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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Ans der Lhronik derer von Riffelshanscn,

Krückstocke, daß er anders war als sie? Aber da war ein lahmer Schneider-
geselle in Rummelshausen, der fehlte bei keinem lustigen Feste und war immer
einer der Lustigsten.

Holla! Friedrich der Große nach der Schlacht bei Kollin! wurde er
plötzlich angeredet. Das Schlachtenverlieren ist sonst auch Ihre Art nicht, Herr
Nachbar von Siebenhofcn.

Es war ein schlanker, jugendlicher Mann in kurzem, knappen Pelz, der
jetzt vor Georg stand und sich mit Grazie zu ihm neigte. Aber obwohl An¬
rede und Haltung durchaus entgegenkommend waren, begegneten seine halb¬
geöffneten Augen denen Georgs mit Zurückhaltung.

Ah, Graf Da'ita? sagte Georg kühl. Sind Sie wieder in Moosdorf?

Dutda zog einen Sessel heran und nahm neben Georg Platz.

Auf unbestimmte Zeit -- mein Sanssouci. Aber Sie als Familienvnkel?
Welch reizendes olmugswenk as äooor!itiou8, teuerster Einsiedler. Ihr Bruder
sieht freilich recht mitgenommen aus. Aber die Baronin! Welch poetisch an¬
gehauchte Schönheit. Sie hat etwas von den Madonnen Raffaels in der
unbewußten Hoheit ihres Wesens.

Unangenehm berührt, zog Georg die Brauen zusammen. Plötzlich erinnerte
er sich, daß des Moosdorfers halbverschleierte Augen unter den langen Wimpern
hervor außerordentlich fein zu beobachten pflegten. Er sah rasch auf. Richtig,
einen forschenden Blick hatte er noch aufgefangen.

Sie kennen die Heiratsgeschichte ihres Vaters?

Da'tda nickte. Ich bitte Sie! Und wenn Ihr Bruder die Hofmarschallin
selbst von der Bühne geholt hätte, eine solche Erscheinung ist ein Adelsbrief,
der über jeden andern geht.

Georg stand auf und reichte dem Nachbar die Hand, aber es war ein
Thenterhündedruck. Diese beiden gleichaltrigen Männer konnten, ohne einander
Komödie vorzuspielen, nicht mit einander verkehren. Die Bekanntschaft datirte
von den Kinderjahren. Georg schien es unendlich lange her, daß er noch im
Vollbesitz gesunder Gliedmaßen in Moosdorf den Hengst bezwang, den Eustach
Dalda nicht zu besteigen gewagt hatte. Wie er zitternd, Feuer durch und durch,
von dem schaumbedeckten Tiere sprang, hatte er zum ersten mal in des Gefährten
Augen einen unklaren Blick bemerkt, und mitten im Triumph hatte er die Em¬
pfindung gehabt, als sei etwas beklagenswertes geschehen.

Aber auch Dalda erinnerte sich noch des stolzen Lächelns, mit dem ihm
Georg damals entgegengetreten war. Dazwischen lagen Jahre, die ihre Wege
weit auseinandergeführt hatte".

Der Graf war ein überaus liebenswürdiger Gesellschafter. Es schien jedem
einzelnen, als ob gerade er sich mit dem Gaste besonders gut vertrage. Dalda
zog gleichsam für jeden ein andres Wesen an. Der Hofmarschall vor allen
war über den Besuch erfreut und wurde von Stunde zu Stunde heiterer. Es


Ans der Lhronik derer von Riffelshanscn,

Krückstocke, daß er anders war als sie? Aber da war ein lahmer Schneider-
geselle in Rummelshausen, der fehlte bei keinem lustigen Feste und war immer
einer der Lustigsten.

Holla! Friedrich der Große nach der Schlacht bei Kollin! wurde er
plötzlich angeredet. Das Schlachtenverlieren ist sonst auch Ihre Art nicht, Herr
Nachbar von Siebenhofcn.

Es war ein schlanker, jugendlicher Mann in kurzem, knappen Pelz, der
jetzt vor Georg stand und sich mit Grazie zu ihm neigte. Aber obwohl An¬
rede und Haltung durchaus entgegenkommend waren, begegneten seine halb¬
geöffneten Augen denen Georgs mit Zurückhaltung.

Ah, Graf Da'ita? sagte Georg kühl. Sind Sie wieder in Moosdorf?

Dutda zog einen Sessel heran und nahm neben Georg Platz.

Auf unbestimmte Zeit — mein Sanssouci. Aber Sie als Familienvnkel?
Welch reizendes olmugswenk as äooor!itiou8, teuerster Einsiedler. Ihr Bruder
sieht freilich recht mitgenommen aus. Aber die Baronin! Welch poetisch an¬
gehauchte Schönheit. Sie hat etwas von den Madonnen Raffaels in der
unbewußten Hoheit ihres Wesens.

Unangenehm berührt, zog Georg die Brauen zusammen. Plötzlich erinnerte
er sich, daß des Moosdorfers halbverschleierte Augen unter den langen Wimpern
hervor außerordentlich fein zu beobachten pflegten. Er sah rasch auf. Richtig,
einen forschenden Blick hatte er noch aufgefangen.

Sie kennen die Heiratsgeschichte ihres Vaters?

Da'tda nickte. Ich bitte Sie! Und wenn Ihr Bruder die Hofmarschallin
selbst von der Bühne geholt hätte, eine solche Erscheinung ist ein Adelsbrief,
der über jeden andern geht.

Georg stand auf und reichte dem Nachbar die Hand, aber es war ein
Thenterhündedruck. Diese beiden gleichaltrigen Männer konnten, ohne einander
Komödie vorzuspielen, nicht mit einander verkehren. Die Bekanntschaft datirte
von den Kinderjahren. Georg schien es unendlich lange her, daß er noch im
Vollbesitz gesunder Gliedmaßen in Moosdorf den Hengst bezwang, den Eustach
Dalda nicht zu besteigen gewagt hatte. Wie er zitternd, Feuer durch und durch,
von dem schaumbedeckten Tiere sprang, hatte er zum ersten mal in des Gefährten
Augen einen unklaren Blick bemerkt, und mitten im Triumph hatte er die Em¬
pfindung gehabt, als sei etwas beklagenswertes geschehen.

Aber auch Dalda erinnerte sich noch des stolzen Lächelns, mit dem ihm
Georg damals entgegengetreten war. Dazwischen lagen Jahre, die ihre Wege
weit auseinandergeführt hatte».

Der Graf war ein überaus liebenswürdiger Gesellschafter. Es schien jedem
einzelnen, als ob gerade er sich mit dem Gaste besonders gut vertrage. Dalda
zog gleichsam für jeden ein andres Wesen an. Der Hofmarschall vor allen
war über den Besuch erfreut und wurde von Stunde zu Stunde heiterer. Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/482>, abgerufen am 22.07.2024.