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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Risfelshausen.

Wegs ernüchtern. Im Gegenteil, wenn die Stimmen seiner Rüsseltiere an das
der Muse lauschende Ohr drangen, so erfüllte ihn der Gedanke an zukünftige
Wurst- und Schinkenfreuden mit doppelter Schaffenslust.

Als der Niffelshausensche Schlitten vor dem grünangestrichenen Thore der
Lehmmauer hielt und Georg sich dnrch Peitschenknall anmeldete, sprang Jeremias
Gotthelf eilig herbei, um seinen Gästen den Eingang in sein Heiligtum zu öffnen.
Diese vernahmen, wie er unter Murmeln und Krächzen an dem Querbalken
hernmarbeitete. der die Thür verschloß. Als sie sich endlich aufthat, sprang
er rasch und behende zur Seite.

Herr Dusele hatte sich heute einen Feiertag gegeben und befand sich daher
nicht in Dienstkleidung; er trug ein Röckchen von unbestimmtem Grau, welches
den Eindruck machte, als sei es durch eine zweckmäßige Wäsche in jeder Be¬
ziehung zu kurz gekommen. Die dürren Arme waren unterhalb des Ärmels mit
einem wollenen Strickwerk bekleidet, das in alle" Negenbogenfarben schimmerte;
um den Hals trug er ein ähnliches Erzeugnis weiblicher Kunstfertigkeit, dessen
lose Schleife den Träger fast einem gewissen Jngendbilde Lamartines ähnlich
machte. Das Gesicht Duseles hätte man ein Vogclgesicht nennen können, eine
spitze, gebogene Nase, unter einer zurücktretenden Stirn runde, muntere Augen,
die von einer mächtigen Tolle aschblonden Haares überschattet wurden. Dusele
lief neben dem Schlitten her durch den Hof und hüpfte, noch vor diesem an
der Hausthür anlangend, auf die oberste Stufe der kleinen Freitreppe. Dort
stellte er sich in Positur, schwang die Arme wie ein Hahn, der die Flügel
spreizt, und rief in leisem, aber scharfem Tone: Grüße Sie Gott, grüße Sie
Gott, Herr Baron! Wen bringen Sie uns denn da mit? Das ist wohl gar
Fräulein Braut? Ach wie gar sehr erfreulich, daß --

Aber bester Herr Oberförster, ich bitte Sie! unterbrach ihn Georg gereizt,
Hütten Sie mich nur zu Worte kommen lassen, so würde ich Ihnen bereits --

Bitte, bitte, mein lieber Herr Baron, unter uns alten Freunden kann doch
von Zeremonien nicht die Rede sein! Also schon verheiratet! I, i! Ich gra-
tulire, ich grcitulire! ^

So hören Sie doch nur!

Gewiß, gewiß, verstehe schon. Und bei diesem kalten Wetter obendrein!
Nun, so treten Sie doch in das Hans. Ich habe Sie gewissermaßen erwartet --
erwartet, Herr Baron. Freilich so -- hin hin --

Dusele machte ein unbeschreiblich schlaues Gesicht, wobei er das eine runde
Auge aufriß und das andre fest zusammenkniff. Trotz seiner unverkennbaren
Gutmütigkeit war der bewegliche kleine Mann etwas ungemütlich. Er sprach
w einem fort, während er den Gästen beim Absteigen behilflich war, und zwar
sang er seine Sätze in einem sonderbaren Tonfall ab, der zuerst lebhaft klang,
durch die beständige Wiederholung jedoch ermüdete. Auf sein schrilles Rufen
erschien ans einem der Stallgebäude ein breitschulteriger Knecht mit geflickten


Aus der Lhronik derer von Risfelshausen.

Wegs ernüchtern. Im Gegenteil, wenn die Stimmen seiner Rüsseltiere an das
der Muse lauschende Ohr drangen, so erfüllte ihn der Gedanke an zukünftige
Wurst- und Schinkenfreuden mit doppelter Schaffenslust.

Als der Niffelshausensche Schlitten vor dem grünangestrichenen Thore der
Lehmmauer hielt und Georg sich dnrch Peitschenknall anmeldete, sprang Jeremias
Gotthelf eilig herbei, um seinen Gästen den Eingang in sein Heiligtum zu öffnen.
Diese vernahmen, wie er unter Murmeln und Krächzen an dem Querbalken
hernmarbeitete. der die Thür verschloß. Als sie sich endlich aufthat, sprang
er rasch und behende zur Seite.

Herr Dusele hatte sich heute einen Feiertag gegeben und befand sich daher
nicht in Dienstkleidung; er trug ein Röckchen von unbestimmtem Grau, welches
den Eindruck machte, als sei es durch eine zweckmäßige Wäsche in jeder Be¬
ziehung zu kurz gekommen. Die dürren Arme waren unterhalb des Ärmels mit
einem wollenen Strickwerk bekleidet, das in alle» Negenbogenfarben schimmerte;
um den Hals trug er ein ähnliches Erzeugnis weiblicher Kunstfertigkeit, dessen
lose Schleife den Träger fast einem gewissen Jngendbilde Lamartines ähnlich
machte. Das Gesicht Duseles hätte man ein Vogclgesicht nennen können, eine
spitze, gebogene Nase, unter einer zurücktretenden Stirn runde, muntere Augen,
die von einer mächtigen Tolle aschblonden Haares überschattet wurden. Dusele
lief neben dem Schlitten her durch den Hof und hüpfte, noch vor diesem an
der Hausthür anlangend, auf die oberste Stufe der kleinen Freitreppe. Dort
stellte er sich in Positur, schwang die Arme wie ein Hahn, der die Flügel
spreizt, und rief in leisem, aber scharfem Tone: Grüße Sie Gott, grüße Sie
Gott, Herr Baron! Wen bringen Sie uns denn da mit? Das ist wohl gar
Fräulein Braut? Ach wie gar sehr erfreulich, daß —

