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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Therese und Georg sahen indessen schweigend vor sich hin. Erstere hätte
viel darum gegeben, dieser Schlittenfahrt enthoben zu sein. Ihr wurde immer
unbehaglicher zu Mute.

Die Straße war von der Parkmauer abgebogen und zog in sanft ge¬
schwungener Linie durch das Dorf. Die Jngend, die eben den Morgcnunterricht
beendet hatte, kam lärmend und jubelnd aus der Schule; Knaben und Mädchen
warfen den störenden Ballast der Weisheit in Gestalt von Büchern und Tafeln
auf die nächste Treppenstufe, um sich nach Herzenslust mit Schnee zu bom-
bardiren.

Guten Morgen, Herr Baron, rief der vergnügte Chor, und Georg nickte
ihnen freundlich zu.

In dem weißen Hause dort, sagte er, wie um die Honneurs des Dorfes zu
machen, wohnt die alte Frau Müller, die du schon kennen wirst, da sie häufig
zum Flicken kommt.

Doch Therese mußte errötend bekennen, die Frau noch nicht gesehen zu
haben. Es schien kein Gespräch in Gaug kommen zu wollen. Sie sah ihn von
der Seite an. Die Pelzmütze, die seine Stirne bedeckte, gab wohl seinem Gesicht
diesen finstern Ausdruck! Sie wandte seufzend den Kopf.

Ein dicker Mann in blauem Kittel mit einem selbstbewußten Gesicht rief
dem Baron einige Worte zu, die Therese des dörfischen Idioms wegen nicht ver¬
stand. Georg lachte.

Was sagte er? fragte Therese.

Dummes Zeug; er meinte, es möchte meine eigne Frau sein, die ich führe.

Er hat recht, sagte Therese und fügte in Gedanken hinzu: Du würdest dann
eine angenehmere Fahrt haben.

Er zog die Zügel an und schwieg.

Bereits lag das Dorf hinter ihnen, und ringsum glitzerten Baum und
Strauch im weißen Schneemantel. Naben flogen krächzend neben dem Wege auf,
man konnte deutlich die Spur ihrer Krallen auf der glatten Fläche verfolgen.
Ein wenig abseits von der Fcchvstraße schlängelte sich der kleine Fluß hin, die
Ränder waren mit einer dünnen Eiskruste überzogen, bedeckt mit feinem Schnee,
neben dem das Wasser fast schwarz erschien.

Es war still ringsumher; nur die Pferde schnoben leise und bewegten mut¬
willig die Köpfe, daß die hellen Schlittenglocken lustig klangen. So ging es
schnell dahin über die winterliche Flur. Schon zeigten sich vor ihnen Dächer
und Bäume eines kleinen Ortes. Über den Häusern erhob sich dünner Rauch
zum klaren Himmel.

Ist dieser Ort schon Nummelshausen?

Ja. Du kennst das Städtchen noch nicht?

Nein.

Es ist ein freundlicher Ort; die Häuser reinlich; die Straßen breit. Sieh,


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Therese und Georg sahen indessen schweigend vor sich hin. Erstere hätte
viel darum gegeben, dieser Schlittenfahrt enthoben zu sein. Ihr wurde immer
unbehaglicher zu Mute.

Die Straße war von der Parkmauer abgebogen und zog in sanft ge¬
schwungener Linie durch das Dorf. Die Jngend, die eben den Morgcnunterricht
beendet hatte, kam lärmend und jubelnd aus der Schule; Knaben und Mädchen
warfen den störenden Ballast der Weisheit in Gestalt von Büchern und Tafeln
auf die nächste Treppenstufe, um sich nach Herzenslust mit Schnee zu bom-
bardiren.

Guten Morgen, Herr Baron, rief der vergnügte Chor, und Georg nickte
ihnen freundlich zu.

In dem weißen Hause dort, sagte er, wie um die Honneurs des Dorfes zu
machen, wohnt die alte Frau Müller, die du schon kennen wirst, da sie häufig
zum Flicken kommt.

Doch Therese mußte errötend bekennen, die Frau noch nicht gesehen zu
haben. Es schien kein Gespräch in Gaug kommen zu wollen. Sie sah ihn von
der Seite an. Die Pelzmütze, die seine Stirne bedeckte, gab wohl seinem Gesicht
diesen finstern Ausdruck! Sie wandte seufzend den Kopf.

Ein dicker Mann in blauem Kittel mit einem selbstbewußten Gesicht rief
dem Baron einige Worte zu, die Therese des dörfischen Idioms wegen nicht ver¬
stand. Georg lachte.

