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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

Ließe sich der Produktion wenigstens zeitweise im Großen Einhalt gebieten,
so könnte auch dem Übel zeitweise abgeholfen werden. Allein kein verständiger
Politiker wird sich dem Gedanken hingeben, daß es Mittel zu diesem Zwecke
gebe, welche auf die Dauer wirksam sein könnten. Der gütererzeugende Arbeits¬
drang der Menschen ist eine Flut, die sich uicht hemmen läßt, denn die Arbeit
ist die praktische Bethätigung alles Wissens und Könnens, jeder geistigen und
körperlichen Kraft und Fähigkeit der Menschen.

Es giebt freilich eine Schule, welche glaubt, der Überproduktion durch Ab¬
wehr der Mitbcwerbnng des Auslandes, durch Schutzzölle steuern zu können.
Allein logischerweise wären doch nur Prohibitivzölle, nicht bloße Schutzzölle,
zu diesem Zwecke dienlich, und solche wagen selbst Fanatiker uicht mehr zu em¬
pfehlen. Man weiß, daß das Ausland mit gleicher Münze zahlen, daß der
Absatz ins Ausland, auf den doch niemand verzichten mag, zerstört werden würde.
Wenn es ein charakteristisches Kennzeichen sür unsre Zeit giebt, so ist es der Trieb
der gesamten Kulturwelt, Raum und Zeit, diese größten Hemmnisse des mensch¬
lichen Könnens, zu überwinden. Dieser Trieb wird sich nicht hemmen lassen,
es giebt keine Macht, die groß genug wäre, dem Rade in die Speichen zu
greifen, welches die Kulturgeschichte bewegt. Es hat keinen Sinn, daß wir
Millionen der Durchstechung des Gotthard opfern und dann den Zudrang
italienischer Waaren verhindern oder selbst nur erschweren.

Jede bewußte Handelspolitik ist auf Erweiterung des Absatzes gerichtet,
um die Produktion zu steigern oder der Überproduktion zu begegnen. Selbst
wenn sich in fünfzig oder in mehr oder weniger Jahren der auswärtige
Absatz so gesteigert haben sollte, daß er die ganze heutige Überproduktion auf¬
zunehmen imstande wäre, so würde doch in der Zwischenzeit eine neue Über¬
produktion entstanden sein, welche für den sozialen Körper dieselben Folgen hätte
wie die gegenwärtige. Denn nicht nur ist es kaum zweifelhaft, daß die gütcr-
erzengende Kraft der Kulturvölker unendlicher Steigerung fähig sei, so lange
die Volkszahl in der bisherigen Weise wächst und die Thätigkeit der Menschen
nicht erlahmt, sondern es ist auch gewiß, daß immer neue Völker zu Kultur¬
völkern werden und mit ihren Gütern in den allgemeinen Mitbewerb treten
werden. So bleibt es denn wahrscheinlich, daß auf diesem Wege, mit diesen
Mitteln der Krebsschaden der Überproduktion und das damit verbundene Massen¬
elend niemals überwunden werden kann.

Der Menschenfreund und Sozialpolitiker schaut daher nach andern Mitteln
und Wegen um. Er wendet sein Auge von dem auswärtigen Absätze als
einem wirksamen Heilmittel ab und betrachtet die Verhältnisse im Innern des
Landes. Er findet, daß von der gesamten Einwohnerschaft etwa 80 Prozent
(Lassalle behauptete bekanntlich 98 Prozent) abgesehen von einem kärglichen
Lebensunterhalte fast von jeder weitern Konsumtion so gut wie ausgeschlossen
sind. Wenn nur ein Teil dieser Massen in eiuen bessern Zustand erhoben


Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

Ließe sich der Produktion wenigstens zeitweise im Großen Einhalt gebieten,
so könnte auch dem Übel zeitweise abgeholfen werden. Allein kein verständiger
Politiker wird sich dem Gedanken hingeben, daß es Mittel zu diesem Zwecke
gebe, welche auf die Dauer wirksam sein könnten. Der gütererzeugende Arbeits¬
drang der Menschen ist eine Flut, die sich uicht hemmen läßt, denn die Arbeit
ist die praktische Bethätigung alles Wissens und Könnens, jeder geistigen und
körperlichen Kraft und Fähigkeit der Menschen.

Es giebt freilich eine Schule, welche glaubt, der Überproduktion durch Ab¬
wehr der Mitbcwerbnng des Auslandes, durch Schutzzölle steuern zu können.
Allein logischerweise wären doch nur Prohibitivzölle, nicht bloße Schutzzölle,
zu diesem Zwecke dienlich, und solche wagen selbst Fanatiker uicht mehr zu em¬
pfehlen. Man weiß, daß das Ausland mit gleicher Münze zahlen, daß der
Absatz ins Ausland, auf den doch niemand verzichten mag, zerstört werden würde.
Wenn es ein charakteristisches Kennzeichen sür unsre Zeit giebt, so ist es der Trieb
der gesamten Kulturwelt, Raum und Zeit, diese größten Hemmnisse des mensch¬
lichen Könnens, zu überwinden. Dieser Trieb wird sich nicht hemmen lassen,
es giebt keine Macht, die groß genug wäre, dem Rade in die Speichen zu
greifen, welches die Kulturgeschichte bewegt. Es hat keinen Sinn, daß wir
Millionen der Durchstechung des Gotthard opfern und dann den Zudrang
italienischer Waaren verhindern oder selbst nur erschweren.

