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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Ein zukünftiger Kriegsschauplatz.

karpathen bestehen aus einem breiten Rücken von 1000 Metern mittlerer Höhe, aus
dem sich an der Grenze zwischen Ungarn und der Bukowina Gipfel von 1800
bis 2000 Meter erheben. Dazwischen befinden sich Einsattelungen mit Pässen,
deren niedrigsten und wichtigsten die Straße von Vartseld nach Dukla in einer
Höhe von 302 Metern überschreitet. Weiter östlich folgen der Paß von Palvta,
8S0, der von Uzsvk, 889, und der von Körösmezö, 931 Meter hoch. Im
Norden lagern sich unter diesem Rücken zahlreiche Parallelketten von 700 bis
900 Meter Höhe, welche ein waldiges Hochland von sehr wildem Charakter dar¬
stelle". Podolien besitzt wenig, Volhynien dagegen sehr viel Wald. Zwischen
Bug und Weichsel streicht ein waldbedecktes Bergland hin, das von tiefen,
sumpfigen Thälern durchschnitten wird. Auch links von letzterem Strome be¬
gegnet man einem solchen Höhenzuge, der zwar niedriger als jener, aber insofern
ein Hindernis für militärische Bewegungen ist, als die Straßen hier den Cha¬
rakter langer Walddefileen tragen. Dieses südpvlnische Berg- und Hügelland
geht nach Norden hin in weite Flächen über, die einen erstaunlichen Wasser¬
reichtum zeigen, was namentlich von: östlichen Teile derselben, der Strecke
zwischen Bug und Narcw, gilt. Die hier entspringenden Flüsse sind schon bald
nach ihrem Ursprünge schiffbar, und daneben nehmen ungeheure Moräste einen
großen Teil dieses Gebietes ein. Dieselben beginnen mit den Prhpatsümpfen,
denen sich der Bialowieeer Sumpfwald, der Bohr- und Pulwybruch, der Netta-
und der Lykbruch anschließen, welche zusammen viele Quadratmeilen Landes be¬
decken und eine Terraiuform zeigen, wie sie sonst in Europa so ausgedehnt
nirgends vorkommt. Es ist der Landschaftstypus, der zur Zeit der Völker¬
wanderung in allen Flußniederungen des Nordens unsers Weltteils herrschte.
Charakteristisch für denselben ist namentlich der Bialowieeer Wald, der sich
zwischen den Quellgebietcn des Njemen, des Narew, der Pina und Jasiolda
über eine Fläche von achtzehn Quadratmeilen ausbreitet. Große Strecken dieses
Waldes, der an den nassen Stellen ans Erlen, an den trocknen aus Föhren
besteht, sind für den Menschenfuß im Sommer völlig unzugänglich, im Winter
gefährlich. Er enthält an seinem Saume nur das eine Dorf, nach dem er
genannt wird. Das Innere ist eine Wildnis, in welcher Schichten von Bäumen,
von Alter und Stürmen umgestürzt, allmählich verfaulen, und wo nur Eleun-
tiere, Wölfe, Bären und Auerochsen Hausen. Ein ähnliches Bild bietet der
Pulwybruch dar. Die hindurchführeudeu Wege sind schmale Defileen durch
Wald und Morast, und seine wenigen Dörfer haben um sich nur einen kleinen
freien Raum mit bestellten Ackern. Von selbst versteht sichs, daß diese Land¬
striche der Bewegung von Truppen und der Beobachtung des Feindes außer¬
ordentliche Hindernisse entgegenstellen. Kaum geringere Schwierigkeiten bietet
auf der linken Seite der Weichsel das Sumpfthal der Bzura und dasjenige der
obern Warthe, und ebenso ist die masurisch-lithauische Seenplatte, welche das
polnische Kriegstheater im Norden abschließt, mit ihren vielen Flüssen und ihrer


Ein zukünftiger Kriegsschauplatz.