Was sagte er? fragte Therese.

Dummes Zeug; er meinte, es möchte meine eigne Frau sein, die ich führe.

Er hat recht, sagte Therese und fügte in Gedanken hinzu: Du würdest dann
eine angenehmere Fahrt haben.

Er zog die Zügel an und schwieg.

Bereits lag das Dorf hinter ihnen, und ringsum glitzerten Baum und
Strauch im weißen Schneemantel. Naben flogen krächzend neben dem Wege auf,
man konnte deutlich die Spur ihrer Krallen auf der glatten Fläche verfolgen.
Ein wenig abseits von der Fcchvstraße schlängelte sich der kleine Fluß hin, die
Ränder waren mit einer dünnen Eiskruste überzogen, bedeckt mit feinem Schnee,
neben dem das Wasser fast schwarz erschien.

Es war still ringsumher; nur die Pferde schnoben leise und bewegten mut¬
willig die Köpfe, daß die hellen Schlittenglocken lustig klangen. So ging es
schnell dahin über die winterliche Flur. Schon zeigten sich vor ihnen Dächer
und Bäume eines kleinen Ortes. Über den Häusern erhob sich dünner Rauch
zum klaren Himmel.

Ist dieser Ort schon Nummelshausen?

Ja. Du kennst das Städtchen noch nicht?

Nein.

Es ist ein freundlicher Ort; die Häuser reinlich; die Straßen breit. Sieh,


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[0431] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. Therese und Georg sahen indessen schweigend vor sich hin. Erstere hätte viel darum gegeben, dieser Schlittenfahrt enthoben zu sein. Ihr wurde immer unbehaglicher zu Mute. Die Straße war von der Parkmauer abgebogen und zog in sanft ge¬ schwungener Linie durch das Dorf. Die Jngend, die eben den Morgcnunterricht beendet hatte, kam lärmend und jubelnd aus der Schule; Knaben und Mädchen warfen den störenden Ballast der Weisheit in Gestalt von Büchern und Tafeln auf die nächste Treppenstufe, um sich nach Herzenslust mit Schnee zu bom- bardiren. Guten Morgen, Herr Baron, rief der vergnügte Chor, und Georg nickte ihnen freundlich zu. In dem weißen Hause dort, sagte er, wie um die Honneurs des Dorfes zu machen, wohnt die alte Frau Müller, die du schon kennen wirst, da sie häufig zum Flicken kommt. Doch Therese mußte errötend bekennen, die Frau noch nicht gesehen zu haben. Es schien kein Gespräch in Gaug kommen zu wollen. Sie sah ihn von der Seite an. Die Pelzmütze, die seine Stirne bedeckte, gab wohl seinem Gesicht diesen finstern Ausdruck! Sie wandte seufzend den Kopf. Ein dicker Mann in blauem Kittel mit einem selbstbewußten Gesicht rief dem Baron einige Worte zu, die Therese des dörfischen Idioms wegen nicht ver¬ stand. Georg lachte. Was sagte er? fragte Therese. Dummes Zeug; er meinte, es möchte meine eigne Frau sein, die ich führe. Er hat recht, sagte Therese und fügte in Gedanken hinzu: Du würdest dann eine angenehmere Fahrt haben. Er zog die Zügel an und schwieg. Bereits lag das Dorf hinter ihnen, und ringsum glitzerten Baum und Strauch im weißen Schneemantel. Naben flogen krächzend neben dem Wege auf, man konnte deutlich die Spur ihrer Krallen auf der glatten Fläche verfolgen. Ein wenig abseits von der Fcchvstraße schlängelte sich der kleine Fluß hin, die Ränder waren mit einer dünnen Eiskruste überzogen, bedeckt mit feinem Schnee, neben dem das Wasser fast schwarz erschien. Es war still ringsumher; nur die Pferde schnoben leise und bewegten mut¬ willig die Köpfe, daß die hellen Schlittenglocken lustig klangen. So ging es schnell dahin über die winterliche Flur. Schon zeigten sich vor ihnen Dächer und Bäume eines kleinen Ortes. Über den Häusern erhob sich dünner Rauch zum klaren Himmel. Ist dieser Ort schon Nummelshausen? Ja. Du kennst das Städtchen noch nicht? Nein. Es ist ein freundlicher Ort; die Häuser reinlich; die Straßen breit. Sieh,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/431>, abgerufen am 22.07.2024.