Jede bewußte Handelspolitik ist auf Erweiterung des Absatzes gerichtet,
um die Produktion zu steigern oder der Überproduktion zu begegnen. Selbst
wenn sich in fünfzig oder in mehr oder weniger Jahren der auswärtige
Absatz so gesteigert haben sollte, daß er die ganze heutige Überproduktion auf¬
zunehmen imstande wäre, so würde doch in der Zwischenzeit eine neue Über¬
produktion entstanden sein, welche für den sozialen Körper dieselben Folgen hätte
wie die gegenwärtige. Denn nicht nur ist es kaum zweifelhaft, daß die gütcr-
erzengende Kraft der Kulturvölker unendlicher Steigerung fähig sei, so lange
die Volkszahl in der bisherigen Weise wächst und die Thätigkeit der Menschen
nicht erlahmt, sondern es ist auch gewiß, daß immer neue Völker zu Kultur¬
völkern werden und mit ihren Gütern in den allgemeinen Mitbewerb treten
werden. So bleibt es denn wahrscheinlich, daß auf diesem Wege, mit diesen
Mitteln der Krebsschaden der Überproduktion und das damit verbundene Massen¬
elend niemals überwunden werden kann.

Der Menschenfreund und Sozialpolitiker schaut daher nach andern Mitteln
und Wegen um. Er wendet sein Auge von dem auswärtigen Absätze als
einem wirksamen Heilmittel ab und betrachtet die Verhältnisse im Innern des
Landes. Er findet, daß von der gesamten Einwohnerschaft etwa 80 Prozent
(Lassalle behauptete bekanntlich 98 Prozent) abgesehen von einem kärglichen
Lebensunterhalte fast von jeder weitern Konsumtion so gut wie ausgeschlossen
sind. Wenn nur ein Teil dieser Massen in eiuen bessern Zustand erhoben


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[0458] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. Ließe sich der Produktion wenigstens zeitweise im Großen Einhalt gebieten, so könnte auch dem Übel zeitweise abgeholfen werden. Allein kein verständiger Politiker wird sich dem Gedanken hingeben, daß es Mittel zu diesem Zwecke gebe, welche auf die Dauer wirksam sein könnten. Der gütererzeugende Arbeits¬ drang der Menschen ist eine Flut, die sich uicht hemmen läßt, denn die Arbeit ist die praktische Bethätigung alles Wissens und Könnens, jeder geistigen und körperlichen Kraft und Fähigkeit der Menschen. Es giebt freilich eine Schule, welche glaubt, der Überproduktion durch Ab¬ wehr der Mitbcwerbnng des Auslandes, durch Schutzzölle steuern zu können. Allein logischerweise wären doch nur Prohibitivzölle, nicht bloße Schutzzölle, zu diesem Zwecke dienlich, und solche wagen selbst Fanatiker uicht mehr zu em¬ pfehlen. Man weiß, daß das Ausland mit gleicher Münze zahlen, daß der Absatz ins Ausland, auf den doch niemand verzichten mag, zerstört werden würde. Wenn es ein charakteristisches Kennzeichen sür unsre Zeit giebt, so ist es der Trieb der gesamten Kulturwelt, Raum und Zeit, diese größten Hemmnisse des mensch¬ lichen Könnens, zu überwinden. Dieser Trieb wird sich nicht hemmen lassen, es giebt keine Macht, die groß genug wäre, dem Rade in die Speichen zu greifen, welches die Kulturgeschichte bewegt. Es hat keinen Sinn, daß wir Millionen der Durchstechung des Gotthard opfern und dann den Zudrang italienischer Waaren verhindern oder selbst nur erschweren. Jede bewußte Handelspolitik ist auf Erweiterung des Absatzes gerichtet, um die Produktion zu steigern oder der Überproduktion zu begegnen. Selbst wenn sich in fünfzig oder in mehr oder weniger Jahren der auswärtige Absatz so gesteigert haben sollte, daß er die ganze heutige Überproduktion auf¬ zunehmen imstande wäre, so würde doch in der Zwischenzeit eine neue Über¬ produktion entstanden sein, welche für den sozialen Körper dieselben Folgen hätte wie die gegenwärtige. Denn nicht nur ist es kaum zweifelhaft, daß die gütcr- erzengende Kraft der Kulturvölker unendlicher Steigerung fähig sei, so lange die Volkszahl in der bisherigen Weise wächst und die Thätigkeit der Menschen nicht erlahmt, sondern es ist auch gewiß, daß immer neue Völker zu Kultur¬ völkern werden und mit ihren Gütern in den allgemeinen Mitbewerb treten werden. So bleibt es denn wahrscheinlich, daß auf diesem Wege, mit diesen Mitteln der Krebsschaden der Überproduktion und das damit verbundene Massen¬ elend niemals überwunden werden kann. Der Menschenfreund und Sozialpolitiker schaut daher nach andern Mitteln und Wegen um. Er wendet sein Auge von dem auswärtigen Absätze als einem wirksamen Heilmittel ab und betrachtet die Verhältnisse im Innern des Landes. Er findet, daß von der gesamten Einwohnerschaft etwa 80 Prozent (Lassalle behauptete bekanntlich 98 Prozent) abgesehen von einem kärglichen Lebensunterhalte fast von jeder weitern Konsumtion so gut wie ausgeschlossen sind. Wenn nur ein Teil dieser Massen in eiuen bessern Zustand erhoben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/458>, abgerufen am 23.07.2024.