Aber bester Herr Oberförster, ich bitte Sie! unterbrach ihn Georg gereizt,
Hütten Sie mich nur zu Worte kommen lassen, so würde ich Ihnen bereits —

Bitte, bitte, mein lieber Herr Baron, unter uns alten Freunden kann doch
von Zeremonien nicht die Rede sein! Also schon verheiratet! I, i! Ich gra-
tulire, ich grcitulire! ^

So hören Sie doch nur!

Gewiß, gewiß, verstehe schon. Und bei diesem kalten Wetter obendrein!
Nun, so treten Sie doch in das Hans. Ich habe Sie gewissermaßen erwartet —
erwartet, Herr Baron. Freilich so — hin hin —

Dusele machte ein unbeschreiblich schlaues Gesicht, wobei er das eine runde
Auge aufriß und das andre fest zusammenkniff. Trotz seiner unverkennbaren
Gutmütigkeit war der bewegliche kleine Mann etwas ungemütlich. Er sprach
w einem fort, während er den Gästen beim Absteigen behilflich war, und zwar
sang er seine Sätze in einem sonderbaren Tonfall ab, der zuerst lebhaft klang,
durch die beständige Wiederholung jedoch ermüdete. Auf sein schrilles Rufen
erschien ans einem der Stallgebäude ein breitschulteriger Knecht mit geflickten


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[0435] Aus der Lhronik derer von Risfelshausen. Wegs ernüchtern. Im Gegenteil, wenn die Stimmen seiner Rüsseltiere an das der Muse lauschende Ohr drangen, so erfüllte ihn der Gedanke an zukünftige Wurst- und Schinkenfreuden mit doppelter Schaffenslust. Als der Niffelshausensche Schlitten vor dem grünangestrichenen Thore der Lehmmauer hielt und Georg sich dnrch Peitschenknall anmeldete, sprang Jeremias Gotthelf eilig herbei, um seinen Gästen den Eingang in sein Heiligtum zu öffnen. Diese vernahmen, wie er unter Murmeln und Krächzen an dem Querbalken hernmarbeitete. der die Thür verschloß. Als sie sich endlich aufthat, sprang er rasch und behende zur Seite. Herr Dusele hatte sich heute einen Feiertag gegeben und befand sich daher nicht in Dienstkleidung; er trug ein Röckchen von unbestimmtem Grau, welches den Eindruck machte, als sei es durch eine zweckmäßige Wäsche in jeder Be¬ ziehung zu kurz gekommen. Die dürren Arme waren unterhalb des Ärmels mit einem wollenen Strickwerk bekleidet, das in alle» Negenbogenfarben schimmerte; um den Hals trug er ein ähnliches Erzeugnis weiblicher Kunstfertigkeit, dessen lose Schleife den Träger fast einem gewissen Jngendbilde Lamartines ähnlich machte. Das Gesicht Duseles hätte man ein Vogclgesicht nennen können, eine spitze, gebogene Nase, unter einer zurücktretenden Stirn runde, muntere Augen, die von einer mächtigen Tolle aschblonden Haares überschattet wurden. Dusele lief neben dem Schlitten her durch den Hof und hüpfte, noch vor diesem an der Hausthür anlangend, auf die oberste Stufe der kleinen Freitreppe. Dort stellte er sich in Positur, schwang die Arme wie ein Hahn, der die Flügel spreizt, und rief in leisem, aber scharfem Tone: Grüße Sie Gott, grüße Sie Gott, Herr Baron! Wen bringen Sie uns denn da mit? Das ist wohl gar Fräulein Braut? Ach wie gar sehr erfreulich, daß — Aber bester Herr Oberförster, ich bitte Sie! unterbrach ihn Georg gereizt, Hütten Sie mich nur zu Worte kommen lassen, so würde ich Ihnen bereits — Bitte, bitte, mein lieber Herr Baron, unter uns alten Freunden kann doch von Zeremonien nicht die Rede sein! Also schon verheiratet! I, i! Ich gra- tulire, ich grcitulire! ^ So hören Sie doch nur! Gewiß, gewiß, verstehe schon. Und bei diesem kalten Wetter obendrein! Nun, so treten Sie doch in das Hans. Ich habe Sie gewissermaßen erwartet — erwartet, Herr Baron. Freilich so — hin hin — Dusele machte ein unbeschreiblich schlaues Gesicht, wobei er das eine runde Auge aufriß und das andre fest zusammenkniff. Trotz seiner unverkennbaren Gutmütigkeit war der bewegliche kleine Mann etwas ungemütlich. Er sprach w einem fort, während er den Gästen beim Absteigen behilflich war, und zwar sang er seine Sätze in einem sonderbaren Tonfall ab, der zuerst lebhaft klang, durch die beständige Wiederholung jedoch ermüdete. Auf sein schrilles Rufen erschien ans einem der Stallgebäude ein breitschulteriger Knecht mit geflickten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/435>, abgerufen am 03.07.2024.