensch, von dem die Leute sagen, er habe den
Unglückston gehört. Er gebe dem Gesicht einen ganz besondern Ausdruck, be¬
haupten sie, und man könne einen solchen Menschen nicht ansehen, ohne das
tiefste Mitgefühl mit ihm zu haben, man möge wollen oder nicht. Ich muß
an diese Sage denken, wenn ich in dunkle Augen sehe, die immer tiefer zu
werden scheinen, je mehr man sich in sie versenkt. Sie haben etwas unheimlich
anziehendes, solche Augen, als ob ihre Besitzer durch den Trcmertou der Natur
gebannt worden seien. ,

Therese schaute suchend nach der Fensternische. Georg klopfte leise mit
dem Krückstock auf den Boden. Er sah nervös aus.

Unser Nachbar liebt die Musik, sagte jetzt der Hofmarschall, spielst du nicht
ein wenig. Therese?

Sie erhob sich augenblicklich und ging an den alten Flügel, der einen
schwachen und weichen Ton hatte. Es war ein einschmeichelndes In¬
strument.

Als Therese spielte, stand der Graf hinter ihr. Er hatte sich den ersten
Teil der Mondscheinsonate ausgebeten, stützte die eine Hand ans die Lehne des
Stuhles und bedeckte mit der andern die Augen. Die Musik zog durch den
Saal wie ein Traum, jeder Ton klar, aber leise, daß Klang und Schall nicht
mehr zu sein schien, und die ernste Stimme so sanft, sie begehrte nichts, sie


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[0483] Ans dor Chronik derer von Riffelshcmsen. schien ihm mit Dalda ein Stück des alten, schmerzlich vermißten Weltlebens zurückgekehrt. Er atmete in der ihm zusagenden Lust. Therese bemerkte diese Einwirkung mit einer Freude, die sie nicht zu ver¬ bergen suchte. Es strahlte so viel Freundlichkeit aus ihren Augen, wenn sie sich zu dem Grafen wandte, daß er es garnicht begriff. Man hatte sich vor dem Abendessen im Saale versammelt. Georg Niffels- hausen führte seine Freundin, Fräulein Dnsele, nach einem kleinen Sofa in der Fensternische. Er begann damit, ihr ungewöhnlich lebhaft von den Guts¬ angelegenheiten zu erzählen, versank aber plötzlich in Schweigen und schaute nach dem Fcuerplatz, wo Da'ita einen andächtigen Zuhörcrkreis um sich versammelte. Therese, Cäcilie, die kleine Französin und Herr Trakelberg saßen dort, während Bohemnnd mit dem Oberförster lebhaft redend auf und ab ging. Wissen Sie, von was Danda spricht? fragte Georg seine Freundin. Von der merkwürdigen Macht irgendeines Dinges, das garnicht existirt. Und bitte, sehen Sie einmal hin, Frünlein Dusele, sehen Sie diese erregten Gesichter! Ich sage Ihnen: alle diese sonst so vernünftigen Leute glauben ihm. Fräulein Karoline lächelte. Ich kenne den Grafen, sagte sie. Sie kannte wirklich alle Welt. Aber auch der Oberförster und der Hofmarschall ließen ihr Gespräch fallen, um sich dem Hörerkreis am Feuer anzuschließen. Es ist eine alte Sache, die ich eben berichtete, erklärte der Graf; es lebt wohl noch hier und dort ein Mensch, von dem die Leute sagen, er habe den Unglückston gehört. Er gebe dem Gesicht einen ganz besondern Ausdruck, be¬ haupten sie, und man könne einen solchen Menschen nicht ansehen, ohne das tiefste Mitgefühl mit ihm zu haben, man möge wollen oder nicht. Ich muß an diese Sage denken, wenn ich in dunkle Augen sehe, die immer tiefer zu werden scheinen, je mehr man sich in sie versenkt. Sie haben etwas unheimlich anziehendes, solche Augen, als ob ihre Besitzer durch den Trcmertou der Natur gebannt worden seien. , Therese schaute suchend nach der Fensternische. Georg klopfte leise mit dem Krückstock auf den Boden. Er sah nervös aus. Unser Nachbar liebt die Musik, sagte jetzt der Hofmarschall, spielst du nicht ein wenig. Therese? Sie erhob sich augenblicklich und ging an den alten Flügel, der einen schwachen und weichen Ton hatte. Es war ein einschmeichelndes In¬ strument. Als Therese spielte, stand der Graf hinter ihr. Er hatte sich den ersten Teil der Mondscheinsonate ausgebeten, stützte die eine Hand ans die Lehne des Stuhles und bedeckte mit der andern die Augen. Die Musik zog durch den Saal wie ein Traum, jeder Ton klar, aber leise, daß Klang und Schall nicht mehr zu sein schien, und die ernste Stimme so sanft, sie begehrte nichts, sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/483>, abgerufen am 03.07.2024.