karpathen bestehen aus einem breiten Rücken von 1000 Metern mittlerer Höhe, aus
dem sich an der Grenze zwischen Ungarn und der Bukowina Gipfel von 1800
bis 2000 Meter erheben. Dazwischen befinden sich Einsattelungen mit Pässen,
deren niedrigsten und wichtigsten die Straße von Vartseld nach Dukla in einer
Höhe von 302 Metern überschreitet. Weiter östlich folgen der Paß von Palvta,
8S0, der von Uzsvk, 889, und der von Körösmezö, 931 Meter hoch. Im
Norden lagern sich unter diesem Rücken zahlreiche Parallelketten von 700 bis
900 Meter Höhe, welche ein waldiges Hochland von sehr wildem Charakter dar¬
stelle». Podolien besitzt wenig, Volhynien dagegen sehr viel Wald. Zwischen
Bug und Weichsel streicht ein waldbedecktes Bergland hin, das von tiefen,
sumpfigen Thälern durchschnitten wird. Auch links von letzterem Strome be¬
gegnet man einem solchen Höhenzuge, der zwar niedriger als jener, aber insofern
ein Hindernis für militärische Bewegungen ist, als die Straßen hier den Cha¬
rakter langer Walddefileen tragen. Dieses südpvlnische Berg- und Hügelland
geht nach Norden hin in weite Flächen über, die einen erstaunlichen Wasser¬
reichtum zeigen, was namentlich von: östlichen Teile derselben, der Strecke
zwischen Bug und Narcw, gilt. Die hier entspringenden Flüsse sind schon bald
nach ihrem Ursprünge schiffbar, und daneben nehmen ungeheure Moräste einen
großen Teil dieses Gebietes ein. Dieselben beginnen mit den Prhpatsümpfen,
denen sich der Bialowieeer Sumpfwald, der Bohr- und Pulwybruch, der Netta-
und der Lykbruch anschließen, welche zusammen viele Quadratmeilen Landes be¬
decken und eine Terraiuform zeigen, wie sie sonst in Europa so ausgedehnt
nirgends vorkommt. Es ist der Landschaftstypus, der zur Zeit der Völker¬
wanderung in allen Flußniederungen des Nordens unsers Weltteils herrschte.
Charakteristisch für denselben ist namentlich der Bialowieeer Wald, der sich
zwischen den Quellgebietcn des Njemen, des Narew, der Pina und Jasiolda
über eine Fläche von achtzehn Quadratmeilen ausbreitet. Große Strecken dieses
Waldes, der an den nassen Stellen ans Erlen, an den trocknen aus Föhren
besteht, sind für den Menschenfuß im Sommer völlig unzugänglich, im Winter
gefährlich. Er enthält an seinem Saume nur das eine Dorf, nach dem er
genannt wird. Das Innere ist eine Wildnis, in welcher Schichten von Bäumen,
von Alter und Stürmen umgestürzt, allmählich verfaulen, und wo nur Eleun-
tiere, Wölfe, Bären und Auerochsen Hausen. Ein ähnliches Bild bietet der
Pulwybruch dar. Die hindurchführeudeu Wege sind schmale Defileen durch
Wald und Morast, und seine wenigen Dörfer haben um sich nur einen kleinen
freien Raum mit bestellten Ackern. Von selbst versteht sichs, daß diese Land¬
striche der Bewegung von Truppen und der Beobachtung des Feindes außer¬
ordentliche Hindernisse entgegenstellen. Kaum geringere Schwierigkeiten bietet
auf der linken Seite der Weichsel das Sumpfthal der Bzura und dasjenige der
obern Warthe, und ebenso ist die masurisch-lithauische Seenplatte, welche das
polnische Kriegstheater im Norden abschließt, mit ihren vielen Flüssen und ihrer


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[0395] Ein zukünftiger Kriegsschauplatz. karpathen bestehen aus einem breiten Rücken von 1000 Metern mittlerer Höhe, aus dem sich an der Grenze zwischen Ungarn und der Bukowina Gipfel von 1800 bis 2000 Meter erheben. Dazwischen befinden sich Einsattelungen mit Pässen, deren niedrigsten und wichtigsten die Straße von Vartseld nach Dukla in einer Höhe von 302 Metern überschreitet. Weiter östlich folgen der Paß von Palvta, 8S0, der von Uzsvk, 889, und der von Körösmezö, 931 Meter hoch. Im Norden lagern sich unter diesem Rücken zahlreiche Parallelketten von 700 bis 900 Meter Höhe, welche ein waldiges Hochland von sehr wildem Charakter dar¬ stelle». Podolien besitzt wenig, Volhynien dagegen sehr viel Wald. Zwischen Bug und Weichsel streicht ein waldbedecktes Bergland hin, das von tiefen, sumpfigen Thälern durchschnitten wird. Auch links von letzterem Strome be¬ gegnet man einem solchen Höhenzuge, der zwar niedriger als jener, aber insofern ein Hindernis für militärische Bewegungen ist, als die Straßen hier den Cha¬ rakter langer Walddefileen tragen. Dieses südpvlnische Berg- und Hügelland geht nach Norden hin in weite Flächen über, die einen erstaunlichen Wasser¬ reichtum zeigen, was namentlich von: östlichen Teile derselben, der Strecke zwischen Bug und Narcw, gilt. Die hier entspringenden Flüsse sind schon bald nach ihrem Ursprünge schiffbar, und daneben nehmen ungeheure Moräste einen großen Teil dieses Gebietes ein. Dieselben beginnen mit den Prhpatsümpfen, denen sich der Bialowieeer Sumpfwald, der Bohr- und Pulwybruch, der Netta- und der Lykbruch anschließen, welche zusammen viele Quadratmeilen Landes be¬ decken und eine Terraiuform zeigen, wie sie sonst in Europa so ausgedehnt nirgends vorkommt. Es ist der Landschaftstypus, der zur Zeit der Völker¬ wanderung in allen Flußniederungen des Nordens unsers Weltteils herrschte. Charakteristisch für denselben ist namentlich der Bialowieeer Wald, der sich zwischen den Quellgebietcn des Njemen, des Narew, der Pina und Jasiolda über eine Fläche von achtzehn Quadratmeilen ausbreitet. Große Strecken dieses Waldes, der an den nassen Stellen ans Erlen, an den trocknen aus Föhren besteht, sind für den Menschenfuß im Sommer völlig unzugänglich, im Winter gefährlich. Er enthält an seinem Saume nur das eine Dorf, nach dem er genannt wird. Das Innere ist eine Wildnis, in welcher Schichten von Bäumen, von Alter und Stürmen umgestürzt, allmählich verfaulen, und wo nur Eleun- tiere, Wölfe, Bären und Auerochsen Hausen. Ein ähnliches Bild bietet der Pulwybruch dar. Die hindurchführeudeu Wege sind schmale Defileen durch Wald und Morast, und seine wenigen Dörfer haben um sich nur einen kleinen freien Raum mit bestellten Ackern. Von selbst versteht sichs, daß diese Land¬ striche der Bewegung von Truppen und der Beobachtung des Feindes außer¬ ordentliche Hindernisse entgegenstellen. Kaum geringere Schwierigkeiten bietet auf der linken Seite der Weichsel das Sumpfthal der Bzura und dasjenige der obern Warthe, und ebenso ist die masurisch-lithauische Seenplatte, welche das polnische Kriegstheater im Norden abschließt, mit ihren vielen Flüssen und ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/395>, abgerufen am 22.07.2024.