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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Noch einmal die Anträge Hammerstein.

Kulte nur anders verteilt werden, nach der Seelenzahl von 62:36? wobei die
Katholiken verlören, was die Evangelischen gewännen? Welch ein Geschrei
würde das werden über Verletzung "heiliger Verträge," obwohl es sonst fest¬
steht, daß Staatsgesetze durch andre Staatsgesetze geändert werden können.
Wir glauben allerdings, daß dieser Weg der "ausgleichenden" Gerechtigkeit bei
uns jetzt nicht gangbar sei. Aber sehr interessant wäre es, zu sehen, wie sich
das Zentrum zu einer erhöhten Forderung für die evangelische Kirche stellte.
Weiter hat es keinen Zweck. Will man wirklich ausgleichen, so kommt man
um der Rücksicht auf Seelenzahl uicht wohl vorbei. Spaßhaft ist es nur, wenn
der eine behauptet, die katholische Kirche brauche mehr bei ihrer größern Fülle
von Kultushandlungen, der andre, sie bedürfe weniger wegen ihres Cölibats.
Noch spaßhaftere Ideen von dem Heranziehen der reichen Jesuiten werden besser
verschwiegen.

Viel tiefer greift der Hammersteinsche Antrag auf größere Freiheit der
evangelischen Kirche vom Staat. Schon dies ist auffallend, daß der Antrag
nicht deutlicher ist. Denn wir haben eine Einwirkung auf die Kirche seit drei¬
hundert Jahren, die sich von der des Staates wesentlich nicht unterscheidet. Der
König ist konstitutioneller Beherrscher des Staates und -- als human8 oxi-
sooxus -- uichtkvnstitutioueller Beherrscher der evangelischen Kirche in Preußen.
In andern deutschen Staaten ist es ähnlich. Man streitet sich noch darüber,
ob der Umstand, daß das evangelische Kircheuregimcnt im Reformatiouszeitalter
an die Städte und an die Landesfürsten gekommen ist, ein bloßer Notstand ge¬
wesen sei, oder ob es in der Natur der evangelischen Glaubensansicht liege, daß
diese Einrichtung der Kirchenpolitik sich gebildet hat. Wir sind der ersteren
Ansicht, und unsre Kirchenpolitik ist seit 1848 leise dahin gerichtet, daß sich der
Staat in Bezug auf die Landeskirche mehr der eigentlichen Negierung ent¬
schlage. Aber wir werden die Trennung der evangelischen Kirche von diesen
beiden Herrschaftsfaktoren ^ des Staates, L der Staatskirche, die in Ober¬
kirchenrat und Prvvinzialkonsistorium erscheint, nicht erleben. Von dem Mi¬
nisterium Falk ist allerdings iji ersterer Beziehung einiges Gute geschehen,
wofür die Dankbarkeit sich bisher nicht recht deutlich ciusgesprocheu hat. In
dem Gesetz vom 3. Juni 1876 wird immer noch in Z 22 und 23 eine Reihe
von staatlichen Rechten aufgezählt. Allgemein gilt der Grundsatz, daß kirchliche
besetze nur so weit rechtsgiltig sind, als sie mit einem Staatsgesetze nicht im
Widersprüche stehen (Z 13). Bevor ein beschlossenes Gesetz kirchlicher Art dem
Könige zur Sanktion vorgelegt wird, ist erst durch eine Erklärung des Steines-
"nnisteriums (uicht bloß des Kultusministers) festzustellen, daß gegen das
Gesetz von Staatswegc" nichts zu erinnern ist. Das ist den Urhebern der
Hammersteinschen Anträge besonders schmerzlich, daß man den kirchlichen Ent¬
schlüssen nicht den direkten Zugang zum Könige als Kirchenlenker verstattet.
Thatsächlich ist es ja anders; bevor das Ministerium vou den Beschlüssen der


Noch einmal die Anträge Hammerstein.

Kulte nur anders verteilt werden, nach der Seelenzahl von 62:36? wobei die
Katholiken verlören, was die Evangelischen gewännen? Welch ein Geschrei
würde das werden über Verletzung „heiliger Verträge," obwohl es sonst fest¬
steht, daß Staatsgesetze durch andre Staatsgesetze geändert werden können.
Wir glauben allerdings, daß dieser Weg der „ausgleichenden" Gerechtigkeit bei
uns jetzt nicht gangbar sei. Aber sehr interessant wäre es, zu sehen, wie sich
das Zentrum zu einer erhöhten Forderung für die evangelische Kirche stellte.
Weiter hat es keinen Zweck. Will man wirklich ausgleichen, so kommt man
um der Rücksicht auf Seelenzahl uicht wohl vorbei. Spaßhaft ist es nur, wenn
der eine behauptet, die katholische Kirche brauche mehr bei ihrer größern Fülle
von Kultushandlungen, der andre, sie bedürfe weniger wegen ihres Cölibats.
Noch spaßhaftere Ideen von dem Heranziehen der reichen Jesuiten werden besser
verschwiegen.

