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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

praktisch wirken wollen, möge es verziehen werden, wenn wir es ablehnen, mit
in den Luftballon einzusteigen, den der Versasser aufsteigen läßt.

Das Buch Stamms ist wohl zehn Jahre früher erschienen, als das auf
das nämliche Ziel steuernde Werk: Armut und Fortschritt des Amerikaners
Henry George, und es mag daher die Frage der Priorität zu Gunsten
Stamms entschieden werden. Aber niemand wird die Überlegenheit des Ameri¬
kaners verkennen an philosophischer Tiefe, an Würde seiner doch höchst populären
Sprache, an Vorurteilslosigkeit und an Kühnheit, womit er, der unzweifelhafte
Demokrat, Atheismus, Materialismus und Darwinismus nicht weniger als
Malthus und Ricardo bekämpft. Sein Werk, welches ein vollständiges System
der Sozialwissenschaft enthält, mußte mit feiner wunderbaren Beredsamkeit, die
uns auch da mit fortreißt, wo wir nicht überzeugt sind, mächtig auf die öffentliche
Meinung wirken, und war wohl geeignet, wie es in England geschehen ist,
förmlich Schule zu machen.

Aber es ist nicht meine Absicht, die Werke von Stamm und George einer
näheren Erörterung zu unterziehen. Es könnte dies nicht geschehen, ohne auch
auf die Arbeiten andrer Gelehrten einzugehen, welche wie Gneist, Schäffle,
Rusland und Miaskowsky u. a., wenn auch nicht die Eigentumsfrage, so doch
die Verteilungsweise von Grund und Boden als eine wesentliche Quelle der
Armut erkannt und sehr schätzbare Arbeiten darüber geliefert haben. Der Grund
und Boden gilt mit Recht als die eigentlichste Grundlage des Staates und der
Gesellschaft, er hat jedenfalls die Bestimmung, das Volk zu ernähren, und ein
großer Teil der Menschen ist bei dem Anbau desselben beschäftigt -- der Grund
und Boden muß daher ohne Zweifel eine sehr hervorragende Stelle in der
Sozialpolitik einnehmen und seine Bedeutung eine immer größere Würdigung
finden. Es sei mir daher gestattet, die Gründung der "Landliga" zum Anlaß
einer Reihe von Betrachtungen über diesen Gegenstand zu nehmen.

1.

"Die Landwirtschaft leidet not." Wenn wir diesen Satz einer Prüfung
unterwerfen, so bemerken wir zunächst, daß Landwirtschaft ein zusammengesetztes
Wort ist, zusammengesetzt aus Laud und Wirtschaft. Wir sehen auch sofort,
daß diese Bemerkung keine müßige etymvloge Spielerei ist, sondern daß in der
That Land, d. h. der Grund und Boden, und Wirtschaft, d. h. der Betrieb, die
Elemente der Landwirtschaft sind. Nun wird kein logischer Kopf bestreikn
können, daß wir bei der Untersuchung über den Notstand der Landwirtschaft
diese beiden Elemente auseinander halten, ein jedes für sich betrachten müssen,
auch daß ein drittes noch in besondre Betrachtung gezogen werden muß, nämlich
der Landwirt, d. h. der Aufwand für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt.

Man wird zugestehen müssen, daß von einem Notstände der Landwirtschaft
so lange nicht die Rede sein kann, als das Jahrescrträgnis eines Gutes die


Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

praktisch wirken wollen, möge es verziehen werden, wenn wir es ablehnen, mit
in den Luftballon einzusteigen, den der Versasser aufsteigen läßt.

Das Buch Stamms ist wohl zehn Jahre früher erschienen, als das auf
das nämliche Ziel steuernde Werk: Armut und Fortschritt des Amerikaners
Henry George, und es mag daher die Frage der Priorität zu Gunsten
Stamms entschieden werden. Aber niemand wird die Überlegenheit des Ameri¬
kaners verkennen an philosophischer Tiefe, an Würde seiner doch höchst populären
Sprache, an Vorurteilslosigkeit und an Kühnheit, womit er, der unzweifelhafte
Demokrat, Atheismus, Materialismus und Darwinismus nicht weniger als
Malthus und Ricardo bekämpft. Sein Werk, welches ein vollständiges System
der Sozialwissenschaft enthält, mußte mit feiner wunderbaren Beredsamkeit, die
uns auch da mit fortreißt, wo wir nicht überzeugt sind, mächtig auf die öffentliche
Meinung wirken, und war wohl geeignet, wie es in England geschehen ist,
förmlich Schule zu machen.

Aber es ist nicht meine Absicht, die Werke von Stamm und George einer
näheren Erörterung zu unterziehen. Es könnte dies nicht geschehen, ohne auch
auf die Arbeiten andrer Gelehrten einzugehen, welche wie Gneist, Schäffle,
Rusland und Miaskowsky u. a., wenn auch nicht die Eigentumsfrage, so doch
die Verteilungsweise von Grund und Boden als eine wesentliche Quelle der
Armut erkannt und sehr schätzbare Arbeiten darüber geliefert haben. Der Grund
und Boden gilt mit Recht als die eigentlichste Grundlage des Staates und der
Gesellschaft, er hat jedenfalls die Bestimmung, das Volk zu ernähren, und ein
großer Teil der Menschen ist bei dem Anbau desselben beschäftigt — der Grund
und Boden muß daher ohne Zweifel eine sehr hervorragende Stelle in der
Sozialpolitik einnehmen und seine Bedeutung eine immer größere Würdigung
finden. Es sei mir daher gestattet, die Gründung der „Landliga" zum Anlaß
einer Reihe von Betrachtungen über diesen Gegenstand zu nehmen.

1.

„Die Landwirtschaft leidet not." Wenn wir diesen Satz einer Prüfung
unterwerfen, so bemerken wir zunächst, daß Landwirtschaft ein zusammengesetztes
Wort ist, zusammengesetzt aus Laud und Wirtschaft. Wir sehen auch sofort,
daß diese Bemerkung keine müßige etymvloge Spielerei ist, sondern daß in der
That Land, d. h. der Grund und Boden, und Wirtschaft, d. h. der Betrieb, die
Elemente der Landwirtschaft sind. Nun wird kein logischer Kopf bestreikn
können, daß wir bei der Untersuchung über den Notstand der Landwirtschaft
diese beiden Elemente auseinander halten, ein jedes für sich betrachten müssen,
auch daß ein drittes noch in besondre Betrachtung gezogen werden muß, nämlich
der Landwirt, d. h. der Aufwand für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt.

Man wird zugestehen müssen, daß von einem Notstände der Landwirtschaft
so lange nicht die Rede sein kann, als das Jahrescrträgnis eines Gutes die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/450>, abgerufen am 22.07.2024.