Viel tiefer greift der Hammersteinsche Antrag auf größere Freiheit der
evangelischen Kirche vom Staat. Schon dies ist auffallend, daß der Antrag
nicht deutlicher ist. Denn wir haben eine Einwirkung auf die Kirche seit drei¬
hundert Jahren, die sich von der des Staates wesentlich nicht unterscheidet. Der
König ist konstitutioneller Beherrscher des Staates und — als human8 oxi-
sooxus — uichtkvnstitutioueller Beherrscher der evangelischen Kirche in Preußen.
In andern deutschen Staaten ist es ähnlich. Man streitet sich noch darüber,
ob der Umstand, daß das evangelische Kircheuregimcnt im Reformatiouszeitalter
an die Städte und an die Landesfürsten gekommen ist, ein bloßer Notstand ge¬
wesen sei, oder ob es in der Natur der evangelischen Glaubensansicht liege, daß
diese Einrichtung der Kirchenpolitik sich gebildet hat. Wir sind der ersteren
Ansicht, und unsre Kirchenpolitik ist seit 1848 leise dahin gerichtet, daß sich der
Staat in Bezug auf die Landeskirche mehr der eigentlichen Negierung ent¬
schlage. Aber wir werden die Trennung der evangelischen Kirche von diesen
beiden Herrschaftsfaktoren ^ des Staates, L der Staatskirche, die in Ober¬
kirchenrat und Prvvinzialkonsistorium erscheint, nicht erleben. Von dem Mi¬
nisterium Falk ist allerdings iji ersterer Beziehung einiges Gute geschehen,
wofür die Dankbarkeit sich bisher nicht recht deutlich ciusgesprocheu hat. In
dem Gesetz vom 3. Juni 1876 wird immer noch in Z 22 und 23 eine Reihe
von staatlichen Rechten aufgezählt. Allgemein gilt der Grundsatz, daß kirchliche
besetze nur so weit rechtsgiltig sind, als sie mit einem Staatsgesetze nicht im
Widersprüche stehen (Z 13). Bevor ein beschlossenes Gesetz kirchlicher Art dem
Könige zur Sanktion vorgelegt wird, ist erst durch eine Erklärung des Steines-
»nnisteriums (uicht bloß des Kultusministers) festzustellen, daß gegen das
Gesetz von Staatswegc» nichts zu erinnern ist. Das ist den Urhebern der
Hammersteinschen Anträge besonders schmerzlich, daß man den kirchlichen Ent¬
schlüssen nicht den direkten Zugang zum Könige als Kirchenlenker verstattet.
Thatsächlich ist es ja anders; bevor das Ministerium vou den Beschlüssen der


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[0475] Noch einmal die Anträge Hammerstein. Kulte nur anders verteilt werden, nach der Seelenzahl von 62:36? wobei die Katholiken verlören, was die Evangelischen gewännen? Welch ein Geschrei würde das werden über Verletzung „heiliger Verträge," obwohl es sonst fest¬ steht, daß Staatsgesetze durch andre Staatsgesetze geändert werden können. Wir glauben allerdings, daß dieser Weg der „ausgleichenden" Gerechtigkeit bei uns jetzt nicht gangbar sei. Aber sehr interessant wäre es, zu sehen, wie sich das Zentrum zu einer erhöhten Forderung für die evangelische Kirche stellte. Weiter hat es keinen Zweck. Will man wirklich ausgleichen, so kommt man um der Rücksicht auf Seelenzahl uicht wohl vorbei. Spaßhaft ist es nur, wenn der eine behauptet, die katholische Kirche brauche mehr bei ihrer größern Fülle von Kultushandlungen, der andre, sie bedürfe weniger wegen ihres Cölibats. Noch spaßhaftere Ideen von dem Heranziehen der reichen Jesuiten werden besser verschwiegen. Viel tiefer greift der Hammersteinsche Antrag auf größere Freiheit der evangelischen Kirche vom Staat. Schon dies ist auffallend, daß der Antrag nicht deutlicher ist. Denn wir haben eine Einwirkung auf die Kirche seit drei¬ hundert Jahren, die sich von der des Staates wesentlich nicht unterscheidet. Der König ist konstitutioneller Beherrscher des Staates und — als human8 oxi- sooxus — uichtkvnstitutioueller Beherrscher der evangelischen Kirche in Preußen. In andern deutschen Staaten ist es ähnlich. Man streitet sich noch darüber, ob der Umstand, daß das evangelische Kircheuregimcnt im Reformatiouszeitalter an die Städte und an die Landesfürsten gekommen ist, ein bloßer Notstand ge¬ wesen sei, oder ob es in der Natur der evangelischen Glaubensansicht liege, daß diese Einrichtung der Kirchenpolitik sich gebildet hat. Wir sind der ersteren Ansicht, und unsre Kirchenpolitik ist seit 1848 leise dahin gerichtet, daß sich der Staat in Bezug auf die Landeskirche mehr der eigentlichen Negierung ent¬ schlage. Aber wir werden die Trennung der evangelischen Kirche von diesen beiden Herrschaftsfaktoren ^ des Staates, L der Staatskirche, die in Ober¬ kirchenrat und Prvvinzialkonsistorium erscheint, nicht erleben. Von dem Mi¬ nisterium Falk ist allerdings iji ersterer Beziehung einiges Gute geschehen, wofür die Dankbarkeit sich bisher nicht recht deutlich ciusgesprocheu hat. In dem Gesetz vom 3. Juni 1876 wird immer noch in Z 22 und 23 eine Reihe von staatlichen Rechten aufgezählt. Allgemein gilt der Grundsatz, daß kirchliche besetze nur so weit rechtsgiltig sind, als sie mit einem Staatsgesetze nicht im Widersprüche stehen (Z 13). Bevor ein beschlossenes Gesetz kirchlicher Art dem Könige zur Sanktion vorgelegt wird, ist erst durch eine Erklärung des Steines- »nnisteriums (uicht bloß des Kultusministers) festzustellen, daß gegen das Gesetz von Staatswegc» nichts zu erinnern ist. Das ist den Urhebern der Hammersteinschen Anträge besonders schmerzlich, daß man den kirchlichen Ent¬ schlüssen nicht den direkten Zugang zum Könige als Kirchenlenker verstattet. Thatsächlich ist es ja anders; bevor das Ministerium vou den Beschlüssen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/475>, abgerufen am 24.08